Heinz Schäfer wurde keine fünf Jahre alt. Er wurde am 16. August 1937 in Bovenden bei Göttingen geboren. Seine Eltern, der Metallarbeiter Friedrich (Fritz) Schäfer und Ella Schäfer, geb. Tegtmeyer, hatten zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Söhne im Alter von sieben und neun Jahren, Rolf und Friedrich. Die drei Jungs teilten sich ein Kinderzimmer. Die beiden Älteren mussten häufig auf ihren kleinen Bruder aufpassen. Weil Heinz nicht laufen lernte, trugen sie ihn viel und nutzten auch ein Wägelchen, um ihn durch Bovenden oder in den Garten zu schieben. In der Karre sitzend, beobachtete er die beiden beim Spielen. Hiervon existiert das letzte Bild von Heinz. »Er war immer dabei«, berichten die Brüder und die Cousine.
Heinz konnte wohl alles verstehen und war auch in einem gewissen Maß selbstständig. Dennoch musste der Vater am 15. August 1941, einen Tag vor Heinz viertem Geburtstag, im Gesundheitsamt Göttingen vorstellig werden. Der Göttinger Amtsarzt, Dr. Lewerenz, empfahl: »Die Unterbringung in eine geschlossene Anstalt ist notwendig.« Weil sich dieser letzte Satz des Gutachtens von den Schrifttypen zum vorangegangenen Text unterscheidet und zwischen Unterschriftszeile und letztem Absatz eingepasst wurde, ist anzunehmen, dass diese Empfehlung nachträglich hinzugefügt wurde. Den Eltern sagte man, ihrem Kind werde in einer Anstalt geholfen. Der Vater kam daher vom Gesundheitsamt nach Hause und berichtete der Familie, im Heim werde Heinz geheilt werden. Die Familie verband mit dem Aufenthalt also die Hoffnung, dass er gesund werde. Sie rechneten fest damit, dass er wiederkommen würde und dann kuriert sei.
Heinz wurde direkt in der »Kinderfachabteilung« Lüneburg aufgenommen. Sein Vater brachte ihn dorthin. Die Aufnahme in Lüneburg erfolgte am 3. November 1941. Er kam in das Haus 25. In weiteren Briefen an den Ärztlichen Direktor brachte sie ihre Sorge um ihr Kind zum Ausdruck. Max Bräuner antwortete ihr jedoch, dass eine Heilung in den meisten Fällen aussichtslos sei. Aus Mediziner-Sicht wurde er am 20. Januar 1942 als »tiefstehend« und »bildungsunfähig« eingestuft und kam somit ärztlicherseits für die Tötung in Frage. Einen Monat später ging an die Mutter die Information, dass Heinz seit einigen Tagen an Diphtherie erkrankt und mit seinem Ableben zu rechnen sei. Am nächsten Tag war Heinz bereits tot.
Die Eltern konnten die Todesnachricht nicht glauben. Um sicherzugehen, dass es sich nicht um eine Verwechslung handelte, reiste Heinz Vater Fritz zusammen mit seinen Schwägern Wilhelm Tristram und Wilhelm Süßmann nach Lüneburg. Sie bestanden auf einer Öffnung des Sarges, um den Jungen zu identifizieren. Zunächst weigerte sich das Anstaltspersonal. Doch Fritz Schäfer und die Ehemänner von Ellas Schwestern Auguste und Meta setzten sich durch. Der Sarg wurde geöffnet, und darin lag Heinz mit einem verbundenen Kopf. Die drei Männer konnten sich das nicht erklären, war Heinz doch offiziell an »Diphtherie u. katarrh. Lungenentzündung« gestorben. Man verschwieg ihnen, dass man Heinz Gehirn entnommen hatte.
Über Heinz wurde in der Familie auch nach seinem Tod viel gesprochen, insbesondere über den verbundenen Kopf, den sich niemand erklären konnte. Das änderte sich, als die beiden noch lebenden Brüder von Heinz Schäfer, Friedrich und Rolf, durch einen Presseaufruf der Lüneburger Gedenkstätte ausfindig gemacht werden konnten. Nach vielen Jahrzehnten erhielten sie Antwort auf ihre Frage, warum Heinz Kopf verbunden gewesen war.
Heinz in seinem Wägelchen. Es ist das letzte Foto von ihm, Herbst 1941.
Privatbesitz Familie Schäfer.
Heinz auf dem Arm seines Bruders Rolf. Das Foto machte sein Bruder Friedrich, ca. Sommer 1941.
Privatbesitz Familie Schäfer.
Schreiben des Staatlichen Gesundheitsamts Göttingen, Dr. Lewerenz, vom 15.8.1941.
NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 373.
Die Mutter tat sich schwer mit der Trennung von ihrem Kind. Sie hatte große Sehnsucht nach ihm und schrieb ihm und den Pflegenden schon kurz nach seiner Aufnahme eine Postkarte.
Postkarte von der Mutter Ella an ihren Sohn Heinz vom 13.11.1941.
NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 373.
Brief von der Mutter Elisa Ella Schäfer an Heinz Schäfer vom 29.11.1941 mit Antwort vom 2.12.1941.
NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 373.