Ingeborg Wahle

Ingeborg Wahle wurde am 13. Juni 1939 in Göttingen geboren. Sie war das zweite Kind von Elfriede, geborene Fendt, und Willi Wahle. Zwei Jahre später wurde ihre Schwester Renate geboren. Ingeborg hatte einen schweren Start ins Leben, da sie eine Zangengeburt war. Außerdem habe eine Rhesus-Unverträglichkeit vorgelegen. Ihre Entwicklung blieb verzögert. Nach Renates Geburt zog die fünfköpfige Familie in den heutigen Tulpenweg 6. Ingeborgs Bruder Heinz hatte ein eigenes Kinderzimmer, die Schwestern teilten sich eines. Ingeborg habe die meiste Zeit auf einem ausgepolsterten Stühlchen am Küchentisch gesessen.

Als Ingeborg vier Jahre alt war, mussten ihre Eltern sie auf Initiative des Wohlfahrtsamtes im Gesundheitsamt Göttingen vorstellen. Mit einer Einweisung in die »Kinderfachabteilung« erhofften sich die Eltern zunächst eine Therapie zur Besserung. Ingeborg wurde am 4. April 1944 auf der Mädchen-Station im Obergeschoss von Haus 25 aufgenommen. Neben zahlreichen Besuchen blieben die Eltern auch durch Briefe in Kontakt mit der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg.

Die Reaktionen der Ärzte auf die Briefe der Eltern fielen pessimistisch aus. Ingeborg sei in einem schlechten Zustand, die Eltern sollten sich auf einen schlechten Verlauf vorbereiten.

Auch Ingeborgs Mutter Elfriede erkundigte sich nach ihrer Tochter, nachdem Besuche kriegsbedingt nicht mehr möglich waren. Doch das Bemühen der Eltern verhinderte nicht, dass Ingeborg ermordet wurde. Sie starb am 24. Februar 1945. Der letzte Besuch von Willi Wahle bei seiner Tochter Ingeborg erfolgte am Tag vor ihrer Ermordung. Der Besuch ist nicht dokumentiert. Ihre Schwester Renate erinnert: »Ingeborg hat einen Kopfverband getragen, über den sich Willi gewundert hat. Sie hat einen Ausschlag, hat man ihm gesagt als er nachfragte. Noch in derselben Nacht vom 23. auf den 24. kam der Marschbefehl nach Osten. Er bekam Befehl weil er Melder war. Er musste immer mit dem Motorrad zu den Kompanien fahren, um Informationen weiterzuleiten. […] Meine Mutter kriegte Bescheid und setzte sich in den Zug, da war sie schon tot und begraben. Die Mutter wollte Ingeborg nach Bethel verlegen lassen, sie wollte das unbedingt.«

Ingeborgs Geschwister Renate und Heinz wurden in ihrer Kindheit oft mit dem Tod ihrer Schwester konfrontiert. Mehrmals im Jahr fuhren sie mit dem Zug nach Lüneburg und pflegten Ingeborgs Grab. Das obligatorische Holzkreuz wurde durch einen Kissenstein ersetzt. Bei einem der Besuche, im Jahr 1946 oder 1947, sei die Familie auf dem Weg vom Bahnhof zum Marktplatz auf der Lünertorbrücke einem der damaligen Ärzte begegnet. Willi Wahle habe gesagt: »Elfriede, da kommt der Doktor.« Ingeborgs Schwester Renate habe sich daraufhin von der Mutter losgerissen, sei auf ihn zu und habe geschrien: »Mörder!«

Am Todestag ihres Ehemanns besuchte Renate das Familiengrab auf dem Friedhof in Melle, in dem neben ihrem Ehemann auch die Urnen ihrer Eltern Elfriede und Willi Wahle beigesetzt worden waren. Darauf fand sich zu Renates Überraschung nun ein kleiner Findling mit Ingeborgs Namen und ihren Lebensdaten – eine Initiative ihrer Tochter und Enkelkinder. Mit diesem Findling wurde Ingeborg symbolisch mit ihren Eltern wiedervereint. Als Erinnerungsstein trägt er seither dazu bei, dass Ingeborgs Schicksal nicht vergessen wird.

Ingeborg Wahle im Kinderwagen, ca. 1940/1941.

Privatbesitz Renate Beier, geb. Wahle.

Elfriede mit ihren beiden Kindern Ingeborg und Heinz, 1939.

Privatbesitz Renate Beier, geb. Wahle.

Amtsärztliches Gutachten des Staatlichen Gesundheitsamts Göttingen vom 1.2.1944.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 443.

Besuch des Anstaltsfriedhofs der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg, ca. 1946/1947.

Privatbesitz Renate Beier, geb. Wahle.

Grab von Ingeborg Wahle, ca. 1946/1947.

Privatbesitz Renate Beier, geb. Wahle.

Ein Findling auf dem Familiengrab in Melle in Erinnerung an Ingeborg Wahle, Aufnahme vom 25.10.2021.

ArEGL.

Heinz Schäfer

Heinz Schäfer wird am 16. August 1937 geboren.
Seine Eltern sind Fritz Schäfer und Ella Schäfer.
Fritz ist Arbeiter.
Er stellt Teile von Flug-Zeugen her.
Ella arbeitet auf einem Bauern-Hof.
Ella und Fritz haben drei Söhne.
Sie heißen Friedrich, Rolf und Heinz.

Friedrich und Rolf sind neun und sieben Jahre alt.
Als Heinz geboren wurde.
Die drei Brüder teilen sich ein Kinder-Zimmer.
Rolf und Friedrich müssen oft auf Heinz auf-passen.
Heinz kann nicht laufen.
Rolf und Friedrich tragen Heinz deshalb viel.
Sie setzen ihn auch in eine Kinder-Karre.
Er ist immer dabei.

Heinz kann alles verstehen.
Er kann alleine essen und trinken und vieles mehr.
Aber Heinz kann nicht laufen.
Sein Vater muss mit ihm zum Gesundheits-Amt.
Das ist am 15. August 1941.
Das ist ein Tag vor dem Geburts-Tag von Heinz.
Der Arzt heißt Dr. Lewerenz.
Er bestimmt:
Heinz muss in eine Anstalt.
Dr. Lewerenz sagt:
In der Anstalt hilft man Heinz.

Der Vater kommt vom Gesundheits-Amt nach Hause.
Er erzählt der Familie:
Heinz wird in der Anstalt gesund.
Die ganze Familie denkt das.

Der Vater von Heinz bringt Heinz in die Anstalt nach Lüneburg.
Das ist am 3. November 1941.
Er kommt auf eine Kinder-Station.
Die hieß »Kinder-Fach-Abteilung«.
Das Haus hat die Nummer fünf-und-zwanzig.
Es ist eine Jungen-Station.

Die Mutter von Heinz schreibt auch Briefe an den Arzt.
Sie sorgt sich um Heinz.
Der Arzt antwortet ihr.
Er schreibt:
Heinz wird nicht wieder gesund.
Er schreibt:
Heinz ist dumm und kann nicht lernen.
Doch das stimmte nicht.
Der Arzt behauptet das nur.
Er will Heinz nämlich töten.
Wenige Tage später schreibt der Arzt wieder
an die Mutter von Heinz.
Er schreibt:
Heinz wird vielleicht sterben.
Eine Kranken-Schwester ermordet Heinz.
Sie gibt ihm zu viele Medikamente.
Am nächsten Tag ist Heinz tot.
Weil der Arzt es will.

Da ist Heinz schon tot.
Sie wollen sein Gehirn unter-suchen.
Das sagten die Ärzte den drei Männern aber nicht.

Die Familie spricht viel über Heinz.
Und seinen verbundenen Kopf.
Seine Familie kann das viele Jahr-Zehnte lang nicht verstehen.

Das ändert sich vor ein paar Jahren.
Das besondere Museum sucht die Brüder von Heinz.

Eine Wissenschaftlerin findet Teile von dem Gehirn von Heinz.
Sie liegen in einem Keller eines Kranken-Hauses in
Hamburg.
Das Gehirn wurde von Lüneburg in das andere Kranken-Haus nach Hamburg geschickt.
Dort forschte ein Arzt an dem Gehirn.
Er wollte wissen:
Warum hatte Heinz eine Behinderung?
Nach dem Ende des Zweiten Welt-Krieges wird das
Gehirn von Heinz einfach vergessen.
Zusammen mit den Gehirnen von elf anderen Kindern.

Alle wurden in Lüneburg ermordet.
In der »Kinder-Fach-Abteilung« in der Anstalt.

Dann sollen die Teile von dem Gehirn von Heinz beerdigt werden.
Dafür werden die Brüder gesucht.

Es gibt einen Zeitungs-Artikel in der Göttinger Zeitung.
Den lesen Rolf und Friedrich zusammen mit ihrer Cousine
Renate Meier.
Sie melden sich bei der Wissenschaftlerin.

Rolf, Friedrich und ihre Cousine Renate erfahren das erste Mal:
Was ist mit Heinz damals wirklich passiert.
Nach über siebzig Jahren löst sich das Rätsel für die Familie auf.

Hier ist Heinz vor seinem Haus.
Heinz sitzt in einer Kinder-Karre.
Damit schieben ihn seine Brüder durch den Ort.
Das Foto ist im Herbst 1941 auf-genommen.
Es ist das letzte Bild von Heinz.

Auf dem Foto ist Heinz.
Heinz ist der Junge auf dem Arm.
Sein Bruder Rolf trägt ihn.
Sie sind beide im Garten.
Der Bruder Friedrich macht das Foto.
Deswegen ist er nicht auf dem Bild.

Rolf und Friedrich tragen ihren kleinen Bruder viel.
Er ist immer dabei.
So wie hier im Garten.
Das Foto ist im Sommer 1941 auf-genommen.
Heinz ist da etwa vier Jahre alt.

Das ist ein Bericht des Arztes Lewerenz.
Über den Arzt-Besuch von Heinz mit seinem Vater.
Er schreibt:
Heinz ist krank.
Weil er noch nicht gehen und noch nicht sprechen kann.
Er ist sich nicht sicher:
Ob Heinz deshalb in eine Anstalt muss.
Zum Schluss ändert er seine Meinung.
Heinz soll doch in die Anstalt.
Das erkennt man an der anderen Schrift.

Dies ist eine Post-Karte.
Sie ist von der Mutter an Heinz.
Seine Mutter schreibt ihm gleich nach seiner Ankunft in der Anstalt.
Sie will wissen:
Geht es Heinz gut?
Sie hat große Sehn-Sucht nach ihrem Sohn.

Das ist Brief von der Mutter von Heinz.
Sie schreibt an den Arzt.
Sie ist sehr un-zu-frieden mit der Anstalt.
Sie sorgt sich um Heinz.
Und sie ärgert sich über den Ärztlichen Direktor.

Heinz Schäfer

Heinz Schäfer wurde keine fünf Jahre alt. Er wurde am 16. August 1937 in Bovenden bei Göttingen geboren. Seine Eltern, der Metallarbeiter Friedrich (Fritz) Schäfer und Ella Schäfer, geb. Tegtmeyer, hatten zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Söhne im Alter von sieben und neun Jahren, Rolf und Friedrich. Die drei Jungs teilten sich ein Kinderzimmer. Die beiden Älteren mussten häufig auf ihren kleinen Bruder aufpassen. Weil Heinz nicht laufen lernte, trugen sie ihn viel und nutzten auch ein Wägelchen, um ihn durch Bovenden oder in den Garten zu schieben. In der Karre sitzend, beobachtete er die beiden beim Spielen. Hiervon existiert das letzte Bild von Heinz. »Er war immer dabei«, berichten die Brüder und die Cousine.

Heinz konnte wohl alles verstehen und war auch in einem gewissen Maß selbstständig. Dennoch musste der Vater am 15. August 1941, einen Tag vor Heinz viertem Geburtstag, im Gesundheitsamt Göttingen vorstellig werden. Der Göttinger Amtsarzt, Dr. Lewerenz, empfahl: »Die Unterbringung in eine geschlossene Anstalt ist notwendig.« Weil sich dieser letzte Satz des Gutachtens von den Schrifttypen zum vorangegangenen Text unterscheidet und zwischen Unterschriftszeile und letztem Absatz eingepasst wurde, ist anzunehmen, dass diese Empfehlung nachträglich hinzugefügt wurde. Den Eltern sagte man, ihrem Kind werde in einer Anstalt geholfen. Der Vater kam daher vom Gesundheitsamt nach Hause und berichtete der Familie, im Heim werde Heinz geheilt werden. Die Familie verband mit dem Aufenthalt also die Hoffnung, dass er gesund werde. Sie rechneten fest damit, dass er wiederkommen würde und dann kuriert sei.

Heinz wurde direkt in der »Kinderfachabteilung« Lüneburg aufgenommen. Sein Vater brachte ihn dorthin. Die Aufnahme in Lüneburg erfolgte am 3. November 1941. Er kam in das Haus 25. In weiteren Briefen an den Ärztlichen Direktor brachte sie ihre Sorge um ihr Kind zum Ausdruck. Max Bräuner antwortete ihr jedoch, dass eine Heilung in den meisten Fällen aussichtslos sei. Aus Mediziner-Sicht wurde er am 20. Januar 1942 als »tiefstehend« und »bildungsunfähig« eingestuft und kam somit ärztlicherseits für die Tötung in Frage. Einen Monat später ging an die Mutter die Information, dass Heinz seit einigen Tagen an Diphtherie erkrankt und mit seinem Ableben zu rechnen sei. Am nächsten Tag war Heinz bereits tot.

Die Eltern konnten die Todesnachricht nicht glauben. Um sicherzugehen, dass es sich nicht um eine Verwechslung handelte, reiste Heinz Vater Fritz zusammen mit seinen Schwägern Wilhelm Tristram und Wilhelm Süßmann nach Lüneburg. Sie bestanden auf einer Öffnung des Sarges, um den Jungen zu identifizieren. Zunächst weigerte sich das Anstaltspersonal. Doch Fritz Schäfer und die Ehemänner von Ellas Schwestern Auguste und Meta setzten sich durch. Der Sarg wurde geöffnet, und darin lag Heinz mit einem verbundenen Kopf. Die drei Männer konnten sich das nicht erklären, war Heinz doch offiziell an »Diphtherie u. katarrh. Lungenentzündung« gestorben. Man verschwieg ihnen, dass man Heinz Gehirn entnommen hatte.

Über Heinz wurde in der Familie auch nach seinem Tod viel gesprochen, insbesondere über den verbundenen Kopf, den sich niemand erklären konnte. Das änderte sich, als die beiden noch lebenden Brüder von Heinz Schäfer, Friedrich und Rolf, durch einen Presseaufruf der Lüneburger Gedenkstätte ausfindig gemacht werden konnten. Nach vielen Jahrzehnten erhielten sie Antwort auf ihre Frage, warum Heinz Kopf verbunden gewesen war.

Heinz in seinem Wägelchen. Es ist das letzte Foto von ihm, Herbst 1941.

Privatbesitz Familie Schäfer.

Heinz auf dem Arm seines Bruders Rolf. Das Foto machte sein Bruder Friedrich, ca. Sommer 1941.

Privatbesitz Familie Schäfer.

Schreiben des Staatlichen Gesundheitsamts Göttingen, Dr. Lewerenz, vom 15.8.1941.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 373.

Die Mutter tat sich schwer mit der Trennung von ihrem Kind. Sie hatte große Sehnsucht nach ihm und schrieb ihm und den Pflegenden schon kurz nach seiner Aufnahme eine Postkarte.

Postkarte von der Mutter Ella an ihren Sohn Heinz vom 13.11.1941.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 373.

Brief von der Mutter Elisa Ella Schäfer an Heinz Schäfer vom 29.11.1941 mit Antwort vom 2.12.1941.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 373.

Familie Münzer

Die gesamte Familie Münzer geriet ins Visier der Rassenhygiene. Von insgesamt neun Geschwistern wurden vier gegen ihren Willen sterilisiert. Maßgeblich war nicht nur ein Romno-Hintergrund, sondern auch, dass es uneheliche Kinder gab und Vorstrafen vorlagen. Die Geschwister Münzer stehen somit für das systematische Vorgehen gegen Familien mit kultureller Differenz.

Die Familie wurde mittels »Sippenfragebögen« und »Sippentafeln« auf »rassenbiologische Reinheit« kontrolliert. Auf der Sippentafel der jüngsten Schwester Charlotte waren »mindestens zwei Fälle einer sittlichen Haltlosigkeit« dokumentiert. Ebenso wurde Kriminalität und »Schwachsinn« vermerkt. Die Anzahl der als »schwachsinnig« gekennzeichneten Familienmitglieder unterschied sich jedoch je nach Sippentafel. Dora Münzers Zwangssterilisation wurde damit begründet, sie habe zwei uneheliche Kinder, sie sei »schwachsinnig« und »asozial«. Obendrein unterstellte man ihr, sie sei eine völlig unfähige Hausfrau mit »minderwertigen Kindern«.

Ihr Bruder Friedrich wurde nach seiner Sterilisation direkt ins Gefängnis entlassen. Er war dem Gesundheitsamt und Erbgesundheitsgericht durch Vorstrafen wegen Unterschlagung und Diebstahl negativ aufgefallen. Albert Münzers Antrag auf Sterilisation wurde in erster Instanz abgelehnt. Seine Intelligenzprüfung ergab keine ausreichenden Defizite. Der Amtsarzt Hans Rohlfing legte Einspruch ein – mit Erfolg. Das Erbgesundheitsobergericht in Celle hob den Lüneburger »Freispruch« auf. Am 25. Oktober 1937 wurde Albert daraufhin ebenfalls sterilisiert. Einzige Begründung war, er stamme aus einer erblich »minderwertigen« Familie.

Im Gegensatz zu ihrem Bruder Albert, gelang es Charlotte Münzer, das Gericht davon zu überzeugen, dass sie keinen »angeborenen Schwachsinn« habe. Der Antrag auf Sterilisation wurde abgelehnt. Sie wurde nicht sterilisiert. Frieda Grass, geborene Münzer, wurde neun Tage vor ihrem Bruder Friedrich zwangssterilisiert. Nach Kriegsende hörte die rassenhygienische Entrechtung nicht auf. Im August 1945 wurde ihm die Ehetauglichkeit wieder abgesprochen und eine zweite Ehe mit Lily G. versagt. Amtsarzt war immer noch Hans Rohlfing, der bereits im Nationalsozialismus seine Sterilisation angezeigt und empfohlen hatte. Auch die Einbeziehung der britischen Militärbehörde sorgte nicht für die erforderliche Heiratserlaubnis.

Sippentafel von Charlotte Münzer.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1223.

Bericht zum Antrag auf Sterilisation von Charlotte Münzer, ca. 1938.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1223.

Ärztlicher Bericht über die Sterilisation von Ferdinand Münzer, 3.2.1941.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1223.

Fotos aus dem amtsärztlichen Gutachten von Charlotte Münzer vom 8.2.1938.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1223.

Fotos aus dem amtsärztlichen Gutachten von Frieda Münzer vom 20.12.1937.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1223.

Erst nach den Sterilisationen von Ferdinand Münzer und seiner Verlobten Marie Borsch erhielten beide die Eheerlaubnis.

Ehetauglichkeitszeignis, 7.8.1941.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1223.

Familie Münzer

Alle aus der Familie Münzer werden von den Nazis verfolgt.
Von neun Geschwistern werden vier zwangs-sterilisiert.
Ein Grund ist:
Die Familie gehört zu den Roma.
Die Roma werden von den Nazis verfolgt.

Andere Gründe sind:
Manche aus der Familie Münzer haben Kinder,
obwohl sie nicht verheiratet sind.
Manche waren mal im Gefängnis.
Die Nazis sagen:
Die Familie Münzer ist asozial.

Die ganze Familie wird unter-sucht.
Fast jeder hat eine »Sippen-Tafel«.
Eine »Sippe« ist die ganze Familie.
Mit allen Verwandten.
Auf der »Sippen-Tafel« steht alles drauf.
Ob einer in der Familie krank ist.
Oder in einer Anstalt war.
Oder sonst etwas tut, was die Nazis nicht wollen.

Die jüngste Schwester Charlotte hat auch eine »Sippen-Tafel«.
Darauf steht:
Einige in der Familie Münzer sind kriminell.
Andere sind schwach-sinnig.
Manche haben Sex mit verschiedenen Menschen.

Dora Münzer wird zwangs-sterilisiert.
Die Nazis sagen:
Dora hat zwei un-eheliche Kinder.
Sie ist schwach-sinnig und asozial.
Sie ist eine schlechte Haus-Frau.
Ihre Kinder sind minder-wertig.

Doras Bruder Friedrich wird auch zwangs-sterilisiert.
Danach kommt er gleich ins Gefängnis.
Die Nazis sagen:
Friedrich ist kriminell.

Auch Charlotte Münzer muss vor Gericht.
Sie sagt:
Ich bin nicht schwach-sinnig.
Das Gericht glaubt ihr.
Charlotte wird nicht zwangs-sterilisiert.

Frieda wird auch zwangs-sterilisiert.
Neun Tage vor ihrem Bruder Friedrich.

Im August 1945 will Friedrich noch einmal heiraten.
Aber das darf er nicht.
Der Amts-Arzt verbietet es ihm.
Derselbe Arzt hat vorher entschieden:
Friedrich gehört zwangs-sterilisiert.
Nach der Nazi-Zeit ist er immer noch Amts-Arzt.
Auch die britische Militär-Regierung hilft Friedrich nicht.
Der Krieg ist vorbei.
Aber das Un-Recht hört nicht auf.

Das ist die Sippen-Tafel von Charlotte Münzer.

Das ist ein Arzt-Bericht.
Zur Zwangs-Sterilisation von Charlotte Münzer.
Darin steht:
Viele Mitglieder der Familie Münzer sind asozial.
Auch Charlotte soll sterilisiert werden.
Der Bericht ist aus dem Jahr 1938.

Das ist ein Arzt-Bericht.
Der Bericht ist über die Zwangs-Sterilisation von Ferdinand Münzer.
Der Bericht ist aus dem Jahr 1941.

Das sind Fotos.
Sie sind auf der Akte von Charlotte Münzer.
Sie sind aus dem Jahr 1938.

Das sind Fotos.
Sie sind aus der Akte von Frieda Münzer.
Sie sind aus dem Jahr 1937.

Friedrich darf seine Verlobte heiraten.
Aber erst nach der Zwang-Sterilisation.
Das steht in der Ehe-Erlaubnis.
Die Ehe-Erlaubnis ist aus dem Jahr 1941.

Kurt Heine

Leichte Sprache

Beschluss des Erbgesundheitsgerichtes Lüneburg vom 31. Juli 1934 über die Sterilisation von Kurt Heine.

Archiv der »Euthanasie«-Gedenkstätte Lüneburg.

Schreiben des Bodenamtes für Böhmen und Mähren vom 29. September 1943.

Archiv der »Euthanasie«-Gedenkstätte Lüneburg.