»Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses«

Das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« wurde am 14. Juli 1933 verabschiedet und trat am 1. Januar 1934 in Kraft. Es lieferte die gesetzliche Grundlage für hundertausendfache Zwangssterilisationen.

Die gesetzliche Regelung der Sterilisation war keine deutsche Erfindung und auch in Deutschland keine alleinige Erfindung der Nationalsozialisten. Bereits 1907 führte der Bundesstaat Indiana in den U.S.A. ein Gesetz ein, das die Sterilisation von Anstaltsinsassen ermöglichte. Bis 1921 führten 15 weitere Bundesstaaten der U.S.A. ebensolche gesetzlichen Regelungen ein, bis 1933 waren es bereits 30 Bundesstaaten. In 41 U.S.-Bundesstaaten gab es zudem »Eheverbote« für sogenannte Geisteskranke. Die erste Sterilisation gegen den Willen eines*r Betroffenen wurde 1927 durch den Supreme Court, dem US-amerikanischen höchsten Gerichtshof, entschieden.

Auch in einzelnen europäischen Ländern wurden Sterilisationsgesetzte erlassen. 1929 führte Dänemark ein solches Gesetz ein. Ab 1938 wurde das Ehegesetz verschärft und 1939 wurden rassenhygienisch begründete Schwangerschaftsabbrüche legitimiert. Schweden und Norwegen führten parallel zum Deutschen Reich Sterilisationsgesetze ein. Finnland folgte 1935, Lettland 1937 und Island 1938.

Dem deutschen Gesetz ging eine Entwicklung voraus. Bereits 1923 wurde von Gustav Boeters ein erster Gesetzentwurf vorgelegt. Der Landesgesundheitsrat beschäftigte sich ebenfalls mit dieser Fragestellung und legte 1932 einen zweiten Gesetzentwurf vor. Schließlich setzte sich die Überarbeitung des dritten Gesetzesentwurfs von Arthur Gütt, Alfred Ploetz und Ernst Rüdin durch.

Das Gesetz regelte, dass Menschen mit »1.) angeborenem Schwachsinn, 2.) Schizophrenie, 3.) Zirkulärem (manisch-depressivem) Irresein, 4.) erblicher Fallsucht, 5.) erblichem Veitstanz (Huntingtonsche Chorea), 6.) erblicher Blindheit, 7.) erblicher Taubheit, 8.) schwerer erblicher körperlicher Mißbildung« zu sterilisieren seien, wobei bei die »Erblichkeit« in Bezug auf nahezu alle dieser Erkrankungs- bzw. Störungsbilder wissenschaftlich noch nicht bewiesen war. Auch »schwerer Alkoholismus« wurde als Sterilisationsgrund aufgeführt.

Darüber hinaus regelte das deutsche Gesetz in §12 im Unterschied zu den Gesetzen anderer Ländern die Sterilisation wider Willen, in dem es hieß: »Hat das Gericht die Unfruchtbarmachung endgültig beschlossen, so ist sie auch gegen den Willen des Unfruchtbarzumachenden auszuführen, sofern nicht dieser allein den Antrag gestellt hat. Der beamtete Arzt hat bei der Polizeibehörde die erforderlichen Maßnahmen zu beantragen. Soweit andere Maßnahmen nicht ausreichen, ist die Anwendung unmittelbaren Zwanges zulässig.«

Ab 1936 konnte auch ein »moralischer Schwachsinn« oder »sozialer Schwachsinn« als Urteilsbegründung herangezogen werden. Obwohl das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« sogenannte »Asozialität« und »Kriminalität« nicht explizit als Gründe für eine Sterilisation benannte, wurden Personen mit wechselnden Geschlechtspartner*innen, die sich angeblich »unsittlich verhielten« oder »leicht sexuell erregbar« gewesen seien sowie Homosexuelle zwangssterilisiert.