Familie Münzer

Die gesamte Familie Münzer geriet ins Visier der Rassenhygiene. Von insgesamt neun Geschwistern wurden vier gegen ihren Willen sterilisiert. Maßgeblich war nicht nur ein Romno-Hintergrund, sondern auch, dass es uneheliche Kinder gab und Vorstrafen vorlagen. Die Geschwister Münzer stehen somit für das systematische Vorgehen gegen Familien mit kultureller Differenz.

Die Familie wurde mittels »Sippenfragebögen« und »Sippentafeln« auf »rassenbiologische Reinheit« kontrolliert. Auf der Sippentafel der jüngsten Schwester Charlotte waren »mindestens zwei Fälle einer sittlichen Haltlosigkeit« dokumentiert. Ebenso wurde Kriminalität und »Schwachsinn« vermerkt. Die Anzahl der als »schwachsinnig« gekennzeichneten Familienmitglieder unterschied sich jedoch je nach Sippentafel. Dora Münzers Zwangssterilisation wurde damit begründet, sie habe zwei uneheliche Kinder, sie sei »schwachsinnig« und »asozial«. Obendrein unterstellte man ihr, sie sei eine völlig unfähige Hausfrau mit »minderwertigen Kindern«.

Ihr Bruder Friedrich wurde nach seiner Sterilisation direkt ins Gefängnis entlassen. Er war dem Gesundheitsamt und Erbgesundheitsgericht durch Vorstrafen wegen Unterschlagung und Diebstahl negativ aufgefallen. Albert Münzers Antrag auf Sterilisation wurde in erster Instanz abgelehnt. Seine Intelligenzprüfung ergab keine ausreichenden Defizite. Der Amtsarzt Hans Rohlfing legte Einspruch ein – mit Erfolg. Das Erbgesundheitsobergericht in Celle hob den Lüneburger »Freispruch« auf. Am 25. Oktober 1937 wurde Albert daraufhin ebenfalls sterilisiert. Einzige Begründung war, er stamme aus einer erblich »minderwertigen« Familie.

Im Gegensatz zu ihrem Bruder Albert, gelang es Charlotte Münzer, das Gericht davon zu überzeugen, dass sie keinen »angeborenen Schwachsinn« habe. Der Antrag auf Sterilisation wurde abgelehnt. Sie wurde nicht sterilisiert. Frieda Grass, geborene Münzer, wurde neun Tage vor ihrem Bruder Friedrich zwangssterilisiert. Nach Kriegsende hörte die rassenhygienische Entrechtung nicht auf. Im August 1945 wurde ihm die Ehetauglichkeit wieder abgesprochen und eine zweite Ehe mit Lily G. versagt. Amtsarzt war immer noch Hans Rohlfing, der bereits im Nationalsozialismus seine Sterilisation angezeigt und empfohlen hatte. Auch die Einbeziehung der britischen Militärbehörde sorgte nicht für die erforderliche Heiratserlaubnis.

Sippentafel von Charlotte Münzer.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1223.

Bericht zum Antrag auf Sterilisation von Charlotte Münzer, ca. 1938.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1223.

Ärztlicher Bericht über die Sterilisation von Ferdinand Münzer, 3.2.1941.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1223.

Fotos aus dem amtsärztlichen Gutachten von Charlotte Münzer vom 8.2.1938.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1223.

Fotos aus dem amtsärztlichen Gutachten von Frieda Münzer vom 20.12.1937.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1223.

Erst nach den Sterilisationen von Ferdinand Münzer und seiner Verlobten Marie Borsch erhielten beide die Eheerlaubnis.

Ehetauglichkeitszeignis, 7.8.1941.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1223.

Familie Münzer

Alle aus der Familie Münzer werden von den Nazis verfolgt.
Von neun Geschwistern werden vier zwangs-sterilisiert.
Ein Grund ist:
Die Familie gehört zu den Roma.
Die Roma werden von den Nazis verfolgt.

Andere Gründe sind:
Manche aus der Familie Münzer haben Kinder,
obwohl sie nicht verheiratet sind.
Manche waren mal im Gefängnis.
Die Nazis sagen:
Die Familie Münzer ist asozial.

Die ganze Familie wird unter-sucht.
Fast jeder hat eine »Sippen-Tafel«.
Eine »Sippe« ist die ganze Familie.
Mit allen Verwandten.
Auf der »Sippen-Tafel« steht alles drauf.
Ob einer in der Familie krank ist.
Oder in einer Anstalt war.
Oder sonst etwas tut, was die Nazis nicht wollen.

Die jüngste Schwester Charlotte hat auch eine »Sippen-Tafel«.
Darauf steht:
Einige in der Familie Münzer sind kriminell.
Andere sind schwach-sinnig.
Manche haben Sex mit verschiedenen Menschen.

Dora Münzer wird zwangs-sterilisiert.
Die Nazis sagen:
Dora hat zwei un-eheliche Kinder.
Sie ist schwach-sinnig und asozial.
Sie ist eine schlechte Haus-Frau.
Ihre Kinder sind minder-wertig.

Doras Bruder Friedrich wird auch zwangs-sterilisiert.
Danach kommt er gleich ins Gefängnis.
Die Nazis sagen:
Friedrich ist kriminell.

Auch Charlotte Münzer muss vor Gericht.
Sie sagt:
Ich bin nicht schwach-sinnig.
Das Gericht glaubt ihr.
Charlotte wird nicht zwangs-sterilisiert.

Frieda wird auch zwangs-sterilisiert.
Neun Tage vor ihrem Bruder Friedrich.

Im August 1945 will Friedrich noch einmal heiraten.
Aber das darf er nicht.
Der Amts-Arzt verbietet es ihm.
Derselbe Arzt hat vorher entschieden:
Friedrich gehört zwangs-sterilisiert.
Nach der Nazi-Zeit ist er immer noch Amts-Arzt.
Auch die britische Militär-Regierung hilft Friedrich nicht.
Der Krieg ist vorbei.
Aber das Un-Recht hört nicht auf.

Das ist die Sippen-Tafel von Charlotte Münzer.

Das ist ein Arzt-Bericht.
Zur Zwangs-Sterilisation von Charlotte Münzer.
Darin steht:
Viele Mitglieder der Familie Münzer sind asozial.
Auch Charlotte soll sterilisiert werden.
Der Bericht ist aus dem Jahr 1938.

Das ist ein Arzt-Bericht.
Der Bericht ist über die Zwangs-Sterilisation von Ferdinand Münzer.
Der Bericht ist aus dem Jahr 1941.

Das sind Fotos.
Sie sind auf der Akte von Charlotte Münzer.
Sie sind aus dem Jahr 1938.

Das sind Fotos.
Sie sind aus der Akte von Frieda Münzer.
Sie sind aus dem Jahr 1937.

Friedrich darf seine Verlobte heiraten.
Aber erst nach der Zwang-Sterilisation.
Das steht in der Ehe-Erlaubnis.
Die Ehe-Erlaubnis ist aus dem Jahr 1941.

Emmi Nielson

Emmi Nielson ist eine Halb-Schwester von Karl und Georg.
Emmi wird auch angezeigt.
Beim Erb-Gesundheits-Gericht in Lüneburg.
Weil sie zur Familie Marienberg gehört.

Das Gericht sagt am 14. April 1942:
Emmi Nielson soll sterilisiert werden.
Emmi will das nicht.
Sie beschwert sich.
Aber ihre Beschwerde hat keinen Erfolg.

Sie bekommt einen Termin im Kranken-Haus.
Aber sie geht einfach nicht hin.
Damit verstößt sie gegen das Gerichts-Urteil.
Deswegen wird sie von der Polizei gesucht.

Emmi versteckt sich.
Weil sie nicht operiert werden will.
Aber die Polizei findet sie.
Sie bekommt eine Haft-Strafe.
Sie muss 6 Monate ins Gefängnis.
Weil sie nicht unfruchtbar gemacht werden will.

Nach 6 Monaten wird sie aus dem Gefängnis entlassen.
Am gleichen Tag wird sie operiert.
Man holt sie im Gefängnis ab.
Man bringt sie direkt ins Kranken-Haus.
Damit sie sich kein zweites Mal versteckt.
Deshalb wird Emmi am 15. März 1943 operiert.
Gegen ihren Willen.

1951 ist der Krieg 6 Jahre vorbei.
Die Nazis haben keine Macht mehr.
Deswegen geht Emmi vor Gericht.
Wie ihr Halb-Bruder Georg.
Sie will auch eine Entschuldigung.
Und Schmerzens-Geld.
Wieder ist der Richter Dr. Jahn.
Der gleiche Richter wie bei Georg.
Auch Emmi Nielson bekommt kein Recht.
Sie bekommt kein Schmerzens-Geld.
Die Sterilisation wird nicht rückgängig gemacht.
Sie bekommt keine Entschuldigung.

Nur ganz wenige Urteile wurden geändert.
Meistens entschied das Ober-Gericht genauso wie das Gericht in Lüneburg.
Das ist ein Urteil des Ober-Gerichtes.
Es ist das Urteil zu Thea Marienberg.
Darin steht:
Das Gericht in Lüneburg hat recht.
Thea darf unfruchtbar gemacht werden.
Das Urteil ist vom 16. Juli 1940.
Danach wurde Thea operiert.

Heinrich Röhrup

Heinrich Röhrup wird am 30. Januar 1914 in Wulstorf geboren.
Das ist im Land-Kreis Lüneburg.
Nach der Schule arbeitet er als Hilfs-Arbeiter.
Er wohnt mit seiner Familie in Lüneburg.

1936 wird Heinrich Soldat bei der Marine in Kiel.
Er versteht nicht immer alles.
Zum Beispiel was die Lehrer sagen.
Er gehorcht auch nicht immer den Befehlen.
Darum kommt er ins Kranken-Haus der Marine.
Die Ärzte sagen:
Heinrich ist geistes-krank.
Er muss in eine Anstalt.

Erst kommt Heinrich in eine Anstalt nach Neustadt.
Das ist in Nord-Deutsch-Land.
Die Ärzte dort sagen:
Heinrich muss unfruchtbar gemacht werden.
Da ist Heinrich 23 Jahre alt.

Von Neustadt kommt Heinrich in die Anstalt nach Lüneburg.
Weil seine Familie in Lüneburg lebt.
Am 21. Februar 1938 wird Heinrich im Lüneburger Kranken-Haus operiert.
Er wird unfruchtbar gemacht.
Da ist er 24 Jahre.
Kurz danach darf er nach Hause zu seiner Familie.

Ein Jahr später hat Heinrich Wut-Anfälle.
Er muss wieder in die Lüneburger Anstalt.
Die Ärzte sagen:
Heinrich ist sehr dumm.
Sie sagen auch:
Heinrich ist verrückt.
Nun muss Heinrich in der Anstalt bleiben.

Dann sagen die Ärzte in der Lüneburger Anstalt:
Heinrich ist gefährlich.
Er soll sterben.
Sie melden ihn bei dem Amt in der Tier-Garten-Straße 4 in Berlin.
Dort werden die Morde an den Patienten geplant.

Die Ärzte in Berlin setzen Heinrich auf eine Todes-Liste.
Am 7. März 1941 wird Heinrich in die Anstalt Pirna-Sonnenstein verlegt.
Das ist eine Tötungs-Anstalt in Sachsen.
Dort wird Heinrich in der Gas-Kammer ermordet.
Er ist 27 Jahre alt.

Das ist das Gerichts-Urteil vom 29. Dezember 1937.
Vom Erb-Gesundheits-Gericht in Lübeck.
Darin steht:
Heinrich Röhrup ist sehr dumm.
Er ist schwach-sinnig.
Er soll keine Kinder haben.
Er soll sterilisiert werden.

Zwangs-Sterilisation in Lüne-Burg

Auch in Lüne-Burg gibt es den National-Sozialismus.
Zwischen 1933 und 1945.
Menschen mit Behinderung und Krankheiten werden in der Zeit angezeigt.
Beim Gesundheits-Amt.
Meistens machen Ärzte eine Anzeige.
Aber auch Lehrer oder Erzieher.
Jeder kann so eine Anzeige machen.

Es gibt fast 4 Tausend Anzeigen beim Gesundheits-Amt in Lüne-Burg.
So viele Menschen sollen un-frucht-bar gemacht werden.
Es gibt mehr als 2 Tausend Gerichts-Verhandlungen.
Lüne-Burg hat ein eigenes Erb-Gesundheits-Gericht.

Es gibt noch viele Akten aus dem Gericht.
In den Akten steht alles drin über die Verhandlung.
Und über das Urteil.
Von über 800 Menschen wissen wir daher alles ganz genau.
Nur über die sprechen wir hier.
Auch wenn es eigentlich viel mehr sind.

Wilhelm Klatt ist der erste der un-frucht-bar gemacht wird.
Er wird am 19. Juni 1934 operiert.
Er ist Tapezierer.

Anni Korn ist die letzte die un-frucht-bar gemacht wird.
Sie wird am 7. März 1945 operiert.
Sie arbeitet in der Land-Wirtschaft.

Die meisten Operationen gibt es zwischen den Jahren 1934 und 1938.
Danach werden es weniger.
Weil ab 1939 Krieg ist.

Etwas mehr als die Hälfte der Sterilisierten sind Frauen.
Etwas weniger als die Hälfte sind Männer.
Bei ihrer Sterilisation sind die Menschen meistens unter 30 Jahre alt.
Das jüngste Opfer heißt Inge Wernitz.
Sie ist angeblich schwach-sinnig.
Sie wird im Lüne-Burger Kranken-Haus operiert.
Da ist sie erst 14 Jahre alt.

Der älteste Mann ist Gustav Lindenau.
Er ist ein Häftling in einem Konzentrations-Lager als das Gericht das entscheidet.
Er soll »schwerer Alkoholiker« sein.
Er ist 63 Jahre alt als er un-fruch-tbar gemacht wird.

Die meisten werden operiert wegen Schwach-Sinn.
Über 5 Hundert.
Über 1 Hundert werden operiert wegen Realitäts-Verlust.
Es gibt sehr strenge Regeln.
Wer sie nicht einhält wird auch operiert.
In Lüne-Burg sind es über 50.

Fast jeder Dritte lebt in der Stadt Lüne-Burg.
Oft wohnen mehrere Menschen in einer Straße.
Es sind Nachbarn.
Oder sie gehören zu einer Familie.