Rudolf Hagedorn

Rudolf Hagedorn (Rudi) wurde am 2. September 1929 in Pommern geboren und kam mit seinen jüngeren Geschwistern Kurt und Ingrid sowie seiner Mutter infolge ihrer Flucht nach Soltau. Gemeinsam wurden sie in einem rund 10 m² großen Zimmer bei einer Familie Schenk untergebracht. Rudis Vater wurde bereits mit Kriegsausbruch als Soldat eingezogen. Nachdem der Vater weg war, übernahm Rudi eine wichtige und verantwortungsvolle Rolle als ältester Sohn. Die Arbeitsbedingungen der Mutter erforderten von ihm zudem die Übernahme häuslicher Aufgaben sowie die Versorgung und Betreuung seiner jüngeren Geschwister Kurt und Ingrid. Er pflegte einen liebevollen und fürsorglichen Umgang mit ihnen.

Der Hausherr in Soltau war grob zu den Geflüchteten. Die Kinder durften nicht auf dem Hof spielen. Äpfel, die auf dem Boden lagen, durften sie nicht essen. Um in ihr Zimmer zu gelangen, mussten die drei Kinder und die Mutter ein Zimmer des Hausherrn passieren, in dem er Korn lagerte und in dem es vor Mäusen wimmelte. Die Initiative, Rudi wegen hin und wieder auftretender epileptischer Anfälle als »anstaltsbedürftiges Kind« bei der Polizei zu melden, ging mutmaßlich von ihm aus. Die Meldung führte zur amtsärztlichen Begutachtung und schließlich zur Zwangseinweisung.

Am 2. März 1945 wurde Rudi gegen den Willen seiner Mutter von der Schutzpolizei von zu Hause abgeholt und in die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg eingewiesen, obwohl er medikamentös eingestellt war und rechtzeitig Bescheid gab, wenn sich ein Anfall anbahnte.

Im Zuge der letzten Kriegswirren und der Kapitulation war es Rudis Mutter Margarete Hagedorn nicht möglich, ihren Sohn während seines Aufenthalts zu besuchen, sie erhielt keine Fahrerlaubnis. Rudis Versuche, während der erzwungenen, schweren Feldarbeit wegzulaufen, scheiterten. Den Aufzeichnungen der Anstalt ist ein zunehmender Gewichtsverlust zu entnehmen. Vermutlich infolge einer Mangelernährung entstanden starke Wassereinlagerungen. Epileptische Anfälle oder andere psychiatrisch zu behandelnde Auffälligkeiten hingegen blieben aus. Daher kam der Leiter der Heil- und Pflegeanstalt Dr. Max Bräuner nur sechs Tage vor Rudis Tod zu der Einschätzung: »Wenn er erst wieder hergestellt ist, könnte m.E. dem Gedanken seiner Entlassung nähergetreten werden.«

Weitere sechs Tage nach seinem Hungertod am 27. Juni 1945 erkundigte sich Rudis Mutter besorgt nach seinem Gesundheitszustand. Niemand hatte sie über seinen Tod informiert. Weder sie, noch seine Geschwister konnten an Rudis Beerdigung teilnehmen und sich angemessen verabschieden. Margarete berichtete Rudis kleiner Schwester Ingrid später über ihren einzigen Besuch in der Heil- und Pflegeanstalt, dass man ihr die dreckige Kleidung ihres Sohnes übergeben und ihr mitgeteilt habe, sie könne ihren Sohn auf dem Friedhof besuchen.