
Vom 17. September bis zum 17. November 1945 fand in der Turnhalle des Männerturnvereins (MTV) in Lüneburg der erste rechtsstaatliche Prozess gegen NS‐Gewaltverbrechen auf deutschem Boden statt. Ziel der britischen Militärregierung war es, den Deutschen in einem ordentlichen, einer Demokratie würdigen Gerichtsverfahren das unvorstellbare Grauen des Nationalsozialismus offenzulegen, die Täterinnen und Täter zu überführen und nach britischem Recht zu verurteilen. Angeklagt wurden 45 Mitglieder des Lagerkommandos des KZ Bergen‐Belsen, darunter der Kommandant Josef Kramer und Aufseherinnen wie Irma Greese. Ihnen wurde die unmenschliche Behandlung von über 100.000 Häftlingen und die Ermordung von Zehntausenden Menschen zur Last gelegt.

Anklagebank im Bergen-Belsen-Prozess in der MTV-Halle, 10.9.1945.
Der ehemalige Lagerkommandant Josef Kramer, der mit der Nummer 1 gekennzeichnet ist, ist in der unteren linken vorderen Ecke zu sehen.
IWM HU 59545.
Um Platz für die zahlreichen nationalen und internationalen Pressevertreter zu schaffen und um möglichst viele Deutsche teilnehmen zu lassen, wurde die Turnhalle beschlagnahmt und die Stadtverwaltung mit den nötigen Umbaumaßnahmen, u. a. für ca. 400 Zuschauerplätze, beauftragt. Die Resonanz fiel eher verhalten aus: „ Die Lüneburger waren überhaupt nicht begeistert, dass das in ihrer Stadt stattfinden sollte. Es gab sehr viele Vorbehalte, man hatte Angst, dass man mit diesen Verbrechen in einen Topf geworfen werde“, so John Cramer, der intensiv zu dem Verfahren geforscht hat. Das Verfahren endete am 17.November 1945 mit elf später vollstreckten Todesurteilen, meist langjährigen Haftstrafen und 15 Freisprüchen. Obwohl das Verfahren von der internationalen Presse vielfach als fair beschrieben wurde, gab es auch Stimmen, die die Urteile zum Teil als zu milde kritisierten.

MTV-Halle, Lindenstraße 30 in Lüneburg, etwa 1965.
Privatbesitz Beckmann | ArGW.
Die Rückgabe der Turnhalle an den MTV erfolgte erst im Februar 1947. Noch Anfang der 1960er-Jahre wurde sie „Belsen‐Halle“ genannt. Ab dem 16. Februar 1976 begann im Zuge von Straßenumbaumaßnahmen der Abriss gegen den Widerstand von Teilen der Lüneburger Zivilgesellschaft. Damit wurde ein wichtiges Denkmal der Erinnerungskultur unwiederbringlich zerstört.
In ganz Deutschland entstanden ab Ende der 1840er-Jahre Turnhallen. Sie boten den Turnerschaften Schutz vor dem Wetter und dienten als Lagerort für Turngeräte und Löschutensilien, denn die Turner stellten häufig die freiwillige Feuerwehr. Ab 1860 bemühte sich der MTV um den Bau einer Turnhalle. Allerdings reagierte die Lokalpolitik nur sehr verhalten. Die Eröffnung fand am 30. Oktober 1880 statt. Nach Entwürfen des Stadtbaumeisters August Maske wurde ein funktionales Gebäude im Stil der Zeit realisiert. Zwei markante Schlauchtürme beherrschten die Nordseite und waren auf die Lüneburger Altstadt ausgerichtet.
In der Halle fanden neben Schul‐ und Vereinssport auch Maskenbälle, Theateraufführungen und Konzerte statt. Im Ersten Weltkrieg diente die Halle als Militärkantine; im Zweiten Weltkrieg wurde sie zeitweise als Getreidelager genutzt, sie war auch Notunterkunft für Ausgebombte und Flüchtlinge.