Kurt Heine

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Beschluss des Erbgesundheitsgerichtes Lüneburg vom 31. Juli 1934 über die Sterilisation von Kurt Heine.

Archiv der »Euthanasie«-Gedenkstätte Lüneburg.

Schreiben des Bodenamtes für Böhmen und Mähren vom 29. September 1943.

Archiv der »Euthanasie«-Gedenkstätte Lüneburg.

Kurt Heine

Kurt Heine wurde am 20. Oktober 1897 als Sohn des Revierförsters in Garlstorf im
Kreis Winsen/Luhe geboren. Er ging am 1. April 1917 zur Marine und wurde dort zum Techniker ausgebildet. 1922/23 wurde bei Kurt Heine wohl erstmals eine psychische Erkrankung festgestellt, eine sogenannte Psychopathie.

Kurt Heine ist kein typisches Opfer der »NS-Psychiatrie« und Zwangssterilisation. Er wurde Opfer der Kriegsfolgen des Ersten Weltkrieges und seiner eigenen ideologischen Überzeugung. In Zeiten ökonomischer und finanzpolitischer Krisen erlebte er immer wieder berufliche Misserfolge, die möglicherweise zu seiner Erkrankung beitrugen. Schwer erkrankt und ohne Selbstwertgefühl ließ er sich vermutlich freiwillig unfruchtbar operieren.

Ein Förderer gab ihm nach zehn Jahren NS-Psychiatrie im Jahr 1943 die Chance, ein neues Leben außerhalb der Psychiatrie zu beginnen. Es handelte sich um W. Otte aus Prag, der für Kurt Heine dort einen beruflichen Neuanfang ermöglichte. Er vermittelte ihm eine Anstellung im Bodenamt für Böhmen und Mähren, sodass Kurt Heine nach 15 Jahren Anstaltspsychiatrie eine Zukunftsperspektive erhielt. Er musste sich lediglich bewerben und bezüglich seiner Psychiatrieerfahrung bedeckt bleiben. Der weitere Verlauf seines Lebens ist unbekannt.

Beschluss des Erbgesundheitsgerichtes Lüneburg vom 31. Juli 1934 über die Sterilisation von Kurt Heine.

Archiv der »Euthanasie«-Gedenkstätte Lüneburg.

Schreiben des Bodenamtes für Böhmen und Mähren vom 29. September 1943.

Archiv der »Euthanasie«-Gedenkstätte Lüneburg.

Katharina und Karl Mählmann

Karl Mählmann wurde am 20. Januar 1899 in Wester-Jork im Landkreis Stade geboren. Seine Mutter Katharina sowie ihre zwei Brüder Johann und Heinrich Mählmann erkrankten und wurden Patient*innen der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg. Johann und Heinrich starben in den Jahren 1934 und 1937. Karl, ihr Neffe, war zu diesem Zeitpunkt bereits ebenfalls Patient der Lüneburger Anstalt. Er wurde 1932 aufgenommen.

Fünf Tage nach der Aufnahme seiner Mutter Katharina wurde Karl Mählmann am 8. September 1943 nach Pfafferode verlegt. Aus einem durchgestrichenen Eintrag ist zweifelsfrei erkennbar, dass er bereits zwei Jahre zuvor in die Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein hätte verlegt werden sollen.

Seine Rückstellung kann damit zusammenhängen, dass er im Ersten Weltkrieg gedient hatte und versehrt war. Zwei Jahre später, 1943, spielten die Kriegsteilnahme und etwaige Folgen offensichtlich keine Rolle mehr. Am 8. September 1943 wurde er in die Tötungsanstalt Pfafferode verlegt. Er starb dort am 5. Januar 1944.

Karl Mählmann, ca. 1932.

NLA Hannover Nds. 330 Lüneburg Acc. 2004/134 Nr. 1334.

»7.3.41 verlegt in sächs. Anstalt.«
Auszug aus der Charakteristik von Karl Mählmann.

NLA Hannover Nds. 330 Lüneburg Acc. 2004/134 Nr. 1334.

»Kriegsverletzung, 10cm lange Narbe am lk. Oberarm.«

Auszug aus der Charakteristik von Karl Mählmann.

NLA Hannover Nds. 330 Lüneburg Acc. 2004/134 Nr. 1334.

Katharina und Karl Mählmann

Karl Mählmann ist am 20. Januar 1899 geboren.
Seine Mutter heißt Katharina.
Sie hatte zwei Brüder.
Die heißen Johann und Heinrich.
Katharina und ihre Brüder werden krank.
Sie werden Patienten in der Anstalt.
Johann und Heinrich sterben in der Anstalt.
Das passiert in den Jahren 1934 und 1937.

Auch Karl wird Patient in der Anstalt.
Das passiert 1932.
Er ist in der Anstalt als seine beiden Onkel sterben.

Auch die Mutter von Karl wird Patientin.
Sie kommt auch in die Anstalt.
Das ist im Jahr 1943.

Fünf Tage später wird er verlegt.
Er kommt in eine andere Anstalt.
Er kommt nach Pfafferode.
Zwei Jahre vorher sollte er schon weg.
Da sollte er in eine Tötungs-Anstalt.
Er wird zurück-gestellt.
Er darf noch zwei Jahre länger in der Anstalt bleiben.
Er wird nicht ermordet.
Das ist 1943 anders.

Karl bleibt erst einmal in der Lüneburger Anstalt.
Weil er Soldat war im Ersten Welt-Krieg.
Weil er dort verwundet wurde.
Er ist ein Kriegs-Held.

1943 ist das egal.
Jetzt wird er doch verlegt.
Er kommt am 8. September 1944 in Pfafferode an.
Nach seiner Ankunft wird er ermordet.
Er stirbt am 5. Januar 1944.

Das ist ein Personal-Bogen.
Darauf hat ein Arzt geschrieben:
Karl hat eine Verletzung.
Er hat eine Narbe.
Sie ist groß.
Sie ist am Arm.

Das ist ein Personal-Bogen.
Darauf hat ein Arzt geschrieben:
Karl soll verlegt werden.
In eine Tötungs-Anstalt.
Das soll am 7. März 1941 passieren.
Aber dazu kommt es nicht.
Darum ist die Information durch-gestrichen.

Das steht in der Kranken-Geschichte.
Von Heinrich.
Darin steht:
Heinrich ist alles egal.
Auch die Scheidung von seiner Frau.

Heinrich und Peter Schwamberger

Die Brüder Heinrich (geboren 1885) und Peter (geboren 1895) Schwamberger kamen aus Heddinghausen (Kreis Minden-Lübbecke) und Saarbrücken. Heinrich war Arbeiter. Er war mit Luise Schwamberger verheiratet. Sie hatten drei gemeinsame Kinder. Im November 1935 erkrankte Heinrich an einer Lungenentzündung. Fünf Monate später suchte er zur Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit einen Vertrauensarzt auf. Dieser bemerkte ein sonderbares Verhalten und überwies ihn in das Krankenhaus Celle. Dort wurde sein psychischer Zustand erfasst. Da er unter anderem das Essen verweigerte und phantasierte, auch eine Suizid-Gefährdung nicht ausgeschlossen wurde, brachte man ihn am 23. März 1936 in die Landes-Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg.

Als Heinrich in die Psychiatrie aufgenommen wurde, war sein jüngerer Bruder Peter bereits seit neun Jahren Patient in der Lüneburger Heil- und Pflegeanstalt. 1916 hatte Peter Schwamberger Marie Salomon geheiratet. Aus der unglücklichen Ehe gingen drei Kinder hervor. Es gab viel häusliche Gewalt. Bis zu seiner Einweisung im Jahr 1927 arbeitete Peter als Platzwart. Versuche, ihn in das Arbeitsleben zu integrieren, scheiterten. 1928 wurde er in der Feldkolonne eingesetzt. Jenseits dessen zog er sich vollständig zurück. Im Mai 1932 wurde für Peter eine Beurlaubung in Betracht gezogen. Seine Ehefrau sprach sich dagegen aus, und ein anschließender Versuch der Familienzusammenführung scheiterte. Auch Heinrichs Frau Luise wandte sich von ihm ab. Sie ließ sich 1940 von ihm scheiden.

Obwohl Heinrich in Haus 19 und Peter in Haus 11 untergebracht waren, hatten die Brüder während ihres Aufenthaltes untereinander Kontakt. Am 22. April 1941 notierte der Arzt Rudolf Redepenning in beide Krankengeschichten der Brüder Schwamberger, dass sie den »Endzustand« erreicht hätten. Diese Beurteilung begründete ihre »Verlegung nach Herborn«, d. h. ihre Verlegung in die »Aktion T4«. Heinrich und Peter Schwamberger wurden am 22. April 1941 zusammen mit 117 weiteren Männern mit dem Befund »ungeheilt« in die Zwischenanstalt Herborn verlegt. Von dort wurden die Brüder in die Tötungsanstalt Hadamar verlegt. Heinrich Schwamberger wurde am 21. Mai 1941 in der Gaskammer ermordet. Eine Woche später, am 28. Mai 1941, folgte sein Bruder Peter. Beide sind Opfer der »Aktion T4«.

Heinrich Schwamberger, ca. 1936.

Charakteristik-Bogen Heinrich Schwamberger.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 2004/66 Nr. 8500.

Peter Schwamberger, ca. 1927.

Charakteristik-Bogen Peter Schwamberger.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 2004/66 Nr. 8498.

Wärter und Patient (unbekannt) bei der Grünkohlernte auf dem Feld hinter dem Anstaltsgelände Richtung Gut Brockwinkel.

ArEGL.

»Eintönig u. gleichgültig gegen die Ehescheidung. Gefühl und geistige Gemeinschaft erloschen.«
Krankengeschichte von Heinrich Schwamberger.

BArch R-179, Nr. 8500.

»Die Ehefrau hat sich bei Besuch sehr gegen eine Beurlaubung oder Entlassung ihres Ehemannes ausgesprochen. […] Ihr Mann wolle die Frau wieder mißhandeln […].«
Krankengeschichte von Peter Schwamberger.

BArch R-179, Nr. 6978.

Heinrich und Peter Schwamberger

Heinrich Schwamberger ist 1885 geboren.
Peter Schwamberger ist 1895 geboren.
Heinrich und Peter sind Brüder.
Heinrich ist Arbeiter.
Er ist verheiratet.
Sie haben drei Kinder.

1935 bekommt Heinrich eine Lungen-Entzündung.
Fünf Monate später geht er zum Arzt.
Der Arzt sagt:
Heinrich ist sonder-bar.
Der Arzt schickt Heinrich in ein Kranken-Haus.

Auch im Kranken-Haus sagen die Ärzte:
Heinrich ist sonder-bar.
Er kommt in die Anstalt nach Lüneburg.
Das ist im Jahr 1936.

Peter ist schon Patient in der Anstalt.
Er ist dort schon neun Jahre als Heinrich kommt.

1916 heiratet Peter.
Sie haben drei Kinder.
Die Ehe ist nicht glücklich.
Es gibt viel Gewalt.
Peter arbeitet als Platz-Wart.
Dann wird Peter krank.
Er kommt in die Anstalt nach Lüneburg.
Das ist im Jahr 1927.

In der Anstalt arbeitet Peter.
Er arbeitet in der Land-Wirtschaft.
Sonst ist Peter sehr still.

1932 darf Peter Urlaub machen.
Seine Frau will das nicht.
Sie hat Angst vor ihm.
Sie hat Angst vor seiner Gewalt.
Die Familie kommt nicht mehr zusammen.

Die Frau von Heinrich trennt sich von ihm.
Sie lässt sich scheiden.
Das ist im Jahr 1940.

Heinrich lebt in der Anstalt in Haus neun-zehn.
Peter lebt in Haus elf.
Sie treffen sich manchmal.

Im April 1941 entscheidet ein Arzt:
Heinrich und Peter werden nicht mehr gesund.
Sie werden in eine andere Tötungs-Anstalt verlegt.
Zusammen mit ein-hundert-sieb-zehn anderen Patienten aus Lüneburg.
Sie werden ermordet.
Sie sterben in einer Gas-Kammer.

Heinrich stirbt am 21. Mai 1941.
Sein Bruder Peter stirbt am 28. Mai 1941.
Sie sind Opfer der »Aktion T4«.

Das ist ein Foto von Heinrich.
Es ist aus seiner Patienten-Akte.
Das ist im Jahr 1936.

Das ist ein Foto von Peter.
Es ist aus seiner Patienten-Akte.
Das ist im Jahr 1927.

Das sind ein Wärter und ein Patient.
Sie ernten Grün-Kohl auf dem Feld.
Das Feld ist hinter der Anstalt in Lüneburg.

Das steht in der Kranken-Geschichte.
Von Heinrich.
Darin steht:
Heinrich ist alles egal.
Auch die Scheidung von seiner Frau.

Das steht in der Kranken-Geschichte.
Es ist in der Kranken-Geschichte von Peter.
Darin steht:
Peter darf Urlaub zu Hause machen.
Seine Frau will das nicht.
Sie hat Angst vor ihm.
Sie hat Angst vor seiner Gewalt.

Anna und August Golla

August (geboren 1911) wuchs als drittes, Anna (geboren 1918) als fünftes von insgesamt sechs Kindern der Eltern Sebastian und Christine Golla in Wesermünde (heute Bremerhaven) auf. Vier Geschwister von Anna und August überlebten den Krieg und starben in den 1970er-Jahren. Sie sollen nur sehr selten über August und Anna gesprochen haben. Die Geschichte wurde nach ihrem Tod von den Töchtern des jüngsten Bruders dokumentiert.

August Golla arbeitete als Netzmacher. Im November 1936 hatte er einen Weinkrampf und erzählte irritierende Dinge. Wegen seines sonderbaren Verhaltens brachte man ihn in ein Krankenhaus. Von dort wurde er in die Lüneburger Psychiatrie überwiesen. Dort verbrachte er die folgenden vier Jahre. In dieser Zeit hielt die Mutter regen Kontakt und war sehr um das Wohl ihres Sohnes besorgt.

Christine Golla schrieb eine Reihe von Briefen an die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg. Der erste noch erhaltene Brief stammt vom Juli 1937, eine letzte Postkarte (ein Gruß zu Pfingsten) erreichte die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg im Mai 1940. August Golla gehörte zu den ersten rund 120 männlichen Patienten, die von Lüneburg direkt in die Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein »planwirtschaftlich verlegt« und dort vergast wurden. Wahrscheinlich wurde er noch am Tag seiner Ankunft am 7. März 1941 ermordet.

Augusts Schwester Anna Golla erkrankt zwei Jahre später als ihr Bruder. Zuvor hatte sie als Hausgehilfin gearbeitet. Im Februar 1943 wurde sie ins Wesermünder Krankenhaus aufgenommen. Eine Woche später lief sie fort. Einen Monat später wurde sie in die Lüneburger Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen. Da sich Anna der Arbeitstherapie entzog und Widerspruch leistete, galt sie als unbequeme Patientin. Sie blieb nur ein halbes Jahr in der Lüneburger Anstalt. Am 8. September 1943 wurde sie mit rund 300 anderen Patientinnen und Patienten in die Tötungsanstalt Pfafferode (Mühlhausen, Thüringen) verlegt.

Christine schrieb auch ihrer Tochter Anna eine Reihe von Briefen und erkundigte sich nach ihrem Befinden. Der letzte Brief erreichte Anna einen Monat vor ihrem Tod. Die Antwort auf Christines Brief fiel pessimistisch aus. Es sei keine Besserung eingetreten, das körperliche Befinden habe sich verschlechtert: »Die Kranke ist sehr matt geworden. […] Bei dem schlechten Körperzustand können Heilmaßnahmen auch nicht durchgeführt werden.« Anna starb am 11. Oktober 1944.

Christine und Sebastian Golla,
Wesermünde, ca. 1905.

Privatbesitz Angelika Beltz.

Anna Golla bei ihrer Erstkommunion, ca. 1929.

Privatbesitz Angelika Beltz.

August Golla (rechts) im Hafen von Wesermünde (Bremerhaven), Postkarte vom 1.2.1928.

Privatbesitz Angelika Beltz.

Christine wollte ihren Sohn am 1. Weihnachtsfeiertag besuchen, dies wurde jedoch von Max Bräuner mit der Begründung abgelehnt, es sei keine Besserung eingetreten, ein Besuch habe wenig Zweck.

Vermerk ohne Datum | Schreiben an das Städtische Wohlfahrtsamt Wesermünde vom 22.12.1936.

BArch R-179, Nr. 26905.

Anna Golla, ca. 1938.

Privatbesitz Angelika Beltz.

Anna Golla, Sterbemitteilung v. 11.10.1944 | Telegramm, v. 14.10.1944.

Kopie Privatbesitz Angelika Beltz.