Gräber auf anderen Friedhöfen

Gräber auf anderen Fried-Höfen

Manche Leichen werden nach Hause geholt.
Von ihren Familien.
Es gibt dann eine Trauer-Feier.
Oder die Familien wollen gar nicht feiern.
Nicht mal der Name soll genannt werden beim Gottes-Dienst.

Diese Toten sind nicht auf dem Fried-Hof der Anstalt beerdigt.
Sondern zu Hause.
Auf einem anderen Fried-Hof.
In der Zeit des National-Sozialismus.

Darum ist die Zahl der Ermordeten und der Gräber nicht gleich.
Auf dem Kinder-Gräber-Feld.

Die Familien in Lüneburg entscheiden:
Mein totes Kind soll nicht auf dem Anstalts-Fried-Hof liegen.
Sondern auf dem Zentral-Fried-Hof.
In der Innen-Stadt.

Auf dem Zentral-Fried-Hof liegt auch ein Kind aus Hamburg.
Es wird in der Kinder-Fach-Abteilung ermordet.
Aber alle denken:
Es ist durch Bomben gestorben.
Darum darf es auf dem Zentral-Fried-Hof beerdigt werden.
Da liegen auch andere Bomben-Opfer.

Die Opfer der Aktion T4 werden verbrannt.
In einem Ofen.
Gleich 2 oder 3 Leichen auf einmal.
Nur wenige Familien sagen:
Wir möchten die Asche haben.
Dann wird die Asche in einem Gefäß nach Hause geschickt.

Die Asche der anderen Opfer der Aktion T4 kommt weg.
Sie wird auf Feldern verteilt.
Oder in einen Fluss gekippt.
Oder in eine Erd-Kuhle geschüttet.

Ein Grab bleibt 25 Jahre.
Länger nicht.
Danach wird es aufgelöst.
Außer es ist ein Grab von einem Opfer von Krieg und Gewalt-Herrschaft.
Dann sagt ein Kriegs-Gräber-Gesetz:
Das Grab darf für immer liegen bleiben.
Und es wird bepflanzt.
Und die Blumen werden gegossen.
Die Familien müssen das nicht bezahlen.

Aber die Familien wissen das nicht.
Sie wissen nicht:
Wir haben ein Mord-Opfer in der Familie.
Sie wissen nicht:
Das Grab fällt unter das Kriegs-Gräber-Gesetz.
Darum werden die Gräber von den Familien oft auf-gelöst.
Nach 25 Jahren.

Heute gibt es nur noch ganz wenige Gräber.
Von Opfern vom Patienten-Mord.
Sie sind auf Anstalts-Fried-Höfen.
Oder in Familien-Gräbern.

Das Kriegs-Gräber-Gesetz sagt:
Deutschland kümmert sich um alle Gräber von Krieg und Gewalt-Herrschaft.
Aber die müssen gemeldet sein.
Bis zum Jahr 1985.
Dann ist Schluss.
Dann darf kein weiteres Grab dazu kommen.

Aber die Familien konnten die Gräber nicht melden.
Bis zum Jahr 1985.
Sie wissen ja nicht:
Es ist ein Grab von einem Opfer.

Bis heute sind diese Gräber nicht sicher.
Sie können jederzeit auf-gelöst werden.
Und verschwinden.
Zum Beispiel wenn die Familie stirbt.
Oder kein Geld mehr hat es zu bezahlen.
Das ist ein Problem.
Und es ist nicht gerecht.
Denn:
Alle Gräber von Opfern von Krieg und Gewalt-Herrschaft sind doch gleich.

Gräber außerhalb des Anstaltsfriedhofs

Es kam vor, dass Angehörige die Überstellung bzw. Rückführung der Leiche an den Heimatort veranlassten. Das ist der Grund, weshalb die Zahl der Kinder-Gräber auf dem »Kindergräberfeld« nicht identisch mit der Zahl der in der Anstalt gestorbenen Kinder ist.

Die Lüneburger Familien ließen ihre ermordeten Kinder ausnahmslos auf dem Lüneburger Zentralfriedhof bestatten. Bislang ist nur ein in der Anstalt gestorbenes Kind bekannt, das ebenfalls auf dem Zentralfriedhof Lüneburg beerdigt wurde, obwohl es kein Lüneburger Kind war: Christian Meins. Vermutlich wurde er auf dem Zentralfriedhof beerdigt, weil er offiziell als »Bombenbeschädigter« geführt wurde und für jene auf dem Zentralfriedhof ein Gräberfeld vorgesehen war.

Die Familien, die ihre Angehörigen nach Hause überführen ließen, gingen unterschiedlich mit ihrem Tod um. Es gab jene, die eine Trauerfeier ausrichteten, und solche, die nicht einmal eine Erwähnung im Gottesdienst wünschten. Es gab jene, die den Toten im Familiengrab beisetzen ließen, und solche, die genau das vermieden.

Im Fall der »Aktion T4« ließen sich nur verhältnismäßig wenige Familien die Urnen mit der vermeintlichen Asche überstellen. Die Urnen, gefüllt mit einer Misch-Asche der Opfer der »Aktion T4«, wurden dann in der Regel zu bereits bestehenden Gräbern hinzugebettet und gepflegt. Die Asche der übrigen Opfer der »Aktion T4« wurde – je nach Tötungsanstalt – als Dünger auf Feldern verstreut, in Erdhalden gekippt oder in fließendem Wasser entsorgt.

Da die Familien häufig nicht wussten, dass es sich bei ihrem Toten um ein Opfer der »Euthanasie« handelte, sind auch die wenigen bestehenden Gräber von »Euthanasie«-Opfern außerhalb von Anstaltsfriedhöfen nach Ablauf der Liegezeit meist aufgelöst worden.

Bis in die 1980er Jahre zu einem besonderen Stichtag hatten Familien die Möglichkeit, Gräber zu melden, die ab Anerkenntnis als Kriegsgräber öffentlich gepflegt werden konnten. Zu diesem Zeitpunkt gab es bei den Familien von »Euthanasie«-Opfern jedoch oftmals gar kein Wissen um das an ihren Verwandten verübte Verbrechen. Das führte dazu, dass viele Gräber, die sich außerhalb der Anstaltsfriedhöfe und in Familienpflegschaft befanden, nicht gemeldet wurden. Demgemäß wurden sie auch nie als Kriegsgräber erfasst, anerkannt und unter Schutz gestellt.

Bis heute gilt: Seit Ablauf des Stichtages ist eine Unterschutzstellung privat gepflegter Kriegsgräber nicht mehr möglich, auch wenn Forschungen inzwischen zweifelsfrei belegen können, dass es sich um Gräber von »Euthanasie«-Opfern handelt. Der Fortbestand dieser Gräber ist nicht gesichert, da sie nur existieren, solange die Familien bereit und in der Lage sind, die Gräber zu erhalten.