Klaus Brünjes

»Als Kind sehnst du dich nach einem Strohhalm, und das sind ja oft die Eltern. Und diese Personen musste ich ewig loslassen, und eigentlich immer ins Leere wieder […].«

Gespräch mit Klaus Brünjes.

Klaus Brünjes ist 1958 geboren.
Er kommt aus Bremerhaven.
1960 kommen er und 2 Brüder in ein Heim.
Wegen Verwahr-losung und Unter-Ernährung

Im Heim wird er krank.
Er bekommt Kinder-Lähmung.
2,5 Jahre ist er im Kranken-Haus.

1963 kommt er in ein besonderes Kranken-Haus.
Die Rotenburger Anstalten.
Da ist er 5 Jahre alt.
Das Heim wird 1969 vom Amt zu gemacht. Wegen un-menschlicher Zustände.

1977 wird Klaus Brünjes Werkstatt-Mitarbeiter. Er hat ein Hobby:
Er sammelt alles zur Geschichte der Anstalt.
Briefe und Fotos.
Urkunden und Zeitungs-Berichte.

Alles was er sammelt kann er nicht lesen.
Aber er will alles verstehen.
Darum geht er zur Schule.
1981 bis 1983 macht er den Haupt-Schul-Abschluss.

Er macht dann auch einen Führer-Schein.
Und er lernt einen Beruf:
Heil-Erzieher.

Die Rotenburger Anstalten geben ihm Arbeit.
Als Heil-Erzieher.
Er baut sich 1994 ein Haus.
Er zieht aus der Anstalt aus.

Bis heute kümmert er sich um die Geschichte.
Von der Rotenburger Anstalt.
Er macht das Archiv.
Alles ehren-amtlich und ohne Geld.

Klaus Brünjes

»Als Kind sehnst du dich nach einem Strohhalm, und das sind ja oft die Eltern. Und diese Personen musste ich ewig loslassen, und eigentlich immer ins Leere wieder […].«

Interview mit Klaus Brünjes.

KLAUS BRÜNJES

wurde 1958 in Bremerhaven geboren. 1960 kam er zusammen mit seinem Zwillingsbruder und einem weiteren Bruder wegen Verwahr-losung und Unterernährung in ein Kinderheim nach Hever. Im Heim infizierte er sich folgenschwer an Polio. Daraufhin verbrachte er zweieinhalb Jahre in einer Fachklinik.
Am 13. Juni 1963 im Alter von 5 Jahren wurde er von dort als sogenannter »Krüppel« und »schwer geistig behindertes Kind« in die Rotenburger Anstalten der Inneren Mission (heute Rotenburger Werke) entlassen. Das Heim, aus dem er kam, wurde 1969 aufgrund menschenunwürdiger Zustände von den Behörden geschlossen.

1977 wurde Klaus Brünjes Mitarbeiter der Rotenburger Werke. Zu dieser Zeit sammelte er bereits Dokumente und Fotos aus der Anstaltsgeschichte der Rotenburger Werke. Er baute ein Archiv auf, ohne schreiben zu können und ohne die Unterlagen, die er zusammentrug, lesen zu können. Weil er verstehen wollte, was er sammelte, lernte er Lesen und Schreiben und holte 1981 bis 1983 seinen Hauptschulabschluss nach. Er machte einen Führerschein, machte eine heilpädagogische Berufsausbildung und wurde bei den Rotenburger Werken als Anleiter in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen eingestellt. Er baute sich 1994 ein Haus, zog aus der Anstalt aus und betreut bis heute ehrenamtlich das Archiv der Rotenburger Werke.

Familie Marienberg

»Mein Opa allerdings war Kommunist, und ebenfalls sein Bruder, dementsprechend ist die Familie aus politischen Gründen in Lüneburg von den Nazis verfolgt worden.«

Die Familie Marienberg kommt aus Lüneburg.
Sie sind Arbeiter.
Sie werden von Nazis verfolgt.
Weil einzelne die KPD unter-stützen.
Das ist eine radikale Arbeiter-Partei.
Sie sind gegen die Nazis.
Die Familie wird im Gesundheits-Amt erfasst.
Und viele Mitglieder werden zwangs-sterilisiert.

Thea Marienberg ist 1921 geboren.
Ihr Vater hat eine Transport-Firma mit Pferden.
In der Oberen Ohlingerstaße 10.
1939 braucht sie eine Heirats-Erlaubnis.
Damit sie Erich Harenburg heiraten kann.
Dafür muss sie sich sterilisieren lassen.
Die Familie sagt: Nein!
Thea Marienberg ist nicht krank.
Sie ist nur kein Nazi.
Das ist dem Erb-Gesundheits-Gericht egal.
Auch dem Ober-Gericht.

1940 wird Thea Marienberg zwangs-sterilisiert. 
Erst danach darf sie heiraten.

2 Cousins und einer Halb-Cousine geht es genauso.
Karl Marienberg wird 1938 zwangs-sterilisiert.
Auch er will nur heiraten.
Georg Marienberg wird 8 Wochen nach seinem Bruder zwangs-sterilisiert.
Ihre Halb-Schwester Emmi Nielson wird 1943 zwangs-sterilisiert.

Familie Marienberg

»Mein Opa allerdings war Kommunist, und ebenfalls sein Bruder, dementsprechend ist die Familie aus politischen Gründen in Lüneburg von den Nazis verfolgt worden.«

Interview mit Uwe Marienberg, Neffe von Thea Marienberg.

FAMILIE MARIENBERG

Mehrere Mitglieder der Lüneburger Familie Marienberg wurden gegen ihren Willen sterilisiert. Weil einzelne Familienmitglieder
mit der kommunistischen Partei sympathisierten, wurde die gesamte
Familie erbbiologisch erfasst.

Thea Marienberg (geboren 1921) war die Tochter des Fuhrunternehmers Otto Marienberg und dessen Frau Alwine.
Für ihre Heirat 1939 benötigte sie ein »Ehetauglichkeitszeugnis«, das ihr wegen angeblichem »Schwachsinn« in der Familie verwehrt wurde. Stattdessen wurde ein Verfahren zur Unfruchtbarmachung eingeleitet. Obwohl die Familie alles unternahm und Beschwerde gegen die Zwangssterilisation einlegte, wurde Thea Marienberg im Dezember 1940 im Städtischen Krankenhaus Lüneburg operiert. Danach stimmte Amtsarzt Rohlfing einer Eheschließung zu.

Zwei Cousins und einer Halbcousine erging es ähnlich wie Thea Marienberg. Gegen Karl Marienberg wurde ein Sterilisationsverfahren eingeleitet, als er heiraten wollte. Er wurde am 18. November 1938 zwangssterilisiert.
Karls Bruder Georg Marienberg wurde am 26. Juni 1938 beim Erbgesundheitsgericht Lüneburg angezeigt und acht Wochen nach seinem Bruder operiert. Ihre Halbschwester Emmi Nielson wurde am 15. März 1943 ebenfalls gegen ihren Willen sterilisiert.

Therese Schubert

»Das Schicksal von Therese lag ganz viele Jahre wie ein dunkler Schatten über der Familie. Das war wirklich, ja etwas was nicht geklärt war, und eine dunkle Seite.«

Gespräch mit Ulrike Haus. Therese Schubert war ihre Groß-Mutter.

Therese Schubert kommt aus Lüneburg.
Sie hat 2 ältere Schwestern.
1913/1914 geht sie in die USA.
Nach Somerset in Pennsylvania.
Danach wird sie Kinder-Gärtnerin.
In Hamburg.
1920 heiratet sie Heinrich Schubert.
Er ist Bau-Techniker.
Sie bekommen 2 Söhne: Jürgen und Theo.
3 Jahre später stirbt Heinrich Schubert.
Er schwimmt tot in der Ilmenau.

Das ist für Therese Schubert ein Schock.
Sie wird krank.
Sie kommt in den Ginsterhof bei Harburg.
Sie kommt ins besondere Kranken-Haus in Lüneburg.
Sie kommt in eine Privat-Klinik nach Schleswig-Holstein.
Ihre Schwester Christine kümmert sich um Jürgen und Theo.

1936 kommt Therese ins Kranken-Haus nach Lüneburg zurück.

Theo soll ihr Essen und Kleidung bringen.
Das macht er nicht.
Er hat Angst.
Er gibt die Sachen am Eingang ab.
Er sieht seine Mutter nie wieder.

Im April 1941 wird Therese Schubert in die Aktion T4 verlegt.
Sie wird am 28. Mai 1941 in Hadamar ermordet.

Die Familie bestattet die Urne.
Mit ihrer angeblichen Asche.
Sie bekommt ein Grab im Grab von ihrem Ehe-Mann Heinrich.



Therese Schubert

»Das Schicksal von Therese lag ganz viele Jahre wie ein dunkler Schatten über der Familie. Das war wirklich, ja etwas was nicht geklärt war, und eine dunkle Seite.«

Interview mit Ulrike Haus, Enkelin von Therese Schubert.

THERESE SCHUBERT (1887 – 1941)

geb. Keck, wurde als jüngste von drei Schwestern in Lüneburg geboren. Im Winter 1913/1914 ging sie nach Somerset, Pennsylvania (USA). Nach ihrer Rückkehr machte sie in Hamburg eine Ausbildung zur Erzieherin. 1920 heiratete Therese den Bautechniker Heinrich Schubert. 1922 und 1923 wurden ihre beiden Söhne Jürgen und Theo geboren. Die glückliche Ehe endete, als Heinrich Schubert im September 1926 tot in der Ilmenau aufgefunden wurde.

Therese verkraftete den Tod nicht. Sie erkrankte. Ihr Zustand verschlechterte sich zunehmend. Zunächst kam Therese in den Ginsterhof bei Harburg, dann in die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg, von dort in das private Sanatorium »Dr. Schulze« in Uelsby, Schleswig-Holstein. Ihre beiden Söhne wuchsen bei ihrer Schwester Christine auf. 1936 wurde Therese in die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg zurückverlegt. Thereses Schwester Christine schickte Theo häufiger in die Anstalt, um Apfelsinen und Kuchen zu bringen.

Aus Angst gab Theo die Sachen beim Pförtner ab und sah seine Mutter deshalb nie wieder.

Am 9. April 1941 wurde Therese Schubert nach Herborn und von dort am 28. Mai 1941 in die Tötungsanstalt Hadamar verlegt. Die Familie setzte die Urne mit der angeblichen Asche von Therese Schubert neben dem Grab ihres Ehemannes bei.


Franciszek Wajsen

»Ich wusste nicht, dass Zwangsarbeiter, Zwangsarbeiterinnen in psychiatrischen Krankenhäusern eingewiesen worden sind. Das ist für mich komisch. […] Wozu hat man sie hierher gebracht? Um sie hier zu quälen?«

Interview mit Magda Wajsen, Großnichte von Franciszek Wajsen.

FRANCISZEK WAJSEN (1921 – 1945)

kam aus Hrubieszów in Polen. Er war Sohn des Handwerkers Józef und von Katarzyna Wajsen. Franciszek hatte vier Brüder: Mieczysław (älter), Jan, Kazimierz und Stanisław. Er war der zweitälteste. Mieczysław Wajsen ging als »Volkdeutscher« nach Schlesien, er überlebte als Übersetzer in Frankreich. Der  jüngere Bruder Jan verschwand von einem Tag auf den anderen. Die Familie geht davon aus, dass er erschossen wurde.

Im Mai 1942 wurden Kazimierz und Franciszek Wajsen zur Zwangsarbeit nach Hamburg verschleppt. Sie wurden getrennt. Beide Brüder kamen in unterschiedliche »Arbeitserziehungs-lager« –  Franciszek wegen eines Fluchtver-suches, sein Bruder Kazimierz wegen »illegaler Versammlungen«. Kazimierz überlebte das Konzentrationslager Neuengamme und wurde im Mai 1945 auf dem Schiff »Athen« befreit.

Franciszek Wajsen hielt den Belastungen der Zwangsarbeit nicht stand. Er wurde von der Gestapo aufgegriffen und am 2. September 1942 in die Psychiatrie der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf eingewiesen. Weil er als »arbeits-unfähig« eingestuft wurde und der Betrieb ihn nicht zurück haben wollte, genehmigte das Arbeitsamt die vom Arzt angeratene Rückkehr nach Hause. Doch er kehrte nicht zurück.

Er kam in die »Ausländersammelstelle« in die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg.
Dort wurde er am 23. Januar 1945 ermordet.


Franciszek Wajsen

»Ich wusste nicht, dass Zwangsarbeiter, Zwangsarbeiterinnen in psychiatrische Krankenhäuser eingewiesen worden sind. Das ist für mich komisch. […] Wozu hat man sie hierher gebracht? Um sie hier zu quälen?«

Gespräch mit Magda Wajsen. Franciszek war ihr Groß-Onkel.

Franz Wajsen kommt aus Polen.
Sein Vater ist Hand-Werker.
Er war deutsch-jüdisch.
Franz hat 4 Brüder.
1 Bruder über-lebt den Krieg in Frankreich.
Dort ist er Über-Setzer.
1 Bruder verschwinden.
Die Familie denkt:
Er ist erschossen von deutschen Nazis.

Im Jahr 1942 wird Franz Wajsen verschleppt.
Nach Deutschland zur Zwangs-Arbeit.
Zusammen mit seinem Bruder.
Sie kommen nach Hamburg in 2 Lager.

Kazimierz über-lebt den Krieg.
Er ist im Konzentrations-Lager Neuengamme.
Er wird im Mai 1945 auf einem Schiff befreit.

Franz wird von der Zwangs-Arbeit krank.
Er kommt in das Universitäts-Kranken-Haus Hamburg-Eppendorf.

Das Arbeits-Amt sagt:
Franz ist zu krank für Zwangs-Arbeit.
Er darf nach Polen zurück.

Aber das passiert nicht.
Franz bleibt in Deutschland.
Er kommt in das besondere Kranken-Haus nach Lüneburg.

Er kommt in die Ausländer-Sammel-Stelle.
Dort wird er am 23. Januar 1945 ermordet.



Ingeborg Wahle

»Und wär sie nach Bethel gekommen, vielleicht lebte sie heute noch.«

Renate Baier. Ingeborg Wahle ist ihre Schwester.

Ingeborg Wahle kommt aus Göttingen.
Ihre Eltern sind Elfriede und Willi Wahle.
Ingeborg hat eine Schwester Renate.
Renate ist 2 Jahre jünger als Ingeborg.

Die Geburt von Ingeborg ist schwer.
Sie hat eine geistige Behinderung.

Ein Arzt vom Gesundheits-Amt Göttingen sagt:
Ingeborg muss in die Kinder-Fach-Abteilung.
Da ist Ingeborg 4 Jahre alt.
Im April 1944 kommt Ingeborg in Lüneburg an.

Sie wird sehr oft besucht.
Ihr Vater ist Soldat in Lüneburg.
Er kann oft kommen.
Ihre Mutter bekommt Frei-Karten für den Zug.
Sie kann oft kommen.
Alle Besuche sind mit Blei-Stift auf-geschrieben.
In der Kranken-Akte von Ingeborg Wahle.

Dann muss Willi Wahle in den Krieg.
Er ist nicht mehr in Lüneburg.
Er kann sie nicht mehr besuchen.
Und die Mutter bekommt keine Frei-Karten mehr.
Sie kann auch nicht mehr kommen.
Dann wird Ingeborg ermordet. 
Sie stirbt am 24. Februar 1945.

Ingeborg Wahle

»Und wär sie nach Bethel gekommen, vielleicht lebte sie heute noch.«

Interview mit Renate Beier, Schwester von Ingeborg Wahle.

INGEBORG WAHLE (1939 – 1945)

kam aus Göttingen. Sie war das zweite Kind von Elfriede, geborene Fendt, und Willi Wahle. Zwei Jahre später wurde ihre Schwester Renate geboren. Ingeborg hatte einen schweren Start ins Leben, ihre Entwicklung blieb verzögert.

Als Ingeborg vier Jahre alt war, stellten die Eltern sie dem Gesundheitsamt Göttingen vor. Der Amtsarzt Ritter ordnete die dringende Unterbringung in einer Anstalt an. Am 4. April 1944 wurde Ingeborg in der »Kinderfach-abteilung Lüneburg« untergebracht.

Im Vergleich zu anderen Kindern wurde Ingeborg oft besucht. Als Willi Wahle in einer Lüneburger Kaserne stationiert war, nutzte er jede Gelegenheit. Ingeborgs Mutter konnte oft kommen, weil der Großvater als Schaffner Freikarten bekam. Viele Besuche wurden auch mit Bleistift in die Krankengeschichte eingetragen.

Als Willi zum Fronteinsatz musste und auch die Freifahrten kriegsbedingt nicht mehr genehmigt wurden, wurde Ingeborg ermordet. Sie starb am 24. Februar 1945.