»Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden«

Um den Patient*innenmord bzw. die »Euthanasie« strukturiert umzusetzen, stellte Reichskanzler Adolf Hitler ein Gremium von Verwaltungsbeamten (Viktor Brack, Herbert Linden, Hans Hefelmann, Richard von Hegener) sowie Ärzten (Prof. Dr. Werner Catel, Prof. Dr. Hans Heinze, Dr. Hellmuth Unger und Dr. Ernst Wentzler) zusammen. Sie etablierten binnen weniger Wochen eine Tarnorganisation, den »Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden« (»Reichsausschuss«). Er nahm im Herbst 1939 seine Arbeit auf.

Der »Reichsausschuss« war mit der Erfassung und Begutachtung von Kindern und Jugendlichen beauftragt, die seiner Auffassung nach für die »Euthanasie« in Frage kamen. Hans Hefelmann und Richard von Hegener vom Hauptamt IIb der Kanzlei des Führers sowie Herbert Linden vom Reichsministerium des Innern standen dem »Reichsausschuss« vor und vertraten ihn. Hefelmann und Hegener (beide vom Amt IIb »Kraft durch Freude« bzw. »KdF«) traten hierbei nicht nach außen in Erscheinung. Tatsächlich blieb der »Reichsausschuss« eine Art Briefkastenfirma. Der Schriftverkehr verlief über das Schließfach Berlin W9, Postschließfach 101 in die Neue Reichskanzlei, wo das Amt IIb der »KdF« ansässig war.

Die ausgefüllten Meldebögen wurden über die Amtsärzte an den »Reichsausschuss« weitergeleitet. Von den bis 1945 etwa 100.000 eingegangenen Meldebögen wurden rund 80.000 aussortiert. Die übrigen rund 20.000 wurden von Verwaltungsbeamten des Amtes IIb der »KdF« an die medizinischen Hauptgutachter des »Reichsausschusses« weitergeleitet.

Hauptgutachter des »Reichsausschusses« waren bis Sommer 1945 Werner Catel, Hans Heinze und Ernst Wentzler. Dieses Dreiergespann entschied auf Basis ausgefüllter Meldebögen im sogenannten Umlaufverfahren über die Zwangseinweisungen in die reichsweit eingerichteten »Kinderfachabteilungen« sowie über Leben und Tod der sich dort befindenden Kinder und Jugendlichen.

Rechtliche Grundlage hierfür war der Runderlass vom 18. August 1939, der die Meldepflicht, Erfassung und Einweisung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen regelte.

Nicht alle in der »Kinder-Euthanasie« ermordeten Kinder und Jugendlichen durchliefen dieses Verfahren und waren sogenannte »Reichsausschusskinder«. Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen 1940 und 1945 rund 3.000 – 5.000 Kinder und Jugendliche durch Behandlungsermächtigungen des »Reichsausschusses« ermordet wurden.