Georg Marienberg

Mehrere Mitglieder der Lüneburger Familie Marienberg sympathisierten mit der kommunistischen Partei. Aus diesem Grund wurde die gesamte Familie erbbiologisch erfasst und vier Familienmitglieder gegen ihren Willen sterilisiert.

Georg Marienberg erging es wie seiner Cousine Thea und seinem jüngeren Bruder Karl. Er war Hilfsschüler gewesen, arbeitete zunächst als Hilfsarbeiter, dann als Knecht. Zum Zeitpunkt der Anzeige des Gesundheitsamtes über seine Unfruchtbarmachung war er gemeinsam mit seinem Bruder Karl beim Kohlehändler Lindemann beschäftigt. Sein Sterilisationsverfahren stand in direktem Zusammenhang mit dem Verfahren seines Bruders. Durch das Heiratsgesuch seines Bruders und die damit verbundene »Ehetauglichkeitsprüfung« wurde das Gesundheitsamt auch auf ihn aufmerksam.

Am 26. Juni 1938 ging die Anzeige des Gesundheitsamtes beim Erbgesundheitsgericht Lüneburg ein, drei Monate später beschloss es bereits, dass Georg Marienberg zu sterilisieren sei. Er wurde acht Wochen nach seinem Bruder Karl sterilisiert.

Trotz vorliegender Unfruchtbarkeit lehnte das Gesundheitsamt Lüneburg zwei Jahre später Georgs Eheschließung ab. Georg Marienberg beschwerte sich daraufhin beim Reichminister des Innern, der der Vermählung schließlich zustimmte.

Sechs Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus bemühte sich Georg Marienberg um Wiederaufnahme seiner Erbgesundheitssache und hoffte auf eine Entschädigung. In der Sitzung vom 12. Oktober 1951 kamen Amtsgerichtsdirektor Dr. Jahn, der ab 1940 der Nachfolger von Richter Stölting und bis Kriegsende der vorsitzende Richter am Erbgesundheitsgericht Lüneburg gewesen war, sowie Medizinalrat Dr. Schaeper – der Nachfolger von Amtsarzt Dr. Rohlfing beim Gesundheitsamt Lüneburg – zu dem Ergebnis, dass der Beschluss des ehemaligen Erbgesundheitsgerichtes aufrechterhalten werde. Georg Marienberg starb am 7. April 1979 in Lauenburg. Er hinterließ keine Kinder.

Foto von Georg Marienberg aus seiner Sterilisationsakte.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1324.

Bescheinigung des Gesundheitsamtes Lüneburg
für Georg Marienberg vom 17.8.1940.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1324.

Karl Marienberg

Mehrere Mitglieder der Lüneburger Familie Marienberg sympathisierten mit der kommunistischen Partei. Aufgrund dessen wurde die ganze Familie »erbbiologisch erfasst« und vier Familienmitglieder gegen ihren Willen sterilisiert.

Karl Marienberg wurde am 5. Februar 1913 in Lüneburg geboren. Er besuchte eine Hilfsschule, arbeitete dann als Landarbeiter und schließlich als Arbeiter bei der Kohlehandlung Lindemann, ebenso wie sein Bruder Georg. In dieser Zeit lernte er Berta Habenicht kennen. Die beiden wollten heiraten. Ihrem Antrag auf »Ehetauglichkeit« wurde jedoch nicht stattgegeben, stattdessen wurde eine Anzeige zur Sterilisation gestellt. Berta wurde »Prostitution« unterstellt, obwohl sie lediglich zwei uneheliche Kinder hatte. Karl Marienberg wiederum wurde für eine Sterilisation angezeigt, da sein Vater Otto im kommunistischen Widerstand aktiv war.

Der Richter Edzard Stölting sowie die beiden Mediziner Dr. Max Bräuner und Dr. Wilhelm Vosgerau, die dem Erbgesundheitsgerichtsverfahren von Karl Marienberg vorsaßen, lehnten am 7. Juli 1938 eine Sterilisation von Karl Marienberg zunächst ab. Dagegen legte der anzeigende Amtsarzt Dr. Hans Rohlfing vom Lüneburger Gesundheitsamt erfolgreich Beschwerde ein. Das Verfahren ging in die nächst höhere Instanz zum Erbgesundheitsobergericht nach Celle.

Das Celler Gericht beschloss am 25. Oktober 1938 die Unfruchtbarmachung von Karl Marienberg. Er wurde am 18. November 1938 im Städtischen Krankenhaus Lüneburg operiert. Allerdings wurde Berta schon vorher von Karl schwanger. Erst nach der Operation wurde die Eheschließung bewilligt. Karl Marienberg und Berta Habenicht heirateten zehn Tage vor der Geburt der gemeinsamen Tochter Silvia an Silvester 1938. Zweieinhalb Jahre später, am 13. Juni 1941, starb Karl »nach längerem Leiden« an Tuberkulose.

Foto von Karl Marienberg aus seiner
Sterilisationsakte.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1298.

Beschwerde des Gesundheitsamtes Lüneburg über Beschluss zu Karl Marienberg vom 27.7.1937.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 1298.


Thea Marienberg

Thea Marienberg wurde am 7. April 1921 geboren. Sie war die Tochter des Fuhrunternehmers Otto Marienberg und dessen Frau Alwine, wohnhaft Am Berge 35. Ottos Bruder Albert war am 10. Juli 1931 wegen seiner kommunistischen Parteizugehörigkeit erschossen worden. Nach der Machtübernahme der NSDAP war Otto Marienberg Mitglied im kommunistischen Widerstand, weshalb er 1934 eine Gefängnisstrafe wegen »Hochverrat« absaß.

1939 lernte Thea ihren zukünftigen Ehemann Erich Harenburg – Unteroffizier im Fliegerhorst Lüneburg – kennen und wurde schwanger. Um heiraten zu können, mussten sich beide zur Bescheinigung der Ehetauglichkeit an das Lüneburger Gesundheitsamt wenden. Aufgrund der politischen Aktivitäten ihres Vaters und angeblichen »Schwachsinns« in der Familie wurde Thea für »eheuntauglich« erklärt, und es wurde ein Verfahren zur Unfruchtbarmachung eingeleitet. Um trotzdem bald heiraten zu können und der Sterilisation zu entgehen, versuchte sie, die Lüneburger Ämter auszutricksen.

Sie ging zum Gesundheitsamt Hamburg, um sich dort die Ehetauglichkeit bescheinigen zu lassen. Am 27. Februar 1940, demselben Tag, an dem das Lüneburger Erbgesundheitsgericht das Urteil über ihre Zwangssterilisation fällte, kam das Hamburger Gesundheitsamt zum gegenteiligen Ergebnis: »Schwachsinn wurde hier nicht festgestellt und daher das Gesundheitszeugnis ausgestellt.« Damit stand der Eheschließung nichts mehr im Wege. Weil Thea aber in Lüneburg gemeldet war und die Hamburger Behörde die Lüneburger Amtskollegen über das Zeugnis informierte, flog alles auf, und das Hamburger Zeugnis wurde für ungültig erklärt.

Daraufhin wurde das Gerichtsverfahren mit dem Urteil über eine Zwangssterilisation abgeschlossen. Doch Theas Vater Otto Marienberg legte eine Beschwerde gegen den Gerichtsbeschluss ein, und ihr Fall ging an die nächsthöhere Instanz. Gleichzeitig ordnete das Gericht einen Anstaltsaufenthalt an, um dort feststellen zu lassen, ob Thea Marienberg »erbkrank« sei.

Nachdem Thea am 13. März 1940 eine Tochter zur Welt gebracht hatte, wurde sie am 7. Mai 1940 zusammen mit ihrem Kind in Haus 18 der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg aufgenommen. Dort traf sie auf die Ärztin Clara Schmidt, die der ärztlichen Einschätzung ihres Vorgesetzten und Ärztlichen Direktors Max Bräuner, der zuvor als einer der Richter über Theas Sterilisation geurteilt hatte, nicht widersprach. Das Erbgesundheitsobergericht bestätigte auf dieser gutachterlichen Basis das Urteil des Lüneburger Gerichts. Und auch Erich Harenburgs Versuch, die Operation seiner zukünftigen Frau durch eine Eingabe bei der Kanzlei des Führers zu verhindern, blieb erfolglos.

Am 10. Dezember 1940 wurden Thea im Städtischen Krankenhaus Lüneburg beide Eileiter entfernt. Erst danach stimmte Amtsarzt Rohlfing einer Eheschließung zu. Thea Marienberg und Erich Harenburg heirateten sechs Wochen nach ihrer Sterilisation am 28. Februar 1941.

Hochzeitsfoto von Thea und Erich Harenburg vom 28.2.1941.

Privatbesitz Uwe Marienberg.

Ärztlicher Bericht des Städtischen Krankenhauses Lüneburg
über die Sterilisation von Thea Marienberg vom 2.1.1940.

NLA Hannover Hann. 138 Lüneburg Acc. 102/88 Nr. 208.


Paul Hausen

Paul Hausen wurde am 27. Juni 1917 in Lüneburg geboren. Im Alter von 17 Jahren soll er sich sexuell an einem jüngeren Mädchen versucht haben. Wegen sogenanntem »abnormen Sexualtrieb« kam er daraufhin in das Erziehungsheim Gut Kronsberg bei Hannover-Wülfel. Von dort wurde 1938 das Verfahren zur Zwangssterilisation eingeleitet.

Am 28. Mai 1938 beschloss das Erbgesundheitsgericht Lüneburg über Paul Hausens Sterilisation. Nur einen Monat später, drei Tage vor seinem 21. Geburtstag, erfolgte zudem die Aufnahme in die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg. Wegen angeblichen »angeborenen Schwachsinns« und »Sittlichkeitsverbrechen« wurde er nach dem »Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung« vom 24. November 1933 (»Gewohnheitsverbrechergesetz«) fortan als sogenannter »Sittlichkeitsverbrecher« in der Lüneburger Anstalt sicherheitsverwahrt.

Diese Unterbringung verhinderte jedoch keineswegs die Sterilisation, im Gegenteil. Das »Gewohnheitsverbrechergesetz« bot in §§ 42a die Möglichkeit der Zwangskastration. Durch die Entfernung von Geschlechtsorganen ging diese Operation weit über die Zwangssterilisation hinaus. Das Gesetz fand auch bei Paul Hausen Anwendung. Er wurde deshalb nicht wie andere Lüneburger Zwangssterilisierte im Städtischen Krankenhaus Lüneburg operiert, sondern am 30. März 1939 im Henriettenstift in Hannover. Hierbei verstümmelten die Ärzte seine Geschlechtsorgane.

Im Zeitraum 1939 bis zu seiner Verlegung nach Herborn in die »Aktion T4« bekam Paul Hausen zusätzlich die Diagnose »Schizophrenie« gestellt. Ob die »Schizophrenie« erst durch die Zwangskastration ausgelöst wurde bzw. Folge der Totaloperation war oder doch eher einer davon unabhängigen Symptomatik entsprach, kann nicht mehr nachvollzogen werden. Auch ist nicht klar, ob sie im Fall von Paul Hausen tatsächlich vorgelegen hat. Die Diagnose »Schizophrenie« kombiniert mit seiner Sicherheitsverwahrung war jedoch ausschlaggebend dafür, dass Paul Hausen für eine »planwirtschaftliche Verlegung« selektiert wurde. Er wurde am 23. April 1941 in die Durchgangsanstalt Herborn und von dort in die Tötungsanstalt Hadamar verlegt. Er starb dort am 21. Mai 1941 in der Gaskammer einen qualvollen Erstickungstod. Paul Hausen wurde nur 23 Jahre alt.

Charakteristik-Bogen von Paul Hausen, ca. 1938.

NLA Hannover 155 Lüneburg Acc. 2004/066 Nr. 7888.

Wilhelm Güthling

Wilhelm Güthling wurde am 3. April 1886 in Lüneburg geboren. Er war ein »doppeltes Opfer« der Eugenik und »Euthanasie«-Maßnahmen.

Am 21. Mai 1907 wurde er mit 21 Jahren das erste Mal in der Heil-und Pflegeanstalt Lüneburg aufgenommen. Seine Diagnose lautete zunächst »angeborener Schwachsinn«. Als einziger Angehöriger war sein Vater benannt, mit dem er in der Straße Vor dem Neuen Tore in Lüneburg lebte. In der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre zog der Vater in die Gellersstraße um und verstarb kurze Zeit später.

Wilhelm Güthling wurde immer wieder für längere Zeit Patient in der Anstalt. Zu seinen Aufenthalten außerhalb der Anstalt gibt es unterschiedliche Angaben über seinen Lebensunterhalt. In der Akte des Gesundheitsamtes wird er als Arbeiter bezeichnet. Auch habe er in einer Fassfabrik und als Knecht gearbeitet. Doch Versuche der Eltern, ihn dauerhaft in eine Anstellung zu bringen, scheiterten wohl aufgrund seines Müßiggangs. So verbrachte er sogar eine Zeit im Armenhaus und aufgrund von Bettelei sei er zudem drei Tage im Gefängnis gewesen.

Die letzte dokumentierte Aufnahme in der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg erfolgte am 18. Dezember 1933. Danach scheint er nicht wieder entlassen worden zu sein.

Wilhelm Güthling zählt zu den ersten Opfern der Zwangssterilisation. Das Erbgesundheitsgericht Lüneburg beschloss seine Sterilisation am 26. Juni 1934, obwohl aufgrund des dauerhaften geschlossenen Anstaltsaufenthaltes von ihm gar keine »rassenhygienische Gefahr« ausging. Am 20. September 1934 wurde er mit hoher Wahrscheinlichkeit im Städtischen Krankenhaus Lüneburg operiert. Seine frühe Sterilisation ist Ausdruck der Akribie, mit der insbesondere zu Beginn der Einführung des Gesetzes vorgegangen wurde.

Nach der Sterilisation erfolgten nur noch wenige Einträge in Wilhelm Güthlings Krankenakte. Der letzte Eintrag erfolgte durch den Arzt Rudolf Redepenning am 22. April 1941 und lautete: »Nach Herborn«. Zur gleichen Zeit wurde auch seine Diagnose handschriftlich in »Pfropfschizophrenie« geändert. So wurde seine Deportation in eine der Tötungseinrichtungen gerechtfertigt. Wilhelm Güthling wurde am 23. April 1941 mit rund 120 weiteren Patient*innen im Zuge der »Aktion T4« in die Zwischenanstalt Herborn und von dort in die Tötungsanstalt Hadamar deportiert. Dort wurde er am 21. Mai 1941 ermordet.

Deckblatt des Charakteristik-Bogens von Wilhelm Güthling.


NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 2004/66 Nr. 7855.