Während sämtliche Bereiche des politischen Lebens, der Verwaltung und des Alltags nach Kriegsende Umbrüche erfuhren, änderte sich im Alltag der psychiatrischen Versorgung zunächst nur wenig. Die von den Beschäftigten praktizierte Entrechtung und Vernachlässigung von psychisch Erkrankten und Menschen mit Behinderungen wurden nach Kriegsende nahezu nahtlos fortgeführt. Hinsichtlich des Personals (Ärzt*innen und Pfleger*innen) sowie der Behandlungsmethoden und -bedingungen gab es in hohem Maße Kontinuitäten. Vielerorts kam es unvermindert zu Medikamentenerprobungen und -missbrauch. Auch Sterilisationen gegen den Willen Betroffener wurden weiterhin gutachterlich unterstützt und durchgesetzt. Nur das Morden endete spätestens im Laufe des Jahres 1946.
Die schlechte Versorgung, teils gar menschenunwürdige Behandlung besserte sich in den öffentlich und kirchlich getragenen Anstalten erst in den 1980er Jahren. Ein 1975 von der »Psychiatrie-Enquête-Kommission« (ein Gremium aus 200 Expert*innen aus allen Bereichen der Psychiatrie) veröffentlichter Bericht problematisierte diese desolate Situation der Patient*innen, den Mangel an ambulanten Angeboten und das Fehlen alternativer Therapieformen. Dieser Bericht führte zu grundlegenden Reformen, die sich bis heute in Umsetzung befinden. Waren bis dahin Psychiatrien oft noch immer nicht viel mehr als »Verwahranstalten«, hatten die Reformen vor allem ein gleichwertiges Nebeneinander von Ärzt*innen und Patient*innen zum Ziel, sowie die Behandlung und Wertschätzung des ganzen Menschen mittels individueller Psychotherapien und Rehabilitationsangeboten.
Während die Anstalten nach dem Zweiten Weltkrieg lange von Kontinuitäten der NS-Psychiatrie geprägt waren, gab es in der modernen Psychotherapie in den 1950er Jahren mit der Entdeckung von Psychopharmaka eine Zäsur. Die Arbeitstherapie wurde von der psychopharmakologischen bzw. biochemischen Therapie abgelöst – bis heute begleitet von wissenschaftlichen Debatten über ein für und wider.
Ein weiteres Novum nach dem zweiten Weltkrieg war die Festlegung von Kriterien für psychische Erkrankungen und ihre weltweite Standardisierung im 1948 von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebenen »International Code of Deseases« (ICD), der seither stets aktualisiert wird und inzwischen in der elften Auflage vorliegt (ICD-11). Der ICD orientiert sich am »Diagnostical Statistical Manual of Mental Deseases«. Auch diese allgemeingültigen Kataloge der psychischen Störungen steht in der Kritik, da die Kriterien für die Kategorisierung von Störungen kontinuierlich ausgeweitet werden und so die Gefahr besteht, dass der Kreis der pathologisch auffälligen Menschen immer größer wird.
Seit etwa der 1990er Jahre gibt es eine »Antipsychiatrische Bewegung«. Anhänger dieser Strömung stellen die moderne klinische Psychiatrie und ihre Diagnostik grundsätzlich infrage und folgen Diversity-Ansätzen.