Fritzchen Wehde

Fritz (gerufen Fritzchen) Wehde wurde am 11. November 1939 in ein liebevolles und fürsorgliches Umfeld hineingeboren. Er lebte mit seinen zwei jüngeren Geschwistern und den Eltern in Horst bei Hannover. Sein Urgroßvater Heinrich hatte das Haus erbaut, zeitgleich und neben das Haus seines Zwillingsbruders Ludwig. Die »Zwillingshäuser« stehen noch heute und werden von Fritzchens Neffen und seiner Cousine bewohnt.

Fritzchen war das gemeinsame Kind von Fritz und Else Wehde. Als erstgeborener Sohn bekam er den Vornamen seines Großvaters, Onkels und Vaters. Fritzchens Vater war gelernter Maurer und machte später, nachdem er die Meisterprüfung abgelegt hatte, in Horst ein Baugeschäft auf. Die Wehdes fühlten sich politisch der SPD zugehörig, auch als diese 1933 verboten wurde. Sie blieben auch nach der Machtergreifung »gegen die Nazis eingestellt«.

Die Familie war eng miteinander und vor allem zu seiner Tante Wilma habe Fritzchen eine enge Bindung gehabt: »Tante Wilma kommt heute nach Horst. Kaum hatte Fritzchens Mutter diesen Satz ausgesprochen, ist Fritzchen losgeflitzt, durch das Haus gerannt, über die Diele nach draußen, zum Gartenzaun – zu seiner Lieblingsstelle, denn von dort hatte Fritzchen die ganze Straße im Blick. Und dann hat Fritzchen gewartet. Durch nichts und niemanden war Fritzchen dazu zu bewegen, wieder ins Haus zu gehen«.

Bei Fritzchens Geburt war es zu Komplikationen gekommen. Ein Sauerstoffmangel führte zu einer frühkindlichen Hirnschädigung mit geistiger Behinderung. Bis auf wenige Einschränkungen verlebte Fritzchen dennoch eine normale Kindheit, wurde von seiner Familie liebevoll versorgt. Da er in der Familie und in seinem Heimatort gut integriert war, wurde das Gesundheitsamt erst spät auf ihn aufmerksam. Im Juli 1944 wurde er von der Amtsärztin Meyer an den »Reichsausschuss« gemeldet und damit die Behandlung in einer »Kinderfachabteilung« eingeleitet.

Sechs Wochen später wurde der Junge gegen den Willen der Eltern abgeholt und mit polizeilicher Verfügung in die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg zwangseingewiesen. Fritzchen litt sehr unter der Trennung von seiner Familie, er bekam Wutausbrüche und verletzte sich selbst, zerstörte die wenigen Habseligkeiten, die er besaß. Da er wohl auch viel weinte und schrie, wurde er zunächst mit Luminal ruhig gestellt – »3 + 1 Tabletten« sind in der Krankengeschichte notiert.

Ab Mitte November verschlechterte sich Fritzchens allgemeine Verfassung rapide, wohl nicht nur aufgrund der Medikamenteneinnahme, sondern auch aufgrund der Mangelversorgung. Weil Krieg war, erhielten Fritzchens Eltern nur ein einziges Mal eine Besuchserlaubnis. Sie mussten sich daher brieflich nach seinem Gesundheitszustand erkundigen. Der Ärztliche Direktor Bräuner beantwortete ihre Erkundigungen: »Geistig ist er bisher nicht weiter gekommen […] Im November hat der Junge eine zeitlang Durchfall gehabt […] und seit dem besteht die Neigung zu einem Mastdarm. […] der Kräftezustand hat sich verschlechtert.«

Zwei Wochen später wurde Fritzchen Wehde entweder durch eine Überdosis Luminal ermordet oder er verhungerte, beides ist möglich. Seine offizielle Todesursache lautete »Dickdarmkatarrh«. Zur Beruhigung der Eltern behauptete Bräuner zudem, eine geistige Weiterentwicklung sei bei Fritzchen ausgeschlossen gewesen, weil die Hirnschäden infolge einer Hirnhautentzündung zu groß gewesen seien. Diese Information machte die Familie stutzig, denn Fritzchen war nie an einer Hirnhautentzündung erkrankt. Daher bestand früh der Verdacht, bei Fritzchens Tod sei nachgeholfen worden.

Fritzchens Leichnam wurde auf dem damaligen Anstaltsfriedhof beerdigt, sein Grab trug die Grabnummer 242a. Fritzchens Familie bemühte sich verzweifelt an der Beisetzung teilzunehmen. Sie erhielt jedoch keine Fahrerlaubnis.

Die »Zwillingshäuser« in Horst, in einem der Häuser ist Fritzchen Wehde aufgewachsen.

Privatbesitz Uta Wehde.

Fritzchen Wehde und seine Tante Wilma vor einem der beiden »Zwillingshäuser«, ca. 1940. Heute lebt Fritzchens Neffe in
diesem Haus.

Privatbesitz Uta Wehde.

Fritzchen Wehde mit seiner Großmutter Minna, ca. 1941/1942.

Privatbesitz Uta Wehde.