Günter Schulze war nur einen einzigen Monat Patient in der »Kinderfachabteilung« Lüneburg. Er wurde am 10. Juli 1944 aufgenommen, vier Wochen später, am 5. August 1944, wurde er ermordet. Er starb mit sieben Jahren. Sein Vater war zu diesem Zeitpunkt Feldwebel. Seine Mutter sorgte allein für die Kinder. Die siebenköpfige Familie mit schlesischen Wurzeln lebte in Hannover-Langenhagen.
Günter war das vierte Kind von Gertrud Schulze, geborene Dubiel, und Max Schulze, der Tapetendrucker war. Nach Günters Geburt am 1. Oktober 1936 wurde seine Schwester Ursula geboren. Es gab noch drei ältere Geschwister. Die Familie war glücklich, Günter erfuhr Teilhabe und liebevolle Zuwendung. Er war ein fröhliches Kind und bei allen Familienaktivitäten dabei.
Günter war ein sogenanntes »Reichsausschusskind«. Seine Einweisung in die Lüneburger »Kinderfachabteilung« ging vom Gesundheitsamt Hannover-Land aus. Die Hilfsärztin begründete ihren Antrag beim »Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden« in Berlin mit einem »angeborenen Wasserkopf« und seiner Entwicklungsverzögerung. Hinter der Formulierung »[wir] bitten Sie, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen« verbarg sich die Prüfung und Entscheidung, ob Günter für eine Tötung infrage kam.
Bereits zwei Wochen später wies der »Reichsausschuss« die Aufnahme an. Der Mutter widerstrebte es, ihr Kind nach Lüneburg zu bringen. Erst sechs Wochen später wurde Günter aufgenommen. Er wurde von seiner Mutter gebracht.
Günter konnte sprechen, seinen Namen nennen, alleine essen und wurde als ruhig und »freundlich«, »willig und folgsam« beschrieben. Nach dem Eintrag »bildungsunfähig« in seiner Krankengeschichte sind nur noch seine letzten elenden Tage dokumentiert. Offiziell wurde die Todesursache »Darmentzündung und Bronchitis« angegeben. Er starb am 5. August 1944, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgelöst durch eine Überdosis eines Betäubungsmittels. Sein Leichnam wurde auf Wunsch der Mutter nicht in Lüneburg bestattet, sondern nach Langenhagen überführt.
Über ein halbes Jahr später verweigerte Gertrud Schulze Zahlungsaufforderungen, für die Verpflegungskosten ihres ermordeten Sohnes Günter aufzukommen, die ihr seitens der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg in Rechnung gestellt worden waren. Am 17. Oktober 1945 – über ein Jahr nach dem Tod ihres Sohnes – wurden ihr die Kleidungsstücke ihres Sohnes persönlich ausgehändigt.
Foto der siebenköpfigen Familie Schulze, Weihnachten 1938.
Privatbesitz Ursula Heins.
Foto von Günter im Arm seiner Mutter, hinter ihm der Vater Max. Seine Schwester Ursula ist das Baby auf dem Arm, ca. Sommer 1938.
Privatbesitz Ursula Heins.
Gertrud, Ursula, Günter und Max Schulze, ca. 1943.
Privatbesitz Ursula Heins.
Aufnahmeantrag des Staatlichen Gesundheitsamts Hannover-Land vom 19.5.1944.
NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 387.
Schreiben des »Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden« an das Staatliche Gesundheitsamt Hannover-Land vom 27.5.1944.
NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 387.