Geschwister Buhlrich

Hans Buhlrich ist am 1. Mai 1932 geboren.
Seine Mutter heißt Johanne.
Sein Vater heißt Wilhelm.
Er ist ihr ältestes Kind.

Hans hat einen lahmen Arm.
Er ist auch langsam im Denken.
Seine Schwestern heißen Erika und Margret.
Sie werden 1936 und 1941 geboren.

Hans kommt in ein Kinder-Heim.
Das ist ein halbes Jahr nach der Geburt von Margret.
Seine Mutter schafft keine drei Kinder.
Sie braucht eine Pause.

Hans hat kein Glück.
Er kommt im Heim an.
Wenige Tage später wird das Heim geräumt.
Alle kommen in ein anderes Kinder-Heim.
Hans kommt nach Kutzen-Berg.
Das neue Heim ist viele Auto-Stunden entfernt von Bremen.
Es ist in Bayern.

Dort stirbt Hans ein Jahr später.
An einer Herz-Schwäche.
Das ist nicht wahr.
Er wurde vermutlich getötet.

Die Schwester Erika wird krank.
Sie bekommt eine Hirn-Haut-Entzündung.
Da ist sie 1 Jahr alt.
Ihr Gehirn wird beschädigt.
Sie bekommt eine Behinderung.
Als Hans stirbt ist sie 6 Jahre alt.

Auch in Bremen ist Krieg.
Es fallen Bomben.
Die Menschen müssen sich schützen.
Sie müssen in einen besonderen Keller.
Dort werden sie nicht getroffen.
Oder nur ganz selten.

Auch die Mädchen müssen in den Keller.
Ihre Mutter wird beschimpft.
Weil Erika und Margret eine Behinderung haben.
Ihre Mutter muss sie in die Kinder-Fach-Abteilung bringen.
Sie kommen nach Lüneburg.

Die Mutter denkt:
Erika und Margret haben beide eine Behinderung.
Sie fragt den Arzt:
Warum habe ich drei Kinder mit Behinderungen?
Kann ich gesunde Kinder bekommen?

Die Mutter bekommt eine Antwort.
Der Arzt antwortet:
Das kann ich heraus-finden.
Dafür muss ich das Gehirn unter-suchen.

An das Gehirn kommt man nur wenn man tot ist.
Also werden Erika und Margret ermordet.
Danach sind alle drei Kinder von Johanne Buhlrich tot.

Der Arzt nimmt die Gehirne von Erika und Margret.
Die Gehirne werden unter-sucht.
Der Arzt sagt der Mutter:
Bekomme keine weiteren Kinder.

Sie nehmen sich eines anderen Kindes an.
Es ist ein Baby.
Es heißt Friedrich.
Er weiß nichts von seinen ermordeten Geschwistern.
Seine Eltern sterben.
Danach findet er die Sterbe-Urkunden.
Er findet raus:
Es gibt drei Geschwister.
Er will wissen:
Was ist mit ihnen passiert?
Warum sind sie tot?
Er macht sich auf die Suche nach ihnen.
Er findet heraus:
Alle drei Geschwister sind Opfer des Patienten-Mordes.
Sie wurden im National-Sozialismus ermordet.

Seitdem geht er in Schulen.
Er spricht mit Schülern.
Er erzählt die Geschichte seiner Geschwister.
Viele sollen davon erfahren.
Damit so etwas nie wieder passiert.

Das ist ein Foto.
Auf dem Foto ist Hans.
Er ist 4 Jahre alt.

Das ist ein Foto.
Es ist ein Foto von Erika.
Sie sitzt auf einer Decke.
Sie ist 1 Jahr alt.

Das ist ein Foto von Margret.
Sie ist im Garten.
Sie sammelt Äpfel.
Sie ist 3 Jahre alt.

Das ist eine Karte.
Darauf steht:
Hans Buhlrich ist seit September 1941 in Kutzen-Berg.
Im Oktober 1942 ist Hans tot.

Es ist ein Brief von Johanne Buhlrich.
Sie schreibt an die Anstalt.
Sie will wissen:
Warum sind meine Kinder krank?
Warum haben sie eine Behinderung?
Kann ich Kinder ohne Behinderung bekommen?

Das ist die Sterbe-Urkunde von Erika.
Darin steht:
Erika ist im November 1944 gestorben.
In ihrer Wohnung. Das ist falsch.
Sie stirbt in der Anstalt.
Das ist ihr letzter Wohn-Sitz.

Das ist die Sterbe-Urkunde von Margret.
Darin steht:
Margret ist im November 1944 gestorben.
In ihrer Wohnung. Das ist falsch.
Sie stirbt in der Anstalt.
Das ist ihr letzter Wohn-Sitz.

Günter Schulze

Günter Schulze war nur einen einzigen Monat Patient in der »Kinderfachabteilung« Lüneburg. Er wurde am 10. Juli 1944 aufgenommen, vier Wochen später, am 5. August 1944, wurde er ermordet. Er starb mit sieben Jahren. Sein Vater war zu diesem Zeitpunkt Feldwebel. Seine Mutter sorgte allein für die Kinder. Die siebenköpfige Familie mit schlesischen Wurzeln lebte in Hannover-Langenhagen.

Günter war das vierte Kind von Gertrud Schulze, geborene Dubiel, und Max Schulze, der Tapetendrucker war. Nach Günters Geburt am 1. Oktober 1936 wurde seine Schwester Ursula geboren. Es gab noch drei ältere Geschwister. Die Familie war glücklich, Günter erfuhr Teilhabe und liebevolle Zuwendung. Er war ein fröhliches Kind und bei allen Familienaktivitäten dabei.

Günter war ein sogenanntes »Reichsausschusskind«. Seine Einweisung in die Lüneburger »Kinderfachabteilung« ging vom Gesundheitsamt Hannover-Land aus. Die Hilfsärztin begründete ihren Antrag beim »Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden« in Berlin mit einem »angeborenen Wasserkopf« und seiner Entwicklungsverzögerung. Hinter der Formulierung »[wir] bitten Sie, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen« verbarg sich die Prüfung und Entscheidung, ob Günter für eine Tötung infrage kam.

Bereits zwei Wochen später wies der »Reichsausschuss« die Aufnahme an. Der Mutter widerstrebte es, ihr Kind nach Lüneburg zu bringen. Erst sechs Wochen später wurde Günter aufgenommen. Er wurde von seiner Mutter gebracht.

Günter konnte sprechen, seinen Namen nennen, alleine essen und wurde als ruhig und »freundlich«, »willig und folgsam« beschrieben. Nach dem Eintrag »bildungsunfähig« in seiner Krankengeschichte sind nur noch seine letzten elenden Tage dokumentiert. Offiziell wurde die Todesursache »Darmentzündung und Bronchitis« angegeben. Er starb am 5. August 1944, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgelöst durch eine Überdosis eines Betäubungsmittels. Sein Leichnam wurde auf Wunsch der Mutter nicht in Lüneburg bestattet, sondern nach Langenhagen überführt.

Über ein halbes Jahr später verweigerte Gertrud Schulze Zahlungsaufforderungen, für die Verpflegungskosten ihres ermordeten Sohnes Günter aufzukommen, die ihr seitens der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg in Rechnung gestellt worden waren. Am 17. Oktober 1945 – über ein Jahr nach dem Tod ihres Sohnes – wurden ihr die Kleidungsstücke ihres Sohnes persönlich ausgehändigt.

Foto der siebenköpfigen Familie Schulze, Weihnachten 1938.

Privatbesitz Ursula Heins.

Foto von Günter im Arm seiner Mutter, hinter ihm der Vater Max. Seine Schwester Ursula ist das Baby auf dem Arm, ca. Sommer 1938.

Privatbesitz Ursula Heins.

Gertrud, Ursula, Günter und Max Schulze, ca. 1943.

Privatbesitz Ursula Heins.

Aufnahmeantrag des Staatlichen Gesundheitsamts Hannover-Land vom 19.5.1944.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 387.

Schreiben des »Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden« an das Staatliche Gesundheitsamt Hannover-Land vom 27.5.1944.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 387.

Günter Schulze

Günter ist Patient der Kinder-Fach-Abteilung.
Für vier Wochen.
Er stirbt am 5. August 1944.
Da ist er sieben Jahre alt.

Günter hatte vier Geschwister.
Seine jüngere Schwester ist Ulla.
Seine älteren Geschwister kümmern sich um ihn.
Er ist glücklich.
Er ist immer dabei.

Günter hat einen Wasser-Kopf.
Deswegen wird er gemeldet nach Berlin.
Dort entscheiden drei Ärzte:
Günter muss in eine Kinder-Fach-Abteilung.
Obwohl sie Günter gar nicht kennen.
Ohne ihn anzugucken.

Günter kann sprechen.
Er kann alleine essen.
Er kann laufen.
Er ist freundlich und fröhlich.
Aber der Arzt entscheidet trotzdem:
Günter muss sterben.
Weil er nicht zur Schule gehen kann.

Er wird mit einem Medikament ermordet.
Es geht schnell.

Seine Mutter entscheidet:
Die Leiche von Günter darf nicht in Lüneburg bleiben.
Sie muss nach Hannover.
Da wohnt die Familie.

Die Mutter von Günter ist wütend.
Über den Tod von Günter.
Sie bekommt eine Rechnung.
Sie soll für die Kinder-Fach-Abteilung bezahlen.
Sie sagt:
Nein!
Ich bezahle nicht für den Tod meines Kindes.
Sechs Monate sagt sie: Nein!

Dann ist der Krieg vorbei.
Es vergehen sechs Monate.
Es dauert.
Am Ende bekommt Mutter die Sachen von Günter zurück.
Wenigsten das.

Das ist ein Foto der Familie Schulze.
Sie sind sieben Personen.
Das Foto ist an Weihnachten entstanden.
Es ist aus dem Jahr 1938.

Das ist ein Foto.
Es ist im Garten entstanden.
Die Familie von Günter ist viel im Garten.
Günter ist im Arm seiner Mutter.
Das Baby ist die kleine Schwester Ulla.
Es ist aus dem Jahr 1938.

Das ist ein Foto.
Es zeigt:
Günter vorne auf dem Hocker.
Hinter ihm steht Ulla.
Dahinter sind seine Eltern.
Das Foto ist aus dem Jahr 1943.

Das ist ein Antrag.
Es ist vom Gesundheits-Amt.
Darin steht:
Günter muss in die Kinder-Fach-Abteilung.
Der Antrag ist von Mai 1944.

Das ist ein Brief.
Er ist aus Berlin von den Ärzten.
In dem Brief steht:
Günter hat eine Behinderung.
Er muss in die Kinder-Fach-Abteilung.
Da muss er behandelt werden.
Das bedeutet:
Er soll ermordet werden.

Christian Meins

Christian Meins war das erste Kind von Gretchen (Gretel) und Hermann Meins. Beide kamen aus Hamburg. Gretel kam aus einer kommunistisch geprägten Familie, Hermann war sozialdemokratisch und beteiligte sich als Jugendlicher an Straßenschlachten gegen Nationalsozialisten. Gretel und Hermann lernten sich in einer Gastwirtschaft kennen, in der Gretel in der Küche aushalf. Sie heirateten am 18. Januar 1939, als Gretel bereits schwanger war. Nach der Heirat bezog das Paar eine eigene Mietwohnung in Hamburg-Hammerbrook in der Nähe von Christians Großeltern mütterlicherseits. Zur Großmutter väterlicherseits, die eine eigene Kneipe führte und als durchsetzungsstark galt, gab es kaum Kontakt.

Christians Vater Hermann war Elektriker und arbeitete in der Rüstungsindustrie, unter anderem auch in Peenemünde an der »V2« sowie beim Technischen Hilfswerk. Durch sein gutes Einkommen brauchte Gretel nach der Geburt von Christian nicht zu arbeiten. Christian wurde am 10. Juni 1939 geboren. Er wurde nach seinem verstorbenen Großvater väterlicherseits benannt. Bei der Geburt hatte er die Nabelschnur zweimal um den Hals gewickelt und musste daraufhin ins Rotenburger Kinderkrankenhaus eingewiesen werden. Von diesem Geburtsschaden erholte er sich nicht.

Christian blieb verzögert und entwickelte epileptische Anfälle. Im Alter von rund drei Jahren legten sich die Anfälle. Ab dann sei Christian sehr lebhaft gewesen, besonderes Gefallen habe er am Klappern von Türen gehabt, die er stundenlang auf- und zuschlagen konnte. Die Eltern müssen Christian sehr geliebt haben. Der Vater machte Überstunden, um vom Lohnaufschlag Heilpraktiker-Rechnungen bezahlen zu können. Sie waren sehr glücklich über das beeinträchtigte Kind. Er war der »Prinz«, berichtet seine Schwester Heidi Frahm. Sie selbst blieb in ihrer Kindheit im Schatten ihres verstorbenen Bruders.

Christian, seine Eltern und die Großeltern wurden im Zuge des Hamburger »Feuersturms« im Sommer 1943 ausgebombt. Sie wurden nach Burgdorf in Niedersachsen evakuiert. Dort wurde Christian am 3. August 1943 dem Gesundheitsamt vorgestellt und vom Amtsarzt für »anstaltsbedürftig« befunden, »zumal jetzt bei den schwierigen häuslichen Verhältnissen (Bombenbeschädigte) eine ordnungsgemäße Unterbringung im eigenen Haushalt nicht mehr möglich ist.« Weil die Mutter zeitnah nach Bayreuth weitergeschickt werden sollte und der Vater zwecks Wiederaufnahme seiner Arbeit bei Blohm & Voss ebenso dringlich nach Hamburg zurückkehren musste, wurde Christians Aufnahme in die Heil- und Pflegeanstalt aufgrund gebotener Eile telefonisch veranlasst.

Bereits zwei Tage später, auf dem Rückweg nach Hamburg, brachte Hermann seinen Sohn persönlich in die »Kinderfachabteilung« Lüneburg. In Hamburg angekommen, organisierte er eine sogenannte »Ley-Bude«. Diese Behelfsunterkunft führte dazu, dass Gretel und ihre Eltern noch vor Kriegsende nach Hamburg zurückkehren konnten. Christian wurde nur drei Wochen nach seiner Aufnahme am 29. August 1943 ermordet. Seine offizielle Todesursache lautete Bronchitis.

Weil Christian Meins vom Status her und aktenmäßig als »bombenbeschädigtes Kind« eingewiesen bzw. geführt worden war, wurde er nicht auf dem Anstalts- sondern auf dem Zentralfriedhof Lüneburg bestattet. 1952 fiel sein Grab unter das Kriegsgräbergesetz. Es ist deshalb bis heute als Einzelgrab mit Grabplatte erhalten. Das Schicksal ihres älteren Bruders ließ Heidi nie los. 1947 geboren, war ihre Kindheit auch von der Erinnerung an ihren toten Bruder geprägt. Über 15 Jahre lang versuchte sie, sein Schicksal zu klären. Da sie davon ausging, dass es kein Grab gäbe, ließ sie auf dem Hamburger Friedhof Ohlsdorf ein Namensschild in Gedenken an ihn anbringen. Im September 2021 besuchte sie das Grab ihres Bruders zum ersten Mal.

Christian Meins, Hamburg-Hammerbrook, ca. 1941.

Privatbesitz Heidi Frahm.

»Wenn du weiter nichts hast, aber wenigstens dein Söhnchen.«
Gretel Meins schrieb diesen Satz auf die Rückseite einer Postkarte, auf der Christian mit Sonnenhut im Sand sitzt. Von dieser Postkarte gibt es mehrere Abzüge. Auf einem anderen Abzug ist vom Vater notiert, Christian sei an den Folgen einer Rauchvergiftung gestorben, ausgelöst durch den Bombenangriff. Dies steht im Widerspruch zum Eintrag in der Krankengeschichte, sein körperlicher Gesundheitszustand sei unauffällig und seine Lunge sei »ohne Befund«.

Postkarte von Christian Meins, ca. 1942, Vorder- und Rückseite.

Privatbesitz Heidi Frahm.

Gretel war zum Zeitpunkt von Christians Tod bereits nach Oeslau bei Coburg weiterevakuiert worden. Sie schien auch deshalb keinen Kontakt zu ihrem Ehemann gehabt zu haben und musste sich in Sorge um ihren Sohn brieflich an die Anstalt wenden, um zu erfahren, wie es ihm ergangen sei. Der Brief wurde laut Stempel einen Tag nach Christians Tod zugestellt.

Brief von Gretchen Meins an die Heil- und Pflegeanstalt vom 28.8.1943.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 314.

Grab von Christian Meins auf dem Zentralfriedhof Lüneburg, September 2021.

ArEGL.

Christian Meins

Christian Meins ist am 10. Juni 1939 geboren.
Seine Eltern heißen Gretel und Hermann.
Sie sind gegen die Nazis.
Gretel ist Köchin.
Hermann ist Elektriker.

Christian ist das erste Kind.
Er hat eine Behinderung.
Seit seiner Geburt.

Christian entwickelt sich nicht gut.
Er hat Anfälle.
Er klappert gerne mit Türen.
Die Eltern machen sich Sorgen.
Sie fragen sich:
Was ist mit Christian los?
Wieso klappert er mit Türen?

Hermann arbeitet ganz viel.
Er braucht das Geld von der Arbeit.
Um einen Heil-Praktiker zu bezahlen.
Der unter-sucht Christian.

Die Eltern sind aber auch sehr glücklich über Christian.
Er ist ihr Prinz.
Er ist ihr Lieblings-Kind.

1942 gibt es einen Bomben-Angriff.
Das Wohn-Haus von Christian wird getroffen.
Es wird zerstört.
Sie haben kein zu Hause mehr.
Christian und die Eltern müssen weg aus Hamburg.

Sie kommen nach Burg-Dorf.
Dort fällt Christian auf.
Er muss zum Gesundheits-Amt.
Dort wird er von einem Arzt unter-sucht.
Der Arzt sagt:
Christian ist behindert.
Er darf nicht bei seiner Familie bleiben.
Sie können ihn nicht mit-nehmen.
Christian gehört in eine Kinder-Fach-Abteilung.
Sofort.

Hermann bringt seinen Sohn in die Kinder-Fach-Abteilung.
Das ist zwei Tage nach dem Besuch des Gesundheits-Amtes.
Hermann geht zurück nach Hamburg.
Er beschafft eine neue Unterkunft.
Danach kehrt Gretel mit ihren Eltern zurück.

Christian wurde ermordet.
Er ist ein Opfer des Patienten-Mordes der Nazis.
Das ist im August 1943.

Christian Meins liegt auf dem Zentral-Fried-Hof.
Das wollte Christians Vater.
Christians Grab ist auch ein Kriegs-Grab.
Darum ist das Grab heute noch da.
Christians Schwester Heidi sucht das Grab 20 Jahre.
Heidi glaubt:
Ich finde das Grab nicht mehr.

Das ist ein Foto von Christian.
Christian wohnt in Hamburg.
Das Foto ist von 1941.
Auf dem Foto ist Christian 2 Jahre alt.

Das ist eine Post-Karte.
Darauf steht:
Christian ist das wichtigste.
Alles andere ist nicht wichtig.

Von dieser Post-Karte gibt es viele.
Auf einer steht:
Christian ist an einer Rauch-Vergiftung gestorben.
Er soll zu viel Rauch geatmet haben.
Bei einem Bomben-Angriff in Hamburg.
Aber das stimmt nicht.
Die Post-Karte ist aus dem Jahr 1942.

Gretel kann ihren Christian nicht besuchen.
Sie ist zu weit weg.
Sie ist in der Nähe von Coburg.
Sie schreibt einen Brief.
Darin steht:
Ich kann Christian nicht besuchen.
Wie geht es ihm?
Der Brief kommt an.
Aber da ist Christian schon tot.

Christians Name steht auf einem Erinnerungs-Stein.
Dieser Stein steht auf einem anderen Fried-Hof in Hamburg.
Doch im Herbst 2021 findet Heidi das richtige Grab.
Nun kann sie sich an ihren Bruder erinnern.
In Hamburg und in Lüneburg.

Helga Volkmer

Helga Marie Volkmer wurde am 19. März 1933 in Westerwesede, Kreis Rotenburg, geboren. Helga hatte drei Geschwister. Die Eltern Johann und Marie Volkmer bewirtschafteten zehn Morgen Pachtland und besaßen Kühe. 1939 wurde Helgas Aufnahme in eine Anstalt beantragt, weil man unterstellte, die Mutter sei mit der Beaufsichtigung ihrer Kinder neben der Arbeit auf dem Hof überfordert: » […] da sie [die Mutter] durch die Betreuung ihrer Kinder und durch die Versorgung der eigenen Landwirtschaft (3 Stück Rindvieh) ausgiebig in Anspruch genommen ist.«

Helga Volkmer wurde am 5. Juni 1939 in die Rotenburger Anstalten der Inneren Mission aufgenommen. Dort diagnostizierten Ärzte einen »Wasserkopf«. Zwischen Juni 1939 und August 1941 gab es keine Einträge in ihre Krankenakte, obwohl sie zwischenzeitlich an Diphtherie und Scharlach erkrankt war. Helga Volkmer wurde am 9. Oktober 1941 in die Lüneburger »Kinderfachabteilung« verlegt. Der erste Lüneburger Eintrag in die Krankengeschichte erfolgte am 19. November 1941. Bereits der zweite Eintrag beschrieb ihr Sterben. Die Eltern wurden mit einem Standardschreiben vorab auf den bevorstehenden Tod vorbereitet: »Ihre Tochter Helga ist seit einigen Tagen hochfieberhaft erkrankt. Bei ihrer allgemeinen Hinfälligkeit ist ihr Zustand nicht unbedenklich.«

Helga Volkmer starb am 30. November 1941. Sie ist eines der ersten Opfer der Lüneburger »Kinder-Euthanasie«. Nach ihrem Tod wurde ihr Gehirn entnommen und ihr Leichnam seziert. Als offizielle Todesursache notierte der Arzt Willi Baumert: Lungenentzündung. Sie wurde als fünftes Kind auf dem »Kindergräberfeld« des Anstaltsfriedhofs bestattet. Ihre Mutter reiste zur Beerdigung, jedoch zu spät. Helga war bereits bestattet worden.

Helga Volkmer mit ihrem Bruder Helmut und der Kindergärtnerin Ilse, ca. 1935.

Privatbesitz Marlene Volkmer.

Helga Volkmer (mitte) mit ihren Geschwistern Anita und Helmut, ca. 1939.

Privatbesitz Marlene Volkmer.

Brief an Johann Volkmer, 28.11.1941.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 442.

Todesanzeige Helga Volkmer, 1.12.1941.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 442.

Helga Volkmer

Helga Volkmer wird am 19. März 1933 geboren.
Ihre Eltern sind Johann und Marie Volkmer.
Sie sind Bauern.
Sie kommen aus Westervesede.
Helga hat drei Geschwister.
Im Jahr 1939 soll Helga in eine Anstalt kommen.
Da ist Helga ist sechs Jahre alt. Ein Arzt sagt:
Die Mutter muss viel arbeiten.
Sie kann nicht auf ihre Kinder aufpassen.
Die Kinder müssen in eine Anstalt.

Unten ist der Brief von dem Arzt.
Darin steht:
Helga ist schwer krank.
Sie wird bald sterben.
Der Brief soll die Eltern vor-bereiten auf den Tod ihrer Tochter.

Nach sieben Wochen stirbt Helga.
Sie wird mit Medikamenten ermordet.
Man gibt ihr zu viele davon.
Das passiert am 30. November 1941.
Der Arzt behauptet:
Helga ist an einer Lungen-Entzündung gestorben.
Das ist eine Lüge.
Nach ihrem Tod entnimmt der Arzt ihr Gehirn.
Er untersucht es.
Er will heraus-finden:
Warum hatte Helga eine Behinderung.
Danach wird Helga begraben.
Sie ist das fünfte Kind,
das auf dem Fried-Hof der Anstalt begraben wird.

Die Mutter von Helga fährt nach Lüneburg.
Sie will zur Beerdigung ihrer Tochter.
Aber sie ist zu spät.
Helga ist schon begraben.

Auf dem Bild ist Helga Volkmer mit ihrem Bruder Helmut.
Die Frau heißt Ilse.
Sie ist die Kinder-Gärtnerin in Westervesede.
Sie passt manchmal auf Helga und Helmut auf.
Auf dem Bild ist Helga noch keine zwei Jahre alt.

Auf dem Bild ist Helga Volkmer mit ihren Geschwistern.
Links neben ihr ist ihre Schwester Anita.
Rechts neben ihr ist ihr Bruder Helmut.
Helga hockt in der Mitte.
Auf dem Bild ist Helga etwa fünf Jahre alt.

Das ist der Brief von dem Arzt.
Darin steht Helga ist schwer krank.
Sie wird bald sterben.
Der Brief soll die Eltern vor-bereiten auf den Tod ihrer Tochter.

Das ist die Todes-Anzeige von Helga.
Darin steht:
Helga hatte eine Kinder-Lähmung.
Helga starb an einer Lungen-Entzündung.
Das ist gelogen.
Helga wurde ermordet.