
1944 entschied das Reichministerium des Innern, elf Heil- und Pflegeanstalten auf dem Gebiet des Deutschen Reiches auszuwählen, die ihren Schwerpunkt auf die »Versorgung« von Patient*innen ausländischer Herkunft legen sollten. Dort sollten Sammelstellen für unheilbar erkrankte Zwangsarbeiter*innen eingerichtet werden. Neben den Anstalten Bonn, Hadamar, Kaufbeuren, Landsberg/Warthe, Lüben, Mauer-Öhling, Pfafferode, Schleswig, Schussenried und Tiegenhof gehörte auch die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg dazu. Diese Entscheidung war eine Reaktion darauf, dass es kriegsbedingt zunehmend Versorgungsengpässe gab, die sich mit zunehmender Anzahl an Anstaltspatient*innen mit Fluchthintergrund zudem verschärften. In den ab September 1944 eingerichteten »Ausländersammelstellen« wurden schließlich sämtliche Patient*innen mit ausländischer Herkunft (unter ihnen auch eine hohe Zahl an Kriegsflüchtlingen) konzentriert.
In den »Ausländersammelstellen« wurden die Zwangsarbeiter*innen von den Anstaltsärztinnen und -ärzten nach ihrer Einsatz- und Leistungsfähigkeit begutachtet. Die fachpsychiatrische Begutachtung setzte in einem hohen Maße voraus, dass zwischen Ärztin bzw. Arzt und Patient*in eine Verständigung möglich war. Die Übersetzung durch eine*n Sprachmittler*in fand jedoch nur in Ausnahmefällen statt. Entsprechend willkürlich und unbrauchbar waren die Gutachten. Trotzdem waren sie Grundlage für die Beurteilung, ob und wie ein*e Zwangsarbeiter*in behandelt wurde. Die als arbeitsfähig eingestuften Patient*innen wurden ausreichend versorgt und nach einer Regenerierung an den Arbeitseinsatzort »gebessert entlassen«, mit fortbestehendem Risiko, dort zu sterben bzw. getötet zu werden.
Die als einsatz- und leistungsunfähig beurteilten Zwangsarbeiter*innen wurden meist Opfer der »Euthanasie«. Sie starben infolge von Mangelversorgung sowie durch überdosierte Medikamente. Auch lassen Untersuchungen die Annahme zu, dass es in den Heil- und Pflegeanstalten zu Medikamenten- und Wirkstoff-Erprobungen an Zwangsarbeiter*innen gekommen war.
Nach ihrem Tod wurden die Zwangsarbeiter*innen auf den jeweiligen Anstaltsfriedhöfen bestattet. Für die Tötungsanstalt Hadamar ist belegt, dass die Opfer der dortigen »Ausländersammelstelle« in Massengräbern bestattet wurden, die als Einzelgräber getarnt worden waren. Nach Kriegsende wurden diese Gräber geöffnet, die Leichen exhumiert. Im Zuge internationaler Abkommen wurden viele Leichen der Opfer der »Ausländer-Euthanasie« in die Herkunftsländer zurück überführt.
Ausländer-Sammel-Stellen
Im Jahr 1944 entscheidet der Minister:
Patienten aus dem Ausland dürfen ermordet werden.
Dafür muss man sie sammeln.
Also werden Ausländer-Sammel-Stellen eingerichtet.
In 11 Anstalten.
Das sind Spezial-Stationen nur für ausländische Patienten.
Dort entscheidet ein Arzt:
Der ausländische Patient darf leben.
Oder der ausländische Patient muss sterben.
In die Ausländer-Sammel-Stelle kommen:
Zwangs-Arbeiter
Flüchtlinge
Kinder von Zwangs-Arbeitern
Ausländer die in Deutschland leben
Ein Arzt in der Sammel-Stelle guckt die Patienten an.
Er spricht nicht mit ihnen.
Weil er die Sprache nicht kann.
Der Arzt versteht den Patienten nicht.
Trotzdem entscheidet der Arzt:
Der Zwangs-Arbeiter kann noch arbeiten.
Dann muss er zurück in die Zwangs-Arbeit.
Oder der Arzt entscheidet:
Der Zwangs-Arbeiter ist zu krank zum Arbeiten.
Er muss in der Anstalt bleiben.
Man kann nicht erlaubte Medikamente an ihm ausprobieren.
Und er darf er ermordet werden.
Weil er nicht mehr arbeiten kann.
Die Toten werden beerdigt.
Auf dem Fried-Hof der Anstalt.
Aber auf keinen Fall neben deutschen Toten.
Sie bekommen extra Gräber.
Nur für Ausländer.
Deutsche und Ausländer werden sogar noch tot getrennt.
Nach dem Krieg holen die Länder ihre Toten nach Hause.
Endlich finden sie Frieden.