Fjodor Pawlow

Fjodor Pawlow ist im Jahr 1883 in der Ukraine geboren.
Die Ukraine gehört damals zu Russ-Land.
Sie wird aber von Deutschen besetzt.
Das ist im Zweiten Welt-Krieg.
Viele Menschen aus der Ukraine werden verschleppt.
Nach Deutschland.
Sie werden zur Arbeit gezwungen.
Fjodor Pawlow ist ein Zwangs-Arbeiter.
In Deutschland.
Er kommt in den Harz.
Das ist ein Wald-Gebiet in Nieder-Sachsen.
Da muss er schwer arbeiten.
Davon wird Fjodor krank.

Sein Arbeit-Geber sagt:
Fjodor macht seine Arbeit nicht.
Und er stört die anderen Mit-Arbeiter.

Fjodor wird von einem Amts-Arzt untersucht.
Im Februar 1943.
Der Amts-Arzt sagt:
Fjodor ist verwirrt.
Er muss in eine Anstalt.
Fjodor kommt in die Lüneburger Anstalt.

Fjodor ist 1,69 Meter groß.
Aber er wiegt nur 46 Kilo-Gramm.
Das ist zu wenig.
Er ist zu dünn.

Ein Arzt unter-sucht ihn.
Der Arzt schreibt in eine Akte:
Fjodor ist traurig und dumm.

Fjodor lebt über zwei Jahre in der Lüneburger Anstalt.
Es gibt keinen weiteren Eintrag in seine Akte.
Bis zu seinem Tod.

Am 7. Mai 1945 stirbt er.

Der Todes-Ursache schreibt der Arzt:
Fjodor ist müde und schwach.

Wahrscheinlich ist Fjodor ver-hungert.
Weil niemand ihm etwas zu essen gegeben hat.
So wurde er ermordet.

Dimitri Wolanyk

Dimirti Wolanyk ist im Jahr 1916 in Polen geboren.
Polen ist ein Nachbar-Land von Deutschland.
Es wird von den Deutschen besetzt.
Damit beginnt der Zweite Welt-Krieg.
Das ist im Jahr 1939.

Die Deutschen verschleppen polnische Männer und Frauen.
Nach Deutschland.
Sie werden zur Arbeit gezwungen.
Auch Dimitri kommt nach Deutschland.
Als Zwangs-Arbeiter.
Dann wird er krank.
Er hat eine Lungen-Krank-Heit.

Im November 1943 kommt er ins Kranken-Haus.
Nach Lüneburg.
Dort verhält er sich merk-würdig.
Darum kommt er in die Lüneburger Anstalt.

Durch seine Lungen-Krank-Heit ist Dimitri sehr verwirrt.
Er ist auch sehr dünn.
Er hat hohes Fieber.
Er kann kein Deutsch.
Die Ärzte können nicht mit ihm sprechen.

Fünf Tage später stirbt Dimitri.
Das ist am 6. Dezember 1943.
Er ist erst 28 Jahre alt.

Anton Ratazack

Anton Ratazak ist im Jahr 1914 in Polen geboren.
Das ist ein Nachbar-Land von Deutschland.
Aber er lebt in Deutschland.
Wahr-scheinlich schon vor dem Zweiten Welt-Krieg.
Er ist Arbeiter in Wilhelms-Haven.
Das ist eine Stadt an der Nord-See.

Das Gesundheits-Amt sagt:
Anton ist gefährlich.
Doch das stimmt nicht.
Anton hat eine Krankheit.
Manchmal hat er Anfälle.
Aber mit einem Medikament geht es ihm gut.

Im Juli 1944 kommt Anton in die Anstalt.
Das ist ein besonderes Kranken-Haus.
Das ist in der Nähe von Wilhelms-Haven.
Dort soll er zur Behandlung arbeiten.
Aber dazu hat Anton keine Lust.
Er will gesund werden und nicht arbeiten.

Deswegen kommt Anton in die Anstalt nach Lüneburg.
Er wird neu untersucht.
Es geht Anton gut.
Er hat schon länger keinen Anfall.
Anton sagt:
Ich habe keine Anfälle.
Er bekommt dann auch keine Medizin.

Dann bekommt Anton doch wieder Anfälle.
Er bekommt aber keine Medizin.
Er muss eigentlich Luminal bekommen.
Aber der Arzt sagt:
Nein.

Deswegen stirbt Anton.
Das ist im März 1945.
Er ist erst 30 Jahre alt.
Der Arzt hat ihn ermordet.
Weil er ihm keine Medizin gab.
Mit der Medizin hätte Anton überlebt.

»Ausländersammelstelle« Lüneburg

Schon ab 1940 gab es in der Lüneburger Heil- und Pflegeanstalt zunehmend Patient*innen ausländischer Herkunft. Ab 1943 wurde eine eigene Station für sie eingerichtet, die »Abteilung für Ostarbeiter«. Patient*innen ausländischer Herkunft sollten von den deutschen getrennt werden. Die Männer wurden in Haus 15 untergebracht, die Frauen in Haus 16. Die »Abteilung Ostarbeiter« in Haus 15 wurde von Dr. Rudolf Redepenning geleitet. Die »Abteilung Osterbeiterinnen« in Haus 16 wurde medizinisch von Dr. Gustav Marx betreut.

Am 6. September 1944 wurde die Lüneburger Anstalt eine von reichsweit elf »Ausländersammelstellen«. Dies hatte viele Gründe. Erstens, eignete sich die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg für diese Schwerpunktaufgabe, weil sie bereits seit 1940 über Erfahrungen in der Unterbringung von Patient*innen ausländischer Herkunft verfügte. Zweitens, gab es einen hohen Bedarf an Patient*innen in den anstaltseigenen landwirtschaftlichen Außenstellen, in denen die erkrankten Zwangsarbeiter*innen zur Arbeit eingesetzt wurden. Drittens, praktizierte die Lüneburger Anstalt bereits seit 1941 die »Kinder-Euthanasie« und »dezentrale Euthanasie«, sodass sichergestellt war, dass für die Selektion und Ermordung von erkrankten Zwangsarbeiter*innen ausreichend Kenntnisse und Erfahrung vorlagen.

Das Einzugsgebiet der »Ausländersammelstelle« Lüneburg waren die Gebiete Weser-Ems, Hannover-Ost, Hannover-Süd und Braunschweig. Die Lüneburger Anstalt deckte damit Niedersachsen und Bremen ab, gehörte der Regierungsbezirk Lüneburg im Nordwesten ohnehin zum Einzugsgebiet der Anstalt. Darüber hinaus kam es auch zu Einlieferungen aus Schleswig-Holstein. Parallel kamen auch zahlreiche belgische und niederländische Flüchtlinge in die Anstalt.

Ein Teil der 1944 in die »Ausländersammelstelle« verlegten Erkrankten wurde direkt aus ihren Zwangsarbeiter*innenlagern / Arbeitseinsatzorten bzw. Flüchtlingslagern nach Lüneburg in die Anstalt eingeliefert. In dem Fall reichte eine Einweisung durch den behandelnden Arzt oder Ärztin bzw. durch die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt. Der andere Teil, nahezu ausschließlich polnische und sowjetische Zwangsarbeiter*innen, kamen über andere Heil- und Pflegeanstalten Norddeutschlands nach Lüneburg. Sie kamen aus den Anstalten Hildesheim (12. Oktober 1944; sechs Patient*innen), Osnabrück (25. Oktober 1944; acht Patient*innen), Königslutter (1. November 1944; vier Patient*innen), Schleswig (17. November 1944; sieben Patient*innen), Bremen (19. November 1944; zwei Patient*innen) und Wehnen (14.12.1944; 33 Patient*innen).

Die Patient*innen ausländischer Herkunft stammten aus 16 verschiedenen Ländern. Die meisten kamen aus Polen (mindestens 92 Patient*innen) und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion (mindestens 59 Patient*innen), in der Anstalt waren aber auch Niederländer*innen, Belgier*innen, Ungar*innen usw. untergebracht. Unter den eingewiesenen Zwangsarbeiter*innen befanden sich zudem Kinder, die mit ihren Müttern nach Lüneburg verlegt wurden. Bei Ankunft trennte man Mutter und Kind; die Kinder wurden in der »Kinderfachabteilung« untergebracht – ohne ihre Mütter zu überleben.

In der »Ausländersammelstelle« Lüneburg herrschten katastrophale Zustände. Verwahrlosung und Vernachlässigung führte vor allem in Haus 15 zu einer hohen Sterberate. Die Patient*innen erhielten kaum Essen und keine ausreichende medizinische Versorgung. Mindestens 116 Patient*innen ausländischer Herkunft wurden in der Lüneburger Heil- und Pflegeanstalt ermordet. Die Leichen wurden auf einem »Ausländergräberfeld« bestattet, das zu diesem Zweck auf dem Anstaltsfriedhof, dem heutigen Friedhof Nord-West, ausgewiesen worden war.

Am 20. November 1944 gab es einen Sammeltransport von rund 100 Patient*innen »Richtung Osten«. Die Zielanstalt ist unbekannt. Ebenso wenig bekannt ist das Schicksal von weiteren 55 Patient*innen. Diese wurden weder verlegt noch entlassen, ein Sterbeeintrag fehlt ebenso.

80 Gräber von Patient*innen ausländischer Herkunft, bis auf wenige Ausnahmen Patient*innen der »Ausländersammelstelle«, sind bis heute erhalten geblieben. 1975 wurde eine Kriegsgräberstätte eingerichtet. Seit 2015 informiert eine Tafel über den geschichtlichen Hintergrund der Gräber. Bis 2025 wird die Anlage gemäß geltendem Kriegsgräbergesetz neu gestaltet.