Kinder-Fach-Abteilungen

Im Nation-Sozialismus gibt es Kinder-Fach-Abteilungen.
Das sind besondere Kinder-Stationen.
In einer Anstalt.
Oder in einem Kranken-Haus.
Oder in einem Heim.

Da kommen Kinder und Jugendliche mit Behinderungen hin.
Und Kinder und Jugendliche mit seelischen Erkrankungen.
Oder besonderem Verhalten.
Die Jüngsten sind 1 Tag alt.
Die Ältesten sind 16 Jahre alt.

Es gibt 31 Kinder-Fach-Abteilungen im National-Sozialismus.
Die Erste im Jahr 1940.
Es gibt sie bis in das Jahr 1945.
5 Jahre lang ermorden Ärzte und Pfleger dort Kinder und Jugendliche.

Sie untersuchen die Kinder und Jugendlichen zuerst.
Sie probieren Medikamente aus.
Das ist gefährlich.
Die Kinder und Jugendlichen werden davon krank.

Ein Arzt entscheidet:
Dieses Kind oder dieser Jugendliche ist schlau.
Es darf leben.

Oder der Arzt entscheidet:
Dieses Kind oder dieser Jugendliche ist dumm.
Es kann nichts.
Deswegen muss es sterben.
Dann wird das Kind oder der Jugendliche ermordet.

Bei der Entscheidung bekommt der Arzt Hilfe.
Vom Reichs-Aus-Schuss.
Das sind 3 Ärzte.
Sie kennen das Kind und den Jugendlichen nicht.
Sie kennen nur den Bericht vom Arzt.
Sie sagen dem Arzt:
Du darfst das Kind ermorden.

Für die Ermordung wird der Arzt sogar belohnt.
Und die Pfleger auch.
Sie bekommen mehr Geld.
Im National-Sozialismus gibt es diese Kinder-Fach-Abteilungen:
Ansbach
Berlin-Wittenau
Breslau
Dortmund-Aplerbeck
Eglfing-Haar
Eichberg
Göhrden
Graz
Großschweidnitz
Hamburg-Langenhorn
Hamburg-Rothenburgsort
Kalmenhof
Kaufbeuren
Konradstein
Leipzig
Leipzig-Dösen
Loben
Lüneburg
Marsberg
Sachsenberg
Schleswig-Hesterberg
Schleswig-Stadtfeld
Stadtroda
Stuttgart
Tiegenhof
Uchtspringe
Ueckermünde
Waldniel
Wien
Wiesengrund
Wiesloch

Kinder-Fach-Abteilung Waldniel und Gedenk-Ort

Waldniel ist ein Ort in Nord-Rhein-West-Falen.
Das ist ein Bundes-Land in der Mitte Deutsch-Lands.

Dort gibt es ein besonderes Kranken-Haus.
Im National-Sozialismus gibt es dort eine Kinder-Fach-Abteilung.
Das ist eine Abteilung nur für Kinder und Jugendliche.
In Waldniel werden 99 Kinder ermordet.
Das ist in den Jahren 1941 bis 1943.

Der erste Arzt ist Doktor Renno.
Er weiß wie man Kinder und Jugendliche ermordet.
Das hat er vorher geübt.
Vorher ermordet er über 18.000 Menschen mit Behinderungen mit Gas.
In der Tötungs-Anstalt Hart-Heim.
Und er übt das Morden mit Medikamenten in Leipzig.
Das ist eine Stadt in Ost-Deutsch-Land.

Dann wird er Leiter der Kinder-Fach-Abteilung in Waldniel.
Dort entscheidet er:
Dieses Kind ist dumm.
Es darf ermordet werden.

Aber das macht er nicht lange.
Er wird krank.
Er bekommt Tuberkulose.
Das ist eine Lungen-Krankheit.

Frau Doktor Wesse übernimmt seine Arbeit.
Aber sie kann das nicht richtig.
Sie hat einen Ehe-Mann.
Der ist auch Arzt.
Der wird neuer Leiter der Kinder-Fach-Abteilung.
Er lernt das Ermorden von Kindern in anderen Anstalten.

Als er es gelernt hat
kommt er zurück nach Waldniel.
Dort ermordet er über 75 Kinder und Jugendliche.
Das macht er bis in das Jahr 1943.

Im Sommer im Jahr 1943 ist Schluss.
Das besondere Kranken-Haus in Waldniel wird gebraucht.
Als Ersatz-Kranken-Haus.
Viele andere Kranken-Häuser sind durch den Krieg kaputt.
Deswegen braucht man Waldniel.
Die Kinder-Fach-Abteilung wird geschlossen.

183 Kinder und Jugendliche kommen wo-anders hin.
Sie kommen in andere Kinder-Fach-Abteilungen.
38 Kinder und Jugendliche kommen nach Lüne-Burg.
In die Kinder-Fach-Abteilung Lüne-Burg.

25 von ihnen werden in Lüne-Burg ermordet.
Nur ein einziges Kind wird entlassen.
Ein zweites Kind kommt nach Lemgo.
Das ist eine Stadt in Nord-Rhein-West-Falen.
Da gibt es eine Hilfs-Schule.
Da kann es zur Schule gehen.

Im Jahr 1962 beginnen Menschen zu fragen:
Was ist in Waldniel passiert?
20 Jahre später gibt es Antworten.
Im Jahr 1982 ist der Mord an den Kindern kein Geheimnis mehr.
Es wird eine Gedenk-Tafel auf-gehängt.
Auf dem Fried-Hof in Waldniel.
Darauf steht:
Hier wurden viele Menschen mit Behinderungen ermordet.
Auch Kinder und Jugendliche.

Das reicht den Menschen die da wohnen nicht.
Sie wollen einen Gedenk-Ort.
1988 ist der Gedenk-Ort fertig.
Es ist ein Fried-Hof.
Mit Gedenk-Steinen.
Darauf steht:
Hier wurden Menschen ermordet.
Das ist den Menschen immer noch nicht genug.
Sie wollen auch die Namen zeigen.
Im Jahr 2018 ist der neue Gedenk-Ort fertig.
Er ist auf dem gleichen Fried-Hof.
Jetzt kann man die Namen der Opfer lesen.

Eckart Willumeit

Eckart Willumeit ist 1928 geboren.
Er kommt aus Celle.
Er hat 3 ältere Geschwister.

Eckart wird mit dem Down-Syndrom geboren.
Er hat eine Behinderung.
Er entwickelt sich langsamer als andere Kinder.
Deshalb darf er nicht zur Schule gehen.
Auch auf die Schule für Kinder mit Behinderungen darf er nicht gehen.

Der Vater von Eckart ist von Beruf Maler.
Und er ist National-Sozialist.
Er ist zwischen dem Jahr 1927 und 1933 im Stadt-Rat.
Für die NSDAP.
Das ist die Partei der National-Sozialisten.

Die Eltern trennen sich.
Eckart bleibt bei seiner Mutter.

Ein Arzt im Gesundheits-Amt will Eckhardt sehen.
Da ist Eckart 9 Jahre alt.
Der Arzt unter-sucht ihn.
Er entscheidet:
Eckhardt kann zur Schule gehen.

Aber der Arzt sagt auch:
Die Mutter von Eckart ist nicht gut für ihn.
Sie hilft ihm nicht genug.
Zu Hause bleibt er dumm.
Darum muss Eckart in eine Anstalt.
Eine Anstalt ist ein besonderes Kranken-Haus.

Er kommt in eine Anstalt nach Hannover.
Seine Mutter besucht ihn oft.
Sie holt ihn auf Urlaub nach Hause.
Und sie schreibt ihm Briefe.
Sie hat große Sehn-Sucht nach ihm.
Eckart ist auch sehr traurig.
Er vermisst seine Familie.
Aber er geht zur Schule.
Er lernt Buchstaben.
Und er lernt lesen.

1 Jahr vergeht.
Eckart kommt in eine Anstalt nach Roten-Burg.
Dort gibt es keine Schule.
Es geht im schlechter.

Im Oktober 1941 kommt Eckart nach Lüne-Burg.
In die Kinder-Fach-Abteilung.
Dort geht es im noch schlechter.
Er bekommt zu viel von einem Medikament.
Daran stirbt er.
Er wird ermordet.
Das ist im Februar 1942.
Eckhardt ist da 13 Jahre alt.

Eckhardt wird in Celle beerdigt.
So will es seine Mutter.
Sie holt seinen toten Körper nach Hause.

Das ist ein Foto von Eckart Willumeit.

Auf dem Bild ist er 10 Jahre alt.

Das Foto wurde in der Anstalt in Roten-Burg gemacht.

Rotenburger Anstalten der Inneren Mission

Die Rotenburger Anstalten der Inneren Mission (Rechtsnachfolger sind heute die »Rotenburger Werke«) waren und sind noch heute eine Einrichtung für Menschen mit Behinderungen in kirchlicher Trägerschaft. Das 1880 eingerichtete »Asyl für die Pflege Epileptischer« gehörte zu den größten Heil- und Pflegeeinrichtungen der Provinz Hannover.

Zwischen 1940 und 1941 sind unter der Leitung des Pastors Johannes Buhrfeind sowie des leitenden Arztes Dr. Kurt Magunna nach derzeitigem Forschungsstand mindestens 562 Patient*innen Opfer der »Aktion T4« geworden. Darüber hinaus beteiligten sich die Anstalten der Inneren Mission (bis 9. Januar 1940 unter ärztlicher Leitung von Dr. Wening) zwischen 1934 und 1942 umfangreich an der Zwangssterilisation. Nachweislich wurden mindestens 335 Bewohner*innen gegen ihren Willen unfruchtbar gemacht.

Ab Herbst 1941 dienten die Anstalten als Ausweichkrankenhaus, es wurde ein Reservelazarett eingerichtet. Lediglich 240 Bewohner*innen blieben, die übrigen wurden in andere Anstalten verlegt.
Hierzu gehörten auch die Kinder und Jugendlichen der »Kinderabteilung«, die aufgelöst wurde. Infolgedessen wurden am 9. und 10. Oktober 1941 138 Kinder und Jugendliche (unter ihnen acht Kinder mit Diphterie-Erkrankung) in die »Kinderfachabteilung« Lüneburg verlegt. 88 Prozent von ihnen starben, überwiegend in den Jahren 1942 und 1943. Nur neun Jungen und sieben Mädchen überlebten.

Darüber hinaus legen Krankenakten die Vermutung nahe, dass die Versorgung der Kinder und Jugendlichen in den Anstalten der Inneren Mission auch vor ihrer Verlegung im Herbst 1941, spätestens ab 1938, desolat gewesen war.

Die Rotenburger Werke der Inneren Mission arbeiteten ihre Geschichte ab 1990 auf. Hierzu gehörte nicht nur die Beschäftigung mit den Verbrechen im Nationalsozialismus, sondern auch die historisch-wissenschaftliche Aufarbeitung von Gewalt- und Zwangsmaßnahmen nach 1945 bis zum Jahr 2000.

»Kinderfachabteilung« Waldniel und Gedenkort Waldniel-Hostert

Ab 1941 wurde im ehemaligen »Schutzengelhaus« des ehemaligen St. Josefsheims der Franziskaner als Teil der Heil- und Pflegeanstalt Johannistal in Viersen-Süchteln eine »Kinderfachabteilung« betrieben, in der nach aktuellem Forschungsstand insgesamt 99 Kinder und Jugendliche untersucht, selektiert und ermordet wurden.

Der erste Leiter der »Kinderfachabteilung« Waldniel war Dr. Georg Renno. Er hatte gemeinsam mit Dr. Hermann Nitsche in Leipzig-Dösen gearbeitet und den Mord mit Barbituraten, das sogenannte »Luminalschema«, mitentwickelt. Danach war er stellvertretender Leiter der Tötungsanstalt Hartheim (bei Linz in Österreich), in der er im Rahmen der »Aktion T4« über 18.000 Menschen mit Kohlenmonoxid vergasen ließ.

Renno verließ die »Kinderfachabteilung« bereits nach wenigen Monaten im Februar 1942 aufgrund seiner Tuberkulose-Erkrankung. Ab 1. Oktober 1942 übernahm der Arzt Dr. Hermann Wesse die Leitung der Abteilung. Zuvor hatte seine Frau, Dr. Hildegard Wesse, die vorübergehende Leitung der »Kinderfachabteilung« inne. Wesse ließ sich unterdessen in der »Kinderfachabteilung« Göhrden sowie in der Bonner Kinderheilanstalt in der praktischen Handhabung der »Kinder-Euthanasie« fortbilden.

Im Zuge von Strafverfolgungen nach 1945 gestand Wesse in seiner Zeit als leitender Arzt Kinder und Jugendliche in der »Kinderfachabteilung« Waldniel ermordet zu haben. Die von ihm angegebene Zahl 30 entspricht nicht den später nachgewiesenen Todesfällen. In seiner Zeit sind tatsächlich mehr als doppelt so viele Kinder und Jugendliche ermordet worden.

Anfang Juli 1943 wurde die »Kinderfachabteilung« Waldniel kriegsbedingt aufgelöst. Die Einrichtung wurde als Ausweichkrankenhaus benötigt. Die verbliebenen 183 Kinder und Jugendlichen wurden in fünf andere »Kinderfachabteilungen« verlegt. Die Verlegungen erfolgten nach Ansbach, Göhrden, Uchtspringe, Ueckermünde und Lüneburg. Die »Kinderfachabteilung« Lüneburg nahm am 3. Juli 1943 insgesamt 38 Kinder und Jugendliche aus Waldniel auf. Mindestens 25 von ihnen überlebten nicht. Ein Kind wurde neun Wochen nach der Verlegung nach Lüneburg »ungeheilt entlassen«. Ein weiteres Kind wurde im August 1944 in die Stiftung Eben-Ezer nach Lemgo weiterverlegt.

Obwohl es nach 1945 ein Ermittlungsverfahren gegen Hermann Wesse gab, begann eine erste Aufarbeitung der Verbrechen in Waldniel erst im Jahr 1962 auf Initiative der Kirchengemeinden. Auf dem Friedhof wurde im selben Jahr ein Ehrenfriedhof mit Hochkreuz hergerichtet. 1982 wurde das Hochkreuz mit einer Gedenktafel für die Opfer der »Euthanasie« versehen. Zwischen 1986 und 1988 wurde der inzwischen entwidmete Friedhof von der Gemeinde Schwalmtal sowie mit Unterstützung einer ortsansässigen Hauptschule in eine Gedenkstätte umgewandelt. Zwischen 2016 und 2018 wurde der Gedenkort von der Wiener Arbeitsgemeinschaft Struber_Gruber neugestaltet und am 29. Mai 2018 eingeweiht. Wesentliches Merkmal der künstlerischen Gestaltung ist die Nennung der bekannten Namen der Opfer.

»Kinderfachabteilungen«

Nachweislich hat es zwischen 1939 und 1945 mindestens 31 »Kinderfachabteilungen« gegeben. Sie waren in Heil- und Pflegeanstalten, Nervenkliniken, Heilerziehungsanstalten, Kinderkrankenhäusern und Heimen eingerichtet worden und dienten dem Zweck, Kinder und Jugendliche zu konzentrieren, ihre Erkrankungsbilder bzw. Behinderungen zu untersuchen, über die »Bildungs- und Erziehungsfähigkeit« der bis 16 Jahre alten Patient*innen zu entscheiden sowie sie zu ermorden. Auch an nicht für die Ermordung in Frage kommenden Kindern und Jugendlichen wurden mancherorts Medikamente erprobt.

Legt man für die Identifikation einer »Kinderfachabteilung« zugrunde, dass das dort

• beschäftigtes Personal Sonderzuwendungen des »Reichsausschusses« für ausgewählte Ärzte und Pfleger*innen (oft in Form einer »Weihnachtsgratifikation«) erhielten und
• es Dokumente zu diesen Orten gibt, in denen explizit Bezug genommen wird auf »Kinderfachabteilung« und den »Reichausschuss«,

sind diese ehemaligen 31 »Kinderfachabteilungen« nach jetzigem Forschungsstand nachgewiesen (in alphabetischer Reihenfolge mit Angabe der Trägerschaft und Beginn der Tätigkeit):

AnsbachHeil- und PflegeanstaltDez 42
Berlin-WittenauStädtische Nervenklinik für Kinder und Jugendliche
(»Wiesengrund«)
Feb 42
BreslauKrankenhaus Nord (Institut für praktische Psychiatrie
und Psychiatrische Erbforschung)
1943
Dortmund-AplerbeckHeil- und Pflegeanstalt1942
Eglfing-HaarHeil- und PflegeanstaltOkt 40
EichbergLandesheilanstalt1941
GöhrdenLandesanstalt1940
GrazHeil- und Pflegeanstalt »Am Feldhof«?
GroßschweidnitzLandesanstaltDez 43
Hamburg-LangenhornHeil- und PflegeanstaltFeb 41
Hamburg-RothenburgsortKinderkrankenhaus1942
KalmenhofHeilerziehungsanstalt (Idstein im Taunus)1941
KaufbeurenHeil- und PflegeanstaltDez 41
KonradsteinHeil- und Pflegeanstalt?
LeipzigUniversitäts-Kinderklinik1941
Leipzig-DösenHeil- und PflegeanstaltNov 40
LobenHeil- und Pflegeanstalt1941
LüneburgHeil- und PflegeanstaltOkt 41
MarsbergHeilanstalt1940
SachsenbergHeil- und Pflegeanstalt (bei Schwerin)1941
Schleswig-HesterbergLandesjugend- und Landespflegeheim1940
Schleswig-StadtfeldHeil- und PflegeanstaltFeb 41
StadtrodaLandesheilanstalt?
StuttgartStädtische Kinderheime1942
TiegenhofLandesheilanstalt1943
UchtspringeLandesheilanstaltJun 41
UeckermündeHeil- und Pflegeanstalt?
WaldnielHeil- und Pflegeanstalt1941
WienStädtische Jugendfürsorgeanstalt »Am Spiegelgrund«1940
WiesengrundHeil- und Pflegeanstalt (Sudetengau)1942
WieslochHeil- und Pflegeanstalt1940