Gisela und Hermann Winter, geboren 1927 und 1929, waren zwei von insgesamt sechs Kindern der Eltern Anna Frieda und Heinrich Ludwig Winter aus Hannover-Döhren. Obwohl Hermann Winter bereits mit einem Jahr laufen und mit eineinhalb Jahren sprechen konnte, wurde er nach der 6. Klasse als »bildungsunfähig« aus der Schule entlassen. Seine Schwester Gisela erkrankte im Alter von zwölf Jahren an Epilepsie. Beide wurden im März 1941 zum Zweck eines »Heilungsversuches« in die Anstalten der Inneren Mission Rotenburg aufgenommen. Wegen des Verdachts einer Tuberkulose stellte man sie von der Verlegung am 9. und 10. Oktober 1941 zurück. Sie wurden daher erst am 12. Februar 1942 als »Nachzügler« von ihrer älteren Schwester Hertha Winter zur Aufnahme in die Lüneburger »Kinderfachabteilung« gebracht. Gisela kam ins Haus 25, Hermann ins Haus 23.
Sechs Wochen nach der Aufnahme, am 5. April 1942, erhielten die Kinder Besuch von ihrer Mutter. Es war der einzige und letzte Besuch. Da Hermann als »ordentlich«, »willig« und »fleißig« beurteilt wurde, wurde er am 16. April 1942 nach Lemgo in die Stiftung Eben-Ezer verlegt. Diese Verlegung bedeutete zunächst seine Rettung. Anders erging es seiner Schwester. Sie wurde nur einen Monat später am 14. Mai 1942 ermordet. Vier Tage später wurde sie in einem Sarg für erwachsene Leichname bestattet, da es zum Zeitpunkt ihres Todes wohl keinen Kindersarg gab. Das ist der Grund, weshalb Gisela zu den insgesamt acht Kindern gehört, die nicht auf dem Kindergräberfeld, sondern auf einem Gräberfeld der erwachsenen Patientinnen und Patienten auf dem Anstaltsfriedhof beerdigt wurde.
Am 27. Januar 1944 wurde Hermann Winter in die »Kinderfachabteilung« zurückverlegt. Zum einen hatte er bei einem Beschulungsversuch keine Erfolge erzielt, zum anderen sollte auf diese Weise verhindert werden, dass ein Rettungsversuch der Eltern gelang. Sie hatten versucht, Hermann aus der Pflegefamilie zu entführen, bei der er als Hilfsarbeiter untergebracht war. Zurück in Lüneburg schien Hermann sich sofort nützlich gemacht zu haben. Abteilungspflegerin Dora Vollbrecht notierte in seiner Krankengeschichte, er sei ein: »charakterlich ordentlicher Junge, der sich bei Hausarbeit und kleinen Handreichungen bewährt«. Die Eltern ließen nichts unversucht, ihren Sohn zu retten bzw. zurück nach Hause zu holen und beantragten einen dreiwöchigen »Urlaub«. Obwohl laut Akte von Hermann eine »Fluchtgefahr« ausging, wurde der Urlaub genehmigt und am 11. November 1944 verlängert. Er kehrte nie wieder in die »Kinderfachabteilung« zurück.
Auszug aus der Krankengeschichte von Hermann Winter, Seite 1.
NLA Hannover Nds. 330 Lüneburg Acc. 2004/134 Nr. 2180.
Das ist ein Arzt-Bericht.
Darin steht:
Hermann ist ordentlich.
Hermann ist fleißig.
Hermann hilft sehr viel.
Das rettet sein Leben.
Er wird nicht ermordet.