Anna Stange

Anna Stange wurde am 29. Januar 1901 in Harmstorf im Kreis Rendsburg geboren. 1928 zog sie in den Raum Lüneburg. Sie arbeitete dort in mehreren landwirtschaftlichen Betrieben. Bereits 1920 hatte sie ihr erstes Kind bekommen, das kurz nach seiner Geburt an einer Erkältung starb. Es folgten vier weitere Kinder von unterschiedlichen Vätern. Für jedes wurde ihr das Sorgerecht entzogen, da sie in ärmlichen Verhältnissen lebte und man ihr die alleinige Sorge nicht zutraute. 1934 und 1935 erlitt Anna Stange zudem zwei Fehlgeburten.

1937 wendete sich das Blatt, denn sie lernte ihren späteren Verlobten kennen, von dem sie im Frühjahr 1938 erneut schwanger wurde. Dem Paar wurde die 1935 eingeführte «Ehetauglichkeitsprüfung» zum Verhängnis. Da Anna Stanges Kinder in Pflegefamilien bzw. beim Vater lebten und ihr zudem eine sogenannte »asoziale Lebensweise« unterstellt wurde, untersagte man ihr die Ehe. Hinzu kam, dass ihr Verlobter ein »kommunistischer Funktionär« gewesen sei, sodass beide offenbar auch aufgrund dessen diskriminiert wurden.

Da Anna Stange weder »minderintelligent« war noch eine andere erbliche Erkrankung vorwies und bei der gerichtlichen Anhörung am 30. Mai 1938 Festlegungen zu ihrer Person, ihrem sozialen Stand und ihrer Lebensweise nicht akzeptierte, ordnete das Erbgesundheitsgericht Lüneburg eine stationäre Beobachtung in der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg an. Am 23. Juli 1938, im zweiten Monat schwanger, wurde sie unter Anwendung von Polizeigewalt für vier Wochen aufgenommen. Dort wurde ihre Intelligenz getestet und ihr Verhalten beobachtet. Trotz bestehender medizinischer Unauffälligkeit, wurde eine Sterilisation von Anna Stange befürwortet.

Am 8. November 1938 wurde sie im Städtischen Krankenhaus Lüneburg gegen ihren Willen sterilisiert. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurde dabei auch ihre letzte Schwangerschaft kurz vor dem 6. Schwangerschaftsmonat gewaltsam abgebrochen.

Auszug aus der Abschrift des Intelligenzprüfungsbogens von Anna Stange im Ärztlichen Gutachten von Bernhard Winninghoff vom 22. August 1938: Seiten 20–23.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 2004/066 Nr. 09527.

Auszug aus der Abschrift des Intelligenzprüfungsbogens von Anna Stange im Ärztlichen Gutachten von Bernhard Winninghoff vom 22. August 1938: Seiten 20–23.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 2004/066 Nr. 09527.

Anna Stange

Anna Stange wird am 29. Januar 1901 geboren.
1928 zieht sie nach Lüneburg.
Sie arbeitet in der Land-Wirtschaft.
1920 bekommt sie ihr erstes Kind.
Das Kind stirbt kurz nach der Geburt.

Anna bekommt noch vier Kinder.
Alle Kinder haben einen anderen Vater.
Alle Kinder werden ihr weg-genommen.
Weil sie arm ist.
Anna hat auch noch zwei Fehl-Geburten.

1937 lernt Anna einen neuen Mann kennen.
Sie verlieben sich.
1938 ist Anna wieder schwanger.
Anna und ihr Verlobter stellen einen Antrag.
Sie wollen heiraten.
Dazu braucht man eine Erlaubnis.
Aber Anna bekommt die Erlaubnis nicht.
Die Richter am Erb-Gesundheits-Gericht sagen:
Anna ist keine gute Mutter.
Sie ist asozial.
Sie darf nicht heiraten.
Sie soll auch keine Kinder mehr bekommen.

Anna ist nicht einverstanden.
Sie legt Ein-Spruch ein.
Deshalb kommt sie in die Lüneburger Anstalt.
Dort soll sie weiter untersucht werden.
Die Polizei bringt Anna in die Anstalt.

Dort wird sie untersucht.
Der Arzt in der Anstalt sagt:
Anna kann Bücher lesen.
Sie kann sich gut unterhalten.
Sie kann in der Anstalt arbeiten.

Aber er sagt auch:
Anna ist trotzdem schwach-sinnig.
Sie ist asozial.
Auch ihre Familie ist asozial.
Darum soll Anna sterilisiert werden.

Am 8. November 1938 wird Anna im Lüneburger Kranken-Haus sterilisiert.
Gegen ihren Willen.
Da ist sie im 6. Monat schwanger.
Bei der Operation stirbt auch ihr Kind.
Anna hat eine Zwangs-Sterilisation.
Und sie hat eine Zwangs-Abtreibung.

Das ist ein Teil von Annas Patienten-Akte.
Ein Arzt aus der Anstalt stellt Anna viele Fragen.
Er will wissen:
Wie schlau ist Anna.
Manche Fragen kann Anna beantworten.
Manche Antworten weiß sie nicht.
Der Arzt schreibt dann einen Bericht.
Der Bericht ist vom 22. August 1938.

Anna ist nicht krank.
Sie verhält sich richtig.
Sie fällt in der Anstalt nicht auf.
Es gibt kein Problem in der Anstalt.
Trotzdem entscheidet der Arzt:
Anna muss operiert werden.
Sie darf keine weiteren Kinder bekommen.
Der Arzt findet:
Anna ist keine gute Mutter.
Anna ist asozial.

Heinrich Röhrup

Heinrich Friedrich Ludwig Röhrup wurde am 30. Januar 1914 in Wulfstorf im Landkreis Lüneburg geboren. Nach seiner Schulentlassung arbeitete er zunächst als Laufbursche, später als Helfer bei Gartenarbeiten, schließlich als Arbeiter im Kalkabbruch, inzwischen lebte die Familie in der Straße Auf dem Meere in Lüneburg.

Im Oktober 1936 wurde Heinrich Röhrup zum Wehrdienst einberufen und ging als Schütze zur Marine nach Kiel. Da er dort dem Unterricht wohl nicht immer folgen konnte und zweimal Befehle von Vorgesetzten ignorierte, bekam er eine 10-tägige Arreststrafe. Seine Vorgesetzten wiesen ihn zwecks Überprüfung einer »Geisteskrankheit« ins Marinelazarett ein. Dortige Ärzte stellten eine »Anstaltsbedürftigkeit« fest. Daraufhin wurde Heinrich am 6. August 1937 vom Marinelazarett Kiel-Wik in die Landes-Heilanstalt Neustadt (Holstein) überwiesen. Dort stellten die Ärzte den Antrag auf die Unfruchtbarmachung.

Bereits acht Wochen später wurde die Sterilisation des damals 23-Jährigen beschlossen. Weil Heinrichs Vater eine Verlegung von der Landes-Heilanstalt Neustadt in die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg veranlasste, wurde Heinrich Röhrup am 21. Februar 1938 im Städtischen Krankenhaus Lüneburg sterilisiert. Am 1. März 1938 wurde er aus der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg entlassen.

Im Folgejahr folgten zwei weitere Anstaltsaufenthalte wegen »Tobsuchtsanfällen«. Neben der Diagnose »angeborener Schwachsinn« fügte der Psychiater Gustav Marx nun die Diagnose »Schizophrenie« hinzu, und ab dann verließ Heinrich Röhrup die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg nicht mehr. Nach der dritten Einweisung meldeten die Lüneburger Ärzte ihn in der Berliner Tiergartenstraße 4, wo die planmäßige Ermordung von Psychiatriepatienten organisiert wurde. So kam Heinrich Röhrup als »gemeingefährlich« eingestufter »Schizophrenie-Erkrankter« auf die Deportationsliste.

Am 7. März 1941 wurde Heinrich Röhrup im Rahmen der »Aktion T4« von Lüneburg in die Tötungsanstalt Pirna-Sonnenschein »planwirtschaftlich verlegt« und dort direkt nach der Ankunft in einer Gaskammer ermordet.

Abschrift des Beschlusses des Erbgesundheitsgerichtes Lübeck über die Sterilisation von Heinrich Röhrup vom 29.12.1937.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 2004/066 Nr. 8376.

Thea Marienberg

Thea Marienberg wird am 7. April 1921 in Lüne-Burg geboren.
Ihre Eltern sind Otto und Alwine Marienberg.
Otto ist Fuhr-Unternehmer.
Er ist gegen die Nazis.
Darum kommt er 1934 ins Gefängnis.
Ottos Bruder Albert wird 1931 von National-Sozialisten erschossen.

1939 verliebt sich Thea in Erich.
Thea wird schwanger.
Thea und Erich wollen heiraten.
Sie stellen einen Antrag beim Gesundheits-Amt.
Sie brauchen eine Erlaubnis.
Die brauchen jetzt alle in Deutsch-Land
die heiraten wollen.

Thea bekommt die Erlaubnis nicht.
Das Lüne-Burger Gesundheits-Amt sagt:
Viele in der Familie sind schwach-sinnig.
Sie sind gegen die National-Sozialisten.
Sie sind gegen uns.
Wer gegen uns ist, soll nicht heiraten.
Und keine Kinder bekommen.

Thea darf nicht heiraten.
Sie soll auch keine Kinder bekommen.
Das Lüne-Burger Gesundheits-Amt entscheidet:
Thea soll sterilisiert werden.

Thea ist schlau.
Sie geht zu einem Gesundheits-Amt nach Hamburg.
Dort will sie ihre Heirats-Erlaubnis.
Das Gesundheits-Amt in Hamburg sagt:
Thea ist nicht schwach-sinnig.
Sie darf heiraten.

Aber Thea wohnt in Lüne-Burg.
Darum bestimmt das Amt in Lüneburg.

Theas Vater Otto beschwert sich.
Auch Erich beschwert sich darüber.
Thea soll weiter Kinder bekommen können.
Er ist Soldat.
Aber seine Beschwerde hat auch keinen Erfolg.
Am 10. Dezember 1940 wird Thea im Lüne-Burger Kranken-Haus sterilisiert.

Erst danach darf Thea heiraten.
Thea und Erich heiraten am 28. Februar 1941.
Sie haben eine Tochter.
Aber sie können keine weiteren Kinder bekommen.

Das ist ein Foto von Thea und ihrem Mann Erich.

Es wurde an ihrem Hochzeits-Tag gemacht.

Das Foto ist 1941.

Das ist ein Bericht von einem Arzt.

Der Arzt arbeitet im Krankenhaus.

Der Arzt schreibt dass Thea unfrucht-bar gemacht werden muss.

Das Dokument ist von 1940.

Karl Marienberg

Karl ist der Cousin von Thea Marienberg.
Ihm geht es wie Thea.
Und wie seinem Bruder Georg.
Und wie seiner Halb-sSchwester Emmi.
Sie werden alle sterilisiert.
Das heißt un-frucht-bar gemacht.
Gegen den Willen.
Sie können alle keine Kinder mehr bekommen.

Karl ist im Jahr 1913 in Lüne-bBurg geboren.
Er geht auf eine Förder-Schule.
Danach ist er Arbeiter.
In einem Kohle-Geschäft.
Zusammen mit seinem Bruder Georg.

Karl lernt Berta kennen.
Er möchte sie 1938 heiraten.
Er stellt einen Antrag beim Gesundheits-Amt.
Er braucht eine Erlaubnis.
Das Gesundheits-Amt sagt Nein.
Weil Karl aus der Familie Marienberg kommt.
Die Familie ist gegen die National-Sozialisten.

Erst sagt das Erb-Gesundheits-Gericht Lüne-bBurg:
Karl soll nicht sterilisiert werden.
Aber ein Arzt vom Gesundheits-Amt beschwert sich.
Das Erb-Gesundheits-Gericht sagt dann doch:
Karl soll sterilisiert werden.

Berta wird schnell schwanger.
Kurz danach wird Karl operiert.
Das ist im November 1938.
Im Lüneb-Burger Kranken-Haus.
Erst danach darf er Bertha heiraten.

Am 13. Juni 1941 stirbt Karl.
Er hat eine schwere Lungen-Krankheit.

Das ist ein Foto von Karl Marienberg.

Es ist aus seiner Patienten-Akte.

In der Akte stehen alles über Karl.

Das Gesundheits-Amt hat Infos über ihn gesammelt.

Als es entschieden hat Karl un-frucht-bar zu machen.

Beschwerde des Gesundheitsamtes Lüneburg über Beschluss zu
Karl Marienberg vom 27.7.1937.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1298.


Georg Marienberg

Georg ist der Cousin von Thea Marienberg.
Ihm geht es wie Thea.
Und wie seinem Bruder Karl.
Und wie seiner Halb-Schwester Emmi.
Sie werden alle sterilisiert.
Gegen den Willen.

Georg ist im Jahr 1910 in Lüne-Burg geboren.
Er geht auf eine Förder-Schule.
Danach ist er Arbeiter.
In einem Kohle-Geschäft.
Zusammen mit seinem Bruder Karl.

Georg wird im Juni 1938 angezeigt.
Beim Erb-Gesundheits-Gericht Lüne-Burg.
Das passiert weil sein Bruder auch gemeldet wird.
Weil er versucht zu heiraten.

Das Gericht entscheidet:
Georg soll keine Kinder bekommen.
Weil er dumm ist.
Und weil seine Familie Gegner der National-Sozialisten ist.
Georg soll zwangs-sterilisiert werden.
Er soll un-frucht-bar gemacht werden.
8 Wochen nach seinem Bruder wird Georg operiert.

2 Jahre später will Georg heiraten.
Das Gesundheits-Amt sagt: Nein.
Georg beschwert sich.
Er darf dann doch heiraten.
Aber er kann keine Kinder mehr bekommen.

1951 ist der Krieg 6 Jahre vorbei.
Die Nazis bestimmen nicht mehr.
Georg geht vor Gericht.
Er möchte Schmerzens-Geld.
Und eine Entschuldigung.
Er möchte sein Recht.

Aber das bekommt er nicht.
Es gibt eine Gerichts-Verhandlung.
Der Richter ist Dr. Jahn.
Der war auch schon Richter bei den National-Sozialisten.
Er war auch Richter am Erb-Gesundheits-Gericht Lüne-Burg.

Ein Arzt macht eine Aussage.
Der Arzt ist beim Gesundheits-Amt.
Das war er auch schon bei den National-Sozialisten.
Der Richter und der Arzt sagen:
Das Urteil gegen Georg war richtig.
Die Sterilisation war richtig.

Georg Marienberg bekommt sein Recht nicht.
Er bekommt kein Geld.
Und keine Entschuldigung.
Georg stirbt am 7. April 1979.
Er hat nie Kinder.

Das ist ein Foto von Georg Marienberg.

Das Foto ist aus einer Akte.

Das Gesundheits-Amt hat eine Akte gemacht.

Und alles über Georg darin gesammelt.

Wie alt er ist.

Wer seine Eltern sind.

Wieso er un-frucht-bar gemacht werden soll.

Das ist eine Bescheinigung.

Es ist ein Dokument über Georg Marienberg.

Es ist ein Dokument vom Gesundheits-Amt.