Hans, Erika und Margret Buhlrich

»Es wurde in der ganzen, in der Familie Buhlrich, nachdem oder als ich erwachsen wurde oder größer wurde, nicht ein Wort darüber verloren.«

Gespräch mit Friedrich Buhlrich, Adoptiv-Bruder von Hans, Erika und Margret Buhlrich.

Hans, Erika und Margret Buhlrich sind Geschwister. Die Eltern sind Johanne und Wilhelm Buhlrich.
Sie leben in Bremen.

Im September 1941 kommt Hans in ein Heim.
Für Kinder mit Behinderungen.
Wenige Tage später wird das Heim geräumt.
Die Kinder kommen nach Bayern.
In das besondere Kranken-Haus Kutzenberg.
Dort stirbt er an einer Herz-Schwäche.
Hans ist aber erst 10 Jahre alt.
Er ist bestimmt verhungert.

Erika und Margret Buhlrich kommen in die Kinder-Fach-Abteilung.
Im September 1944.
Nachbarn finden: Die Mädchen stören im Bunker.
Da müssen sie oft sein wegen Bomben-Alarm.

Beide Mädchen werden in Lüneburg ermordet.
Erika stirbt am 23. November 1944.
Margret am 25. Januar 1945.
Ihre Gehirne werden entnommen.
Max Bräuner sagt der Mutter:
Besser sie bekommt keine weiteren Kinder.

Hans, Erika und Margret Buhlrich

»Es wurde in der ganzen, in der Familie Buhlrich, nachdem oder als ich erwachsen wurde oder größer wurde, nicht ein Wort darüber verloren.«

Interview mit Friedrich Buhlrich, Adoptivbruder von Hans, Erika und Margret Buhlrich.

HANS (1932 – 1942), ERIKA (1936 – 1944) UND MARGRET BUHLRICH (1941 – 1945)

Hans Buhlrich war das älteste Kind von Johanne und Wilhelm Buhlrich. Es folgten die Schwestern Erika und Margret. Sie lebten in Bremen. Im September 1941 wurde Hans in das Gertrudenheim gegeben, eine Einrichtung für Kinder mit Behinderungen. Noch im selben Monat wurde es aufgelöst und die Kinder nach Bayern verlegt. Hans starb als Zehnjähriger in der Heil- und Pflegeanstalt Kutzenberg offiziell an einer »Herzschwäche«.

Seine jüngeren Schwestern Erika und Margret kamen im September 1944 in die Lüneburger »Kinderfachabteilung«. Die Mädchen waren gemeldet worden. Bei Bombardierungen hätten sie im Bunker gestört.

Beide Mädchen wurden im Abstand von wenigen Wochen ermordet. Erika starb am 23. November, Margret am 25. Januar 1945. Ihre Gehirne wurden anschließend zu Forschungszwecken entnommen. Obwohl keine erblichen Ursachen festgestellt wurden, empfahl Max Bräuner der Mutter, auf weitere Kinder zu verzichten.


Max Bräuner

»Da hieß es: ›Ja, da war irgendwas mit Behinderten‹, aber da redet man jetzt nicht mehr drüber. ›Man soll den alten Mann doch in Ruhe lassen.‹«

Gila Bhatia. Max Bräuner ist ihr Großvater.

Max Bräuner kommt aus Karlsruhe.
Sein Vater ist Post-Direktor.
Max Bräuner wird Arzt.
1909 arbeitet er im besonderen Kranken-Haus in Lüneburg.
2 Jahre später heiratet er Helene Feddersen.
1917 wird er Vater von einem Jungen.
1936 wird er Chef vom besonderen Kranken-Haus in Lüneburg.

Max Bräuner ist Nazi.
Er wird Partei-Mitglied in der NSDAP.
Er wird Richter am Erb-Gesundheits-Gericht.
1938 wird er Chef vom rassen-politischen Amt in Lüneburg.

Ab 1941 wird er zum Mörder.
Er macht bei verschiedenen Kranken-Morden mit. Er hat mit über 1.400 Morden zu tun.
Dann ist die Nazi-Zeit vorbei.
Er wird überprüft und keiner sagt: er war Mörder.
2 Mal unter-suchen Staats-Anwälte seine Taten.
Er gibt alles zu.
Trotz-dem: Es kommt vor kein Gericht.
Er bekommt keine Strafe.
Er stirbt im Dezember 1966.

Max Bräuner

»Da hieß es: ›Ja, da war irgendwas mit Behinderten‹, aber da redet man jetzt nicht mehr drüber. ›Man soll den alten Mann doch in Ruhe lassen.‹«

Interview mit Gila Bhatia, Max Bräuners Enkelin.

MAX BRÄUNER (1882 – 1966)

kam aus Karlsruhe. Er war der Sohn eines Postdirektors und studierte in München und Göttingen Medizin. 1909 trat er die Stelle eines Assistenzarztes in der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg an und heiratete 1911 Helene Feddersen. 1917 wurde der einzige Sohn geboren. Ab 1936 war er Ärztlicher Direktor der Lüneburger Heil- und Pflegeanstalt.

Als überzeugter Nationalsozialist war er Mitglied in verschiedenen Organisationen der NSDAP und wirkte am Erbgesundheitsgericht Lüneburg. Ab 1. April 1938 übernahm er zudem die Kreisleitung des rassenpolitischen Amtes.

Ab 1941 war er an unterschiedlichen »Euthanasie«-Maßnahmen beteiligt und verantwortete insgesamt nahezu 1.400 Morde, für die er sich nie rechtfertigen musste. Er wurde als »Mitläufer« entnazifiziert, staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wurden sowohl 1949 als auch 1966 trotz seines Geständnisses eingestellt. Er starb am 9. Dezember 1966.


Anna Wichern

»Ich bin erschüttert und entsetzt, dass das Sterbedatum von Anna Wichern verändert worden ist, um von der Mutter von Anna Wichern Geld zu kassieren. […] Ihre Tochter ist schon längst tot und sie muss dafür bezahlen.«

Marlies Brüggemann. Anna Wichern war ihre Großtante.

Anna Wichern kommt aus Ostervesede.
Sie ist die 1. von 6 Kindern.
Ihre Eltern haben einen Bauern-Hof.
Sie sind sehr christlich und beten viel.

Mit 19 Jahren wird Anna Wichern krank.
Sie muss ins besondere Kranken-Haus.
Ihre Mutter betet sehr oft dafür dass Anna gesund wird.
Das macht sie auf dem Dach-Boden.
Auf den Knien.
Davon gibt es Abdrücke auf dem Fuß-Boden.
2 Mal wird Anna wieder gesund.

1925 kommt Anna Wichern ein 3. Mal ins besondere Kranken-Haus.
1941 wird sie in die Aktion T4 verlegt.
Mit dem letzten Zug aus Lüneburg.
Die Familie bekommt einen Trost-Brief.
Darin steht: gestorben 27. Juni 1941 an einer Lungen-Entzündung.
Das ist gelogen.
Sie wurde am 16. Juni 1941 ermordet.

Anna Wichern

»Ich bin erschüttert und entsetzt, dass das Sterbedatum von Anna Wichern verändert worden ist, um von der Mutter von Anna Wichern Geld zu kassieren. […] Ihre Tochter ist schon längst tot und sie muss dafür bezahlen.«

Interview mit Marlies Brüggemann, Großnichte von Anna Wichern.

ANNA WICHERN (1896 – 1941)

wurde in Ostervesede im Kreis Rotenburg als ältestes von sechs Kindern geboren. Die Eltern besaßen eine eigene Landwirtschaft.

Mit 19 Jahren erkrankte Anna an einer Melancholie. Mehrmals wurde sie deswegen in der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg aufgenommen. 
Annas Eltern waren sehr fromm. Ihre Mutter betete so häufig für die Genesung ihre Tochter, dass sich auf dem Fußboden des Dachbodens, auf dem sie kniete, Abdrücke abzeichneten.

Silvester 1925 wurde Anna Wichern ein drittes Mal in die Lüneburger Anstalt eingewiesen. Diesmal blieb sie, bis sie am 30. April 1941 mit dem letzten von Lüneburg ausgehenden Transport in die »Aktion T4« verlegt wurde. Laut »Trostbrief« starb Anna Wichern am 27. Juni 1941 offiziell an einer Lungenentzündung. In Wirklichkeit war sie bereits am 16. Juni in Hadamar ermordet worden.


August und Anna Golla

»Ich habe mal irgendwo gelesen, die Menschen sterben zweimal: Erst einmal, wenn sie tatsächlich sterben. Und dann das zweite Mal, wenn nicht mehr darüber geredet wird.«

Gespräch mit Angelika Beltz. Anna und August Golla sind ihre Groß-Tante und ihr Groß-Onkel.

Anna und August Golla sind Geschwister.
Sie kommen aus Bremerhaven.
August Golla ist Netz-Macher.
Er ist Mitglied in der Arbeiter-Partei KPD.
Darum hat er viel Streit mit seinem Vater.
1936 wird August Golla krank.
Er kommt in ein normales Kranken-Haus.
Aber da kann man ihm nicht helfen.
Er kommt nach Lüneburg ins besondere Kranken-Haus.
Seine Mutter schreibt ihm Briefe.
Am 7. März 1941 wird er ermordet.
In Pirna-Sonnenstein in der Aktion T4.

Anna Golla wird 1938 krank.
Sie ist Haus-Mädchen.
Dann hat sie Ängste.
1943 kommt sie ins besondere Kranken-Haus.
6 Monate später kommt sie in die Tötungs-Anstalt Pfafferode.
Sie stirbt am 11. Oktober 1944.
Sie verhungert.

August und Anna Golla

»Ich habe mal irgendwo gelesen, die Menschen sterben zweimal: Erst einmal, wenn sie tatsächlich sterben. Und dann das zweite Mal, wenn nicht mehr darüber geredet wird.«

Interview mit Angelika Beltz, Großnichte von August und Anna Golla.

AUGUST (1911 – 1941) UND ANNA GOLLA (1918 – 1944)

stammten aus Wesermünde, dem heutigen Bremerhaven. August Golla arbeitete als Netzmacher und stand der Kommunistischen Partei nahe. Dies führte immer wieder zu Konflikten mit seinem Vater. 1936 erkrankte er. Er verhielt sich sonderbar, kam ins Krankenhaus und von dort in die Lüneburger Heil- und Pflegeanstalt. In den folgenden Jahren hielt die Mutter regen Kontakt zu ihrem Sohn. Trotzdem wurde August Golla am 7.  März 1941 von Lüneburg in die Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein verlegt und dort ermordet.

Augusts Schwester Anna Golla erkrankte 1938. Zuvor hatte sie als Hausgehilfin gearbeitet. Heftige Angstzustände führten im März 1943 zu einer Einweisung in der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg. Da sich Anna der Arbeitstherapie entzog, galt sie als unbequeme Patientin. Am 8. September 1943 wurde sie in die Tötungsanstalt Pfafferode verlegt. Sie starb dort am 11. Oktober 1944.


Christa Jordan

»Meine Oma hat aber den
Sarg aufgemacht und war ganz erschrocken. Da wussten wir, dass das nicht mit rechten Dingen zugegangen war.«

Interview mit Margret Schulze, Schwester von Christa Jordan.

CHRISTA JORDAN (1933 – 1942)

war das erste Kind von Waldarbeiter Fritz und Anna Jordan aus Knesebeck. Die Familie lebte zusammen mit der Großmutter Minna auf einem Hof mit ein paar Kühen und Schweinen. Die Großmutter kümmerte sich liebevoll um Christa und ihre beiden jüngeren Geschwister.

Weil Christa die Schulpflicht nicht erfüllte, wurde sie vom Gemeindevorsteher an den »Reichsausschuss« gemeldet. Gegen den Willen der Eltern erfolgte die Einweisung in die »Kinderfachabteilung Lüneburg«. Christas Eltern hätten ihre Tochter lieber in »Bethel« untergebracht. Trotzdem hofften die Eltern, dass Christa in Lüneburg gefördert wird. Sie schickten ihr Briefe und Lebensmittel, besuchten sie mehrfach. Christa Jordan starb am 31. Mai 1942 nur drei Monate nach ihrer Einweisung. Ihre Leiche wurde in einem verzinkten Sarg nach Knesebeck überführt. Den Hinweis »Nicht öffnen« ignorierte die Großmutter. Als sie ihre tote Enkelin sah, war sie gewiss, dass ihr Tod gewaltsam herbeigeführt worden war.


Christa Jordan

»Meine Oma hat aber den
Sarg aufgemacht und war ganz erschrocken. Da wussten wir, dass das nicht mit rechten Dingen zugegangen war.«

Gespräch mit Margret Schulze. Christa Jordan war ihre Schwester.

Christa Jordan kommt aus Knesebeck.
Ihr Vater ist Wald-Arbeiter.
Die Mutter versorgt einen kleinen Bauern-Hof.
Sie ist das 1. Kind und hat noch 2 Geschwister.
Die Groß-Mutter lebt auch auf dem Bauern-Hof. Sie haben Kühe und Schweine.
Die Groß-Mutter passt auf die Kinder auf. Christa wird gemeldet an den Reichs-Ausschuss. Von jemanden aus der Gemeinde Knesebeck.
Christa muss in die Kinder-Fach-Abteilung.
Die Eltern sagen: Nein!
Sie wollen Christa in ein anderes Heim geben. Nach Bethel.
Aber Christa muss nach Lüneburg.
Die Eltern schicken ihr Briefe und Essen.
Sie besuchen Christa.

Christa Jordan wird im Mai 1942 ermordet.
Sie kommt in einem Sarg nach Knesebeck zurück.
Die Groß-Mutter macht den Sarg auf.
Obwohl das verboten ist.
Sie ist geschockt.
Die tote Christa sieht schlimm aus.
Ab dann weiß die Familie: ihr Tod war Mord.