Berend »Benni« Willem Hiemstra

Berend Hiemstra wird Benni genannt.
Er ist 1937 geboren.
Er kommt aus Zutphen.
Das ist eine Stadt in den Nieder-Landen.
Das ist ein Nachbar-Land von Deutsch-Land.
Benni hat keine Geschwister.
Er ist das einzige Kind.

Der Vater ist Schlachter.
Er handelt mit Fleisch und Kühen.
Seine Mutter ist Haus-Frau.
Sie ist eine National-Sozialistin.

Im Jahr 1944 fallen Bomben in den Nieder-Landen.
Es wird gefährlich.
Vor allem für die National-Sozialisten in den Nieder-Landen.
Sie haben Angst vor einer Strafe.
Weil sie mit den Deutschen National-Sozialisten Freunde sind.
Und mit ihnen zusammen arbeiten.
Die National-Sozialisten haben viele Menschen ermordet.
Auch die Eltern von Benni haben Angst vor Strafe.
Weil sie Freunde von Mördern sind.

Bennis Eltern entscheiden:
Wir gehen nach Deutsch-Land.
Zu unseren national-sozialistischen Freunden.
Da sind wir sicher.

Benni und seine Eltern flüchten nach Lüne-Burg.
Zuerst sind sie in einer Kaserne.
Da arbeiten Soldaten.
Dann kommen sie in ein Flüchtlings-Lager.

Da arbeitet eine Pflegerin.
Sie merkt:
Benni hat eine geistige Behinderung.
Und er hat Anfälle.
Darum meldet sie Benni beim Gesundheits-Amt.

Benni wird untersucht.
Der Arzt entscheidet:
Benni hat eine Behinderung.
Er muss in die Kinder-Fach-Abteilung Lüne-Burg.

Benni kommt in die Kinder-Fach-Abteilung Lüne-Burg.
Da ist er 7 Jahre alt.
Seine Eltern besuchen ihn 2 Mal.
Und sie sprechen mit dem Arzt.
Dann ist Benni plötzlich tot.
Es geht ganz schnell.

Ganz sicher ist:
Benni wird ermordet.
Er stirbt am 2. Oktober 1944.
3 Wochen nach seiner Auf-Nahme in die Kinder-Fach-Abteilung.
Der Arzt sagt:
Benni ist an einer Darm-Entzündung gestorben.
Aber das ist eine Lüge.

Wussten die Eltern die Wahrheit?
War der Tod für die Eltern o.k.?
Haben die Eltern den Arzt darum gebeten?
Das ist alles nicht bekannt.

Das ist Benni Hiemstra. Auf dem Foto ist er ein Jahr alt. Das Foto ist schwarz-weiß. Es ist schon sehr alt. Das Foto ist von 1938.

Herbert und Willi Köhler

Die Zwillingsbrüder Herbert und Willi Köhler wurden am 18. August 1928 in Groß-Lobke im Landkreis Hildesheim geboren. Sie hatten einen jüngeren Bruder, Friedel. Die Mutter Berta Köhler (geborene Meier) war eine ehemalige Kinderpflegerin und der Vater Willi Köhler ausgebildeter Schuhmachermeister. Die Zwillinge seien entwicklungsverzögert gewesen. Willi ging dennoch bis zur achten Klasse in die Schule, Herbert hingegen wurde nicht beschult.

Als fast 15-Jährige gehörten sie zu den wenigen Jugendlichen unter den Patientinnen und Patienten der »Kinderfachabteilung«. Sie wurden am 7. Juni 1943 durch Oberpflegerin Wolf in Haus 23 aufgenommen.
Die Initiative war von der Mutter ausgegangen. Sie wollte ihre Söhne überprüfen lassen, ob sie einer Arbeit nachgehen könnten. Herbert und Willi sollten unter Umständen in der Anstalt sogar einen Beruf erlernen. Außerdem ging sie auf Kur und benötigte eine Unterbringung für ihre Söhne, da der Vater der Kinder im Krieg gestorben war. Da keine Zweifel bestanden, dass die Aufnahme bewilligt werde, kündigte der Sachbearbeiter im gleichen Schreiben an, dass die Mutter Berta Köhler ihre Kinder am 7. Juni 1943 persönlich in die Anstalt bringen werde. Da man es offenbar sehr eilig hatte, die Kinder in der »Kinderfachabteilung« unterzubringen, hatte man sie sogar schon bei der Meldebehörde abgemeldet, einschließlich Abmeldung der Lebensmittelkarten.

Willi wurde zunächst in der Schneiderei und Schusterei eingesetzt, jedoch als »unbrauchbar zurückgebracht«. Herbert wurde in der Korbflechterei beschäftigt, allerdings ebenfalls als »unbrauchbar« beurteilt. Infolgedessen mussten beide fortan in der Feldkolonne arbeiten. Die Mutter war in großer Sorge um ihre Zwillinge, nachdem sie erfuhr, dass die Arbeitsversuche nicht erfolgversprechend waren.

In der Krankengeschichte von Herbert folgte trotz gesundheitlicher Angeschlagenheit für das restliche Jahr 1943 nur ein Eintrag. Da die Mutter in großer Sorge um ihre Zwillinge blieb, stattete sie beiden am 4. Januar 1944 einen Besuch ab. Der Besuch erschütterte Berta Köhler. Sie fand ihre Kinder trotz eisiger Kälte nackt im Bett auf. Zudem mussten die Kinder ab nachmittags Bettruhe halten und aßen dort auch ihr Abendessen. Daraufhin schrieb sie mehrere Beschwerdebriefe an den Ärztlichen Direktor und drohte damit, sogar den Reichsgesundheitsführer Leonard Conti einzuschalten. Berta schrieb auch an ihre Zwillinge einen Brief und machte ihnen Mut durchzuhalten, bis sie eine Lösung gefunden habe. Berta Köhlers Anschuldigungen wurden von Willi Baumert dementiert.

Nach ihren Meldungen und Beschwerden wurde Berta Köhler schikaniert. So wurde ihr eine Reise-Erlaubnis nach Lüneburg nur dann erteilt, wenn sie eine Bescheinigung der Anstalt vorbrachte, dass ihre Besuche gewünscht seien. Später verhinderte der Kriegsverlauf weitere Besuche. Herberts Gesundheitszustand verschlechterte sich unterdessen im Winter 1944/1945. Ende Januar 1945 wog der inzwischen 16-Jährige nur noch 28,5 kg. Er starb am 22. März 1945 offiziell an einer »Lungenentzündung«. Dies kann bezweifelt werden, zumal die Erkrankung erst einen Tag zuvor ausgebrochen sein soll. Herberts Zwillingsbruder Willi war während seines Siechtums bei ihm. Ihn traf der Tod seines Bruders hart. Berta Köhler erfuhr vom Tod ihres Sohnes erst einen Monat später. Sie beschloss daraufhin, Willi zu retten – mit Erfolg. Am 29. April 1945 holte sie in nach Hause. Er überlebte.

Schreiben des Landkreises Hildesheim, 3.6.1943.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 290.

Nach der formlosen Aufnahme quasi »auf Zuruf«, ohne jegliche medizingutachterliche und somit auch rechtliche Grundlage, wurde das amtsärztliche Gutachten lediglich pro forma nachgefordert.

Schreiben der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg, 10.6.1943.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 290.

»Ich bitte freundlich um einen kl. Bericht über meine Kinder Willi u. Herbert Köhler. Insbesondere wie es ihnen geht, und in welcher Art sie sich beschäftigen. Da ich am 5. Juli nach Wildungen zur Kur fahre, wäre es mir sehr lieb vorher noch zu berichten.« Postkarte von Berta Köhler, 29.6.1943.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 290.

»Entschuldigen Sie bitte wenn ich nochmal an Sie schreibe, ich muß diese Tage so an Herbert denken, und habe schon schlaflose Nächte dadurch, ob es ihm wohl schlechter geht […]. Grüßen Sie bitte meine lieben Kinder und ich hoffe dass Willi nun auch seine Beschäftigung hatt, denn er hatt«
Schreiben an die Heil- und Pflegeanstalt, 30.8.1943 (Vorderseite).

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 290.

Todesanzeige (Rückseite), 23.3.1945.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 290.

Herbert und Willi Köhler

Herbert und Willi Köhler sind Zwillinge.
Sie werden im Jahr 1928 geboren.
Sie haben noch einen jüngeren Bruder.
Ihre Eltern heißen Berta und Willi.

Die Zwillinge lernen langsam.
Willi geht nach Klasse acht nicht mehr zur Schule.
Herbert geht gar nicht zur Schule.

Im Jahr 1943 kommen sie in die Anstalt nach Lüneburg.
Sie kommen in die Kinder-Fach-Abteilung.
Da sind sie schon fast fünf-zehn Jahre alt.
Sie gehören zu den Großen.

Die Mutter findet den Aufenthalt gut.
Sie denkt:
Die Kinder-Fach-Abteilung hilft meinen Söhnen.
Dort können sie gefördert werden.
Sie lernen zu arbeiten.

Die Mutter möchte wissen:
Können meine Söhne einen Beruf lernen?

Willi arbeitet in der Schneiderei.
Danach arbeitet er in der Schusterei.
Aber er schafft die Arbeit nicht.

Herbert soll Körbe flechten.
Aber das schafft er auch nicht.
Dann arbeiten beide auf dem Feld.

Die Mutter macht sich Sorgen.
Sie wünscht sich eine gute Arbeit für ihre Söhne.
Eine Pflegerin und ein Arzt schreiben der Mutter.

Herbert geht es nicht gut in der Anstalt.
Aber es gibt nur einen Eintrag in Herberts Patienten-Akte.
Im ganzen Jahr 1943.

Die Mutter macht sich Sorgen.
Sie besucht ihre Kinder am 4. Januar 1944.
Es ist sehr kalt.
Aber die Kinder liegen nackt in den Betten.
Sie müssen schon ab dem Nachmittag nur im Bett liegen.
Im Bett essen sie auch ihr Abend-Essen.

Die Mutter beschwert sich bei der Anstalt.
Sie schreibt Briefe.
Die Mutter schreibt auch den Zwillingen einen Brief.
Sie möchte ihnen Mut machen.
Sie will sich um sie kümmern.

Der Arzt in der Kinder-Fach-Abteilung will nichts hören.
Er will keine Beschwerden.
Er sagt:
Das stimmt alles nicht.

Danach wird die Mutter schlecht behandelt.
Sie darf ihre Söhne kaum noch besuchen.
Nur wenn die Anstalt es erlaubt.
Später kann sie gar nicht mehr kommen.
Weil der Krieg immer schlimmer wird.

Herbert geht es immer schlechter.
Ende Januar 1945 wiegt er nur noch acht-und-zwanzig Kilo.
Dabei ist er schon sechzehn Jahre alt.
Er stirbt am 22. März 1945.
Die Anstalt sagt:
Es war eine Lungen-Entzündung.
Aber das ist eine Lüge.
Herbert ist verhungert.

Willi ist bei dem Tod von Herbert dabei.
Er bekommt mit wie es Herbert schlecht geht.
Dann stirbt Herbert.
Willi ist darüber sehr traurig.

Herbert ist einen Monat tot.
Erst dann schreibt die Anstalt ihr:

Herbert ist tot.
Berta ist geschockt.
Sie kann es nicht glauben.
Sie ist in Sorge um ihren zweiten Sohn.
Sie entscheidet:
Ich hole Willi nach Hause.

Das macht sie.
Sie holt Willi am 29. April 1945 nach Hause.
Willi über-lebt.

Das ist ein Brief.
In dem Brief steht:
Berta Köhler bringt ihre Söhne in die Kinder-Fach-Abteilung.
Es muss alles schnell gehen.
Das ist ein Brief vom Land-Kreis Hildesheim.
Der Brief ist aus dem Jahr 1943.

Das ist ein Brief aus der Anstalt Lüneburg.
Die Zwillinge dürfen kommen.
Es geht alles sehr schnell.
Ein Arzt-Brief über Willi und Herbert soll später kommen.
Der Brief ist aus dem Jahr 1943.

Das ist eine Post-Karte.
Sie ist von Berta Köhler.
Sie fragt:
Wie geht es meinen Söhnen?
Arbeiten Sie?
Die Post-Karte ist aus dem Jahr 1943.

Das ist ein Brief.
Er ist von der Mutter.
Sie schreibt:
Ich mache mir Sorgen um Herbert.
Ich grüße die Kinder.
Meine Kinder sollen eine Aufgabe haben.
Der Brief ist von 1943.

Das ist eine Todes-Anzeige.
Es ist die Todes-Anzeige von Herbert Köhler.
Darin steht:
Herbert stirbt an einer Lungen-Entzündung.
Das stimmt nicht.
Die Anzeige ist vom 23. März 1945.

Rosemarie und Dieter Bode

Die Zwillinge Rosemarie und Dieter Bode wurden am 27. April 1935 in Hannover geboren. Ihre Eltern waren der gelernte Maurer und Wachmann Wilhelm Bode und seine Frau Erika Bode (geborene Ebeler). Sie hatten noch eine jüngere Schwester, die heute noch leben könnte. Als die Mutter an der Lunge erkrankte und der Vater in die Wehrmacht eingezogen wurde, entschied Erika, ihre Zwillinge in die Rotenburger Anstalten der Inneren Mission zu geben.

Wilhelm war mit der Einweisung seiner Zwillinge nicht einverstanden. Sein Ärger darüber war so groß, dass er sich zwei Wochen später von seiner Ehefrau trennte. Zwischen 1939 und 1941 blieben die Zwillinge in Rotenburg. Am 9. Oktober 1941 wurden Rosemarie und Dieter Bode zusammen mit über 130 weiteren Kindern in die Lüneburger »Kinderfachabteilung« verlegt. Rosemarie und ihr Bruder Dieter waren 1941 von den Rotenburger Anstalten der Inneren Mission an den »Reichsausschuss« nach Berlin gemeldet worden. Dort wurde die Einweisung in die »Kinderfachabteilung« angewiesen und eine »Behandlungsermächtigung« erteilt. Rosemarie wurde am 4. Februar 1942 ermordet. Dem Vater wurde mitgeteilt: »Ihre Tochter Rosemarie ist am 4. Februar 1942 an einer Lungentuberkulose gestorben.«

Wilhelm Bode konnte an der Beerdigung seiner Tochter nicht teilnehmen, weil er zum Todeszeitpunkt in Russland kämpfte. Auch die Mutter Erika nahm an der Beisetzung nicht teil, da sie sich noch in einer Lungenklinik befand. Dieter hatte den Mord an seiner Schwester miterlebt. Eine Woche nach ihrer Ermordung schrieb der Lüneburger Arzt den ersten Eintrag in Dieters Krankenakte. Dieter überlebte seine Zwillingsschwester Rosemarie nur ein Jahr und zwei Monate. Er wurde am 10. April 1943 ermordet. Die Leichen beider Kinder wurden seziert und ihre Gehirne entnommen. Die Gehirne wurden an das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf abgegeben.

2012 konnten die Präparate gemeinsam mit zwölf weiteren identifiziert werden. 2013 wurden sie im Rahmen der Einweihung einer Gedenkanlage auf dem ehemaligen Anstaltsfriedhof, dem heutigen Lüneburger Friedhof Nord-West, bestattet. Rosemarie und Dieter Bodes sterbliche Überreste gehörten dazu. An der Bestattung nahmen viele noch lebende Geschwister der ermordeten Kinder teil.

Schreiben von Wilhelm Bode
an die Rotenburger Anstalten der Inneren Mission vom 9.7.1939.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 42.

Schreiben der Gemeinnützigen Kranken-Transport-G.m.b.H. an die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg vom 6.11.1941.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 42.

»Für alle Liebe und Pflege die Sie meinen Kindern Rosemarie und Dieter wehrend ihres dortigen Aufenthaltes gegeben haben, danke ich Ihne nochmals herzlich.«
Schreiben von Erika Bode
an die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg, 5.5.1943.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 207.

Zeichnung der Kindergrablagen
auf dem ehemaligen Anstaltsfriedhof. Nummer 21 ist das Grab von Rosemarie Bode. Ihr Zwillingsbruder Dieter wurde in Grabnummer 99 bestattet.

Friedhof der Provinzial- Heil- und Pflegeanstalt. Begräbnisbuch 1922 – 1948.

Stadtarchiv Lüneburg.

Rosemarie und Dieter Bode

Rosemarie und Dieter Bode sind Zwillinge.
Sie werden 1935 in Hannover geboren.
Sie haben noch eine jüngere Schwester.
Die Eltern heißen Wilhelm und Erika Bode.
Die Mutter wird krank.
Der Vater muss in den Krieg.
Darum kommen die Zwillinge in eine Anstalt.
Die Anstalt ist in Roten-Burg.

Der Vater will das nicht.
Er ist sehr wütend.
Zwei Wochen später trennt er sich von seiner Frau.

Die Zwillinge bleiben zwei Jahre in der Anstalt.
Dann müssen sie in eine andere Anstalt.
Sie kommen nach Lüneburg.
Sie werden Patienten in der Kinder-Fach-Abteilung.
Das ist am 9. Oktober 1941.
Sie kommen mit über ein-hundert-dreißig anderen Kindern.

Ein Arzt in Roten-Burg meldet Rosemarie und Dieter.
Er schreibt nach Berlin.
Er informiert ein besonderes Amt.
Das besondere Amt schickt die Zwillinge nach Lüneburg.

Das besondere Amt sagt:
Rosemarie und Dieter dürfen ermordet werden.
Die Ärzte in Lüneburg sollen das entscheiden.
Das ist ein Brief.
Er ist aus dem Jahr 1941.

Rosemarie wird am 4. Februar 1942 ermordet.
In einem Brief an den Vater steht: Rosemarie ist tot.
Sie stirbt an einer Lungen-Krankheit.
Das ist eine Lüge.
Der Brief ist aus dem Jahr 1942.

Der Vater kommt nicht zur Beerdigung.
Er kämpft als Soldat in Russ-Land.
Das ist ein Land weit weg von Deutsch-Land.
Die Mutter Erika kommt auch nicht.
Sie ist immer noch in einer Klinik.

Dieter ist beim Mord an seiner Schwester dabei.

Dieter ist dem Arzt egal.
Er unter-sucht ihn erst als seine Schwester tot ist.

Ein Jahr und zwei Monate später wird auch Dieter ermordet.
Er stirbt am 10. April 1943.

Die Kinder werden nach dem Tod unter-sucht.
Ihre Gehirne werden aus dem Kopf genommen.
Die Gehirne werden ins Kranken-Haus Eppendorf geschickt.

Im Jahr 2012 werden Teile von den Gehirnen gefunden.
Sie gehören zu zwölf Kindern.

Im Jahr 2013 werden die Gehirn-Teile bestattet.
Auf dem Friedhof Nord-West.
Das ist der Fried-Hof der Anstalt.
Die Gehirn-Teile von Rosemarie und Dieter gehören dazu.
Zu der Beerdigung kommen viele Geschwister.
Es sind Brüder und Schwestern von den ermordeten Kindern.

Das ist ein Brief.
Der Brief ist vom Vater Wilhelm Bode.
Er ist an die Anstalt in Roten-Burg.
Er ist aus dem Jahr 1939.

Das ist ein Brief.
Er ist von der Mutter Erika Bode.
Sie schreibt an die Anstalt in Lüneburg.
Sie schreibt:
Danke für die Pflege.
Danke für die gute Betreuung der Kinder.
Sie weiß nichts vom Mord.
Der Brief ist aus dem Jahr 1943.

Das ist eine Zeichnung.
So liegen damals die Kinder-Gräber.
Sie liegen auf dem Anstalts-Fried-Hof.
Nummer ein-und-zwanzig ist das Grab von Rosemarie.
Nummer neun-und-neunzig ist das Grab von Dieter.
Die Zeichnung ist aus dem Begräbnis-Buch.

Geschwister Buhlrich

Hans Buhlrich, geboren am 1. Mai 1932, war das älteste Kind von Johanne Caroline (geborene Hartmann) und Wilhelm Johann Heinrich Buhlrich. Er wuchs bis zu seinem zehnten Lebensjahr bei seinen Eltern auf. Laut Cousin Kurt Homburg habe Hans seinen rechten Arm nicht unter Kontrolle gehabt und im Kopf sei er auch etwas langsamer gewesen. Am 21. Mai 1936 wurde Hans Schwester Erika Buhlrich, am 3. März 1941 seine Schwester Margret Buhlrich geboren.

Als der Vater in den Kriegsdienst eingezogen wurde, musste Mutter Johanne alles alleine bewältigen. Ihr Neugeborenes war erst ein halbes Jahr alt. Vermutlich aufgrund von Überforderung der Mutter wurde Hans am 20. September 1941 in das staatliche Gertrudenheim eingewiesen. Vom Gertrudenheim wurde Hans noch im selben Monat in die Heil- und Pflegeanstalt Kloster Kutzenberg (Oberfranken) verlegt. Dort starb Hans ein Jahr später am 17. Oktober 1942. Die offizielle Todesursache lautete »Herzschwäche«.

Als Hans Schwester Erika etwa ein Jahr alt war, erkrankte sie an Hirnhautentzündung. Infolgedessen zeigte sich eine Entwicklungsverzögerung. Als Erika fünf Jahre und ihre kleine Schwester sechs Monate alt war, erfuhr sie, dass ihr Bruder ins Gertrudenheim musste. Von da an wuchs sie ohne ihn und nur mit der fünf Jahre jüngeren Schwester Margret auf.

Als Bremen bombardiert wurde, suchte Johanne mit ihren Mädchen Zuflucht in einem Bunker. Nachbarn fühlten sich von den Mädchen gestört und denunzierten sie. Drei Jahre nachdem bereits ihr Bruder in die Anstalt eingewiesen worden war, wurden am 6. September 1944 auch Erika und Margret Buhlrich als anstaltsbedürftig in die »Kinderfachabteilung« Lüneburg aufgenommen. Johanne nutzte die Gelegenheit, um die Ursache für die Verzögerungen und Behinderungen ihrer Kinder zu erfragen. In Briefen bat sie den Ärztlichen Direktor, ihre Kinder dahingehend zu untersuchen. Sie dachte, auch Margret sei verzögert und habe eine Behinderung, dabei hatte sie nur »krumme Beine«.

Sie erhielt die Antwort, dass zur Klärung der Ursache Untersuchungen am Gehirn vorgenommen werden müssten, die erst nach dem Tode möglich seien. Beide Schwestern wurden daraufhin im Abstand von wenigen Wochen in der »Kinderfachabteilung« Lüneburg ermordet – erst Erika, dann Margret. Johanne hatte somit ihre drei Kinder in der »Kinder-Euthanasie« verloren.

Nach den Gehirn-Sektionen empfahl ihr Dr. Max Bräuner, sie solle besser keine weiteren Kinder bekommen. Daraufhin adoptierten sie und ihr Ehemann Wilhelm einen Jungen. Friedrich Buhlrich erfuhr erst nach dem Tod seiner Adoptiveltern, dass er drei Geschwister hatte. Er machte sich auf die Suche nach ihrem Schicksal und setzt sich seither für die Aufarbeitung der »Euthanasie«-Verbrechen ein.

Hans Buhlrich, 29.3.1936.

Privatbesitz Friedrich Buhlrich.

Erika Buhlrich auf einer Decke im Garten, ca. 1937.

Privatbesitz Friedrich Buhlrich.

Foto von Margret Buhlrich im Garten, Spätsommer 1944.

Privatbesitz Friedrich Buhlrich.

Aufnahme-Kartei zu Hans Buhlrich.

Kopie Friedrich Buhlrich |
Staatsarchiv Bamberg, Rep. K 61, Nr. 6489.

»Möchte sie auch fragen ob Sie schon festgestellt haben wovon es kommt, das meine beiden Kinder krank sind.«
Schreiben von Johanne Buhlrich an die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg, 18.9.1944.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 45.

Sterbeurkunde Erika Buhlrich, 23.11.1944.

Privatbesitz Friedrich Buhlrich.

Sterbeurkunde Margret Buhlrich, 25.1.1945.

Privatbesitz Friedrich Buhlrich.