In der Nähe der Lüneburger Anstalt ist ein Fried-Hof. Der Fried-Hof Nord-West. Seit 1985 gehört der Fried-Hof zur Stadt Lüneburg. Davor gehört der Fried-Hof zur Anstalt. Auf dem Fried-Hof der Anstalt werden Patienten beerdigt.
Viele Patienten werden in der Lüneburger Anstalt ermordet. Es sind Kinder mit einer Behinderung. Oder erwachsene Patienten mit einer Behinderung. Oder mit einer seelischen Krankheit. Viele Zwangs-Arbeiter sterben in der Lüneburger Anstalt. Alle sind Opfer des Patienten-Mordes.
Ein Teil der Opfer werden auf dem Anstalts-Friedhof beerdigt. Sie bekommen ein eigenes Gräber-Feld. Auch die Zwangs-Arbeiter. In 84 alten Gräbern liegen diese Patienten. Es sind Patienten mit ausländischer Herkunft. Darunter sind auch 4 Kinder.
Es gibt ein Gräber-Gesetz. Darin steht: Gräber von Opfern des Krieges sind wichtig. Gräber von Opfer der National-Sozialisten sind wichtig. Sie müssen immer bleiben. Als Erinnerung und Mahnung.
Aber viele Gräber der Opfer vom Patienten-Mord sind weg. Sie sind nicht mehr da. Sie sind aufgelöst. Es gibt nur noch das Ausländer-Gräber-Feld.
Manche Leichen werden nach Hause geholt. Von ihren Familien. Es gibt dann eine Trauer-Feier. Oder die Familien wollen gar nicht feiern. Nicht mal der Name soll genannt werden beim Gottes-Dienst.
Diese Toten sind nicht auf dem Fried-Hof der Anstalt beerdigt. Sondern zu Hause. Auf einem anderen Fried-Hof. In der Zeit des National-Sozialismus.
Darum ist die Zahl der Ermordeten und der Gräber nicht gleich. Auf dem Kinder-Gräber-Feld.
Die Familien in Lüneburg entscheiden: Mein totes Kind soll nicht auf dem Anstalts-Fried-Hof liegen. Sondern auf dem Zentral-Fried-Hof. In der Innen-Stadt.
Auf dem Zentral-Fried-Hof liegt auch ein Kind aus Hamburg. Es wird in der Kinder-Fach-Abteilung ermordet. Aber alle denken: Es ist durch Bomben gestorben. Darum darf es auf dem Zentral-Fried-Hof beerdigt werden. Da liegen auch andere Bomben-Opfer.
Die Opfer der Aktion T4 werden verbrannt. In einem Ofen. Gleich 2 oder 3 Leichen auf einmal. Nur wenige Familien sagen: Wir möchten die Asche haben. Dann wird die Asche in einem Gefäß nach Hause geschickt.
Die Asche der anderen Opfer der Aktion T4 kommt weg. Sie wird auf Feldern verteilt. Oder in einen Fluss gekippt. Oder in eine Erd-Kuhle geschüttet.
Ein Grab bleibt 25 Jahre. Länger nicht. Danach wird es aufgelöst. Außer es ist ein Grab von einem Opfer von Krieg und Gewalt-Herrschaft. Dann sagt ein Kriegs-Gräber-Gesetz: Das Grab darf für immer liegen bleiben. Und es wird bepflanzt. Und die Blumen werden gegossen. Die Familien müssen das nicht bezahlen.
Aber die Familien wissen das nicht. Sie wissen nicht: Wir haben ein Mord-Opfer in der Familie. Sie wissen nicht: Das Grab fällt unter das Kriegs-Gräber-Gesetz. Darum werden die Gräber von den Familien oft auf-gelöst. Nach 25 Jahren.
Heute gibt es nur noch ganz wenige Gräber. Von Opfern vom Patienten-Mord. Sie sind auf Anstalts-Fried-Höfen. Oder in Familien-Gräbern.
Das Kriegs-Gräber-Gesetz sagt: Deutschland kümmert sich um alle Gräber von Krieg und Gewalt-Herrschaft. Aber die müssen gemeldet sein. Bis zum Jahr 1985. Dann ist Schluss. Dann darf kein weiteres Grab dazu kommen.
Aber die Familien konnten die Gräber nicht melden. Bis zum Jahr 1985. Sie wissen ja nicht: Es ist ein Grab von einem Opfer.
Bis heute sind diese Gräber nicht sicher. Sie können jederzeit auf-gelöst werden. Und verschwinden. Zum Beispiel wenn die Familie stirbt. Oder kein Geld mehr hat es zu bezahlen. Das ist ein Problem. Und es ist nicht gerecht. Denn: Alle Gräber von Opfern von Krieg und Gewalt-Herrschaft sind doch gleich.
Ein Ehren-Hain ist ein besonderes Grab. Es ist ein Ehren-Grab. Es soll den Toten besonders an-erkennen.
Im Jahr 1967 wird so ein Ehren-Grab ein-gerichtet. Nicht für die Opfer vom Patienten-Mord. Sondern für den Mörder. Es ist der Arzt Rudolf Redepenning.
Er gibt den Patienten nicht genug zu essen. Er hilft den Kranken und Schwachen nicht. Er macht mit bei der Aktion T4. Er schreibt falsche Kranken-Geschichten. Damit besonders viele Patienten ermordet werden. Und er ermordet Patienten aus dem Aus-Land.
Das Ehren-Grab ist von weitem gut zu erkennen. Es gibt 2 große Baum-Reihen. Am Ende gibt es einen Gedenk-Stein. Und da-hinter steht ein sehr großes Holz-Kreuz.
Das Ehren-Grab ist neben den Gräbern von den Mord-Opfern. Rudolf Redepenning wird direkt neben-an beerdigt. Es gibt keine Rück-Sicht auf die Opfer. Und auf ihre Familien.
Alle Opfer-Gräber sind noch da. Als Rudolf Redepenning beerdigt wird. Und seinen Ehren-Hain bekommt. Es gibt noch keine Kriegs-Gräber-Stätte. Und noch keine Gedenk-Anlage.
Sein Grab ist in der Mitte des Fried-Hofs Nord-West. Es ist so groß und gewaltig. Damit es alle sehen. Rudolf Redepenning leitet das besondere Kranken-Haus. Nach dem Zweiten Welt-Krieg. Er verändert die Behandlung von Patienten. Dafür bekommt er eine Aus-Zeichnung. Das Bundes-Verdienst-Kreuz. Dann stirbt er. Und die Familie entscheidet: Rudolf Redpenning soll ein Ehren-Grab bekommen. Auch die Anstalt findet das gut. Keiner denkt darüber nach. Dass er ein Mörder ist. Das will keiner wissen.
Redepenning bekommt seinen Ehren-Hain. Und die Gräber seiner Opfer verschwinden. Alles auf dem gleichen Fried-Hof.
Der Fried-Hof ist kurz vor Lüneburg. 2 Kilo-Meter weit weg von dem besonderen Kranken-Haus. Dort werden Menschen beerdigt. Früher gehört der Fried-Hof zur Anstalt.
Dort werden Patienten beerdigt. Und Mit-Arbeiter der Anstalt. Das passiert zwischen dem Jahr 1922 und dem Jahr 1982. Seit dem Jahr 1985 gehört der Fried-Hof nicht mehr zur Anstalt. Er gehört zur Stadt Lüneburg.
Jeder Patient bekommt ein Grab. Darauf kommt ein Holz-Kreuz. Darauf steht der Name. Und die Nummer des Grabes. Mehr nicht. Erst viel später gibt es einen Grab-Stein. Der ist klein. So groß wie ein Blatt Papier. Darauf steht auch nur der Name. Und von wann bis wann jemand gelebt hat.
Die Beerdigung macht ein Pastor. Pfleger der Anstalt tragen den Sarg. Das ist die Holz-Kiste mit der Leiche.
Nur ganz selten ist die Familie dabei. Oft werden die Patienten ohne Familie beerdigt.
Auf dem Fried-Hof werden die Opfer vom Patienten-Mord beerdigt. Nicht alle. Aber sehr viele. Es sind die ermordeten Kinder und Jugendlichen. Es sind die Opfer der Ausländer-Sammel-Stelle. Und es sind die Opfer der de-zentralen Euthanasie. Sie werden zwischen 1941 und 1951 beerdigt.
Im Jahr 1975 wird der Fried-Hof neu gemacht. Alle Kinder-Gräber werden weg-gemacht. Bis auf 4. Alle Gräber von erwachsenen Opfern werden weg-gemacht. Bis auf 80.
Die 80 und 4 Gräber werden zusammen-gelegt. Es wird ein großes Holz-Kreuz aufgestellt. Das ist die Kriegs-Gräber-Stätte.
Im Jahr 1983 setzt das Land Nieder-Sachsen einen Stein. Es ist ein Gedenk-Stein. Zum Gedenken an die Opfer vom Patienten-Mord. Der Stein wird an die falsche Stelle gesetzt.
Im Jahr 1985 bekommt die Stadt den Fried-Hof. Jetzt ist es nicht mehr der Fried-Hof der Anstalt. Es ist der Fried-Hof der Stadt Lüneburg. Seit dem Jahr 2008 werden auch Muslime bestattet. Die Menschen haben den Islam als Religion. Sie glauben an Mohammed. Sie haben eigene Regeln beim Beerdigen.
Seit dem Jahr 2013 gibt es eine Gedenk-Anlage. Das ist ein Denk-Mal. Einmal im Jahr wird an die Opfer vom Patienten-Mord erinnert. Und es gibt Schilder. Darauf steht alles über die Gräber. Und über den Fried-Hof Nord-West.
Unter den 737 Kindern und Jugendlichen, die in die »Kinderfachabteilung« aufgenommen wurden, lassen sich nach derzeitigem Forschungsstand 425 Todesfälle identifizieren. Bis auf Einzelfälle ist davon auszugehen, dass die Kinder und Jugendlichen keines natürlichen Todes gestorben sind, sondern ermordet wurden, also Opfer der »Kinder-Euthanasie« sind.
Für die auf dem Anstaltsfriedhof beerdigten Kinder und Jugendlichen gab es zwei »Kindergräberfelder« (a und b), die später zu einem Gräberfeld zusammengefasst wurden. Auf ihnen wurden zwischen dem 20. Oktober 1941 und dem 3. Januar 1950 insgesamt 297 Kinder, davon 175 Jungen, 121 Mädchen und ein unbekanntes Kind begraben. Das jüngste Kind war bei seinem Tod drei Monate, das älteste 16 Jahre alt.
Bis Kriegsende wurden 260 Kinder, bis Jahresende 1945 weitere 23 Kinder bestattet. Ab 1946 nahm die Zahl der Bestattungen rasch ab. 1946 gab es sechs, 1947 nur vier, 1948 zwei und 1949 sowie 1950 jeweils nur eine Bestattung.
Die Bestattungen erfolgten in Särgen, als Einzelgräber in Reihe. Gab es keine Kindersärge, mussten die Kinder und Jugendlichen in Särgen für erwachsene Leichen bestattet werden. Da diese nicht in die kleiner bemessenen Kindergräber passten, wurden sie nicht auf dem »Kindergräberfeld« bestattet, sondern in Streulage zwischen den anderen Patient*innen-Gräbern. Infolgedessen konnten außerhalb des »Kindergräberfeldes« mindestens acht weitere Gräber von Opfern der »Kinder-Euthanasie« identifiziert werden. Insgesamt gab es 24 Gräber von Kindern und Jugendlichen außerhalb des »Kindergräberfeldes«.
Bei der Bestattung waren nur in seltenen Fällen Angehörige zugegen. Obwohl die Grabpflege aus öffentlichen Mitteln finanziert wurde, gab es Angehörige, die die Gräber pflegten, sobald es ihnen möglich war nach Lüneburg zu reisen. Die öffentlich gepflegten Gräber blieben mit Rasen und Efeu bepflanzt.
Fast alle Kindergräber wurden ab Mitte der 1970er Jahre aufgelöst und überbettet. Die Angehörigen wurden darüber nicht informiert. Nur vier Gräber wurden umgebettet und blieben auf der 1975 errichteten Kriegsgräberstätte erhalten.
Die 1975 angelegte Kriegsgräberstätte auf dem Friedhof der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg umfasst heute 84 Gräber, davon 80 für Erwachsene und vier für Kinder. Unter den Erwachsenen waren 24 Frauen und 56 Männer im Alter von 17 bis 88 Jahren. Das Durchschnittsalter der Beerdigten betrug 30 Jahre bei den Frauen und 35 Jahre bei den Männern. Mit einer Ausnahme waren alle Toten Patient*innen der Heil- und Pflegeanstalt. Sie starben zwischen 1922 und 1950 und kamen aus Polen (29), Russland (20), Ukraine (10), Lettland (5), Rumänien (2), Serbien (2), Slowenien (2), Belgien (1), Griechenland (1), Italien (1), Niederlande (1), Spanien (1) und Ungarn (1). Die Herkunft von vier Toten ist unbekannt.
Bei den Toten handelt es sich um ausländische Zwangsarbeiter*innen, Kriegsflüchtlinge, »Umsiedler*innen« und solche, deren Staatsbürgerschaft nicht eindeutig geklärt ist. 21 der hier liegenden Toten starben an Hunger und Erschöpfung. In 34 der Gräber wurden Patient*innen bestattet, die an Tuberkulose gestorben waren. In zehn Gräbern ruhen Erkrankte, die aus der Heil- und Pflegeanstalt Oldenburg in Wehnen am 14. Dezember 1944 nach Lüneburg verlegt wurden. Sie wurden kaum untersucht, starben ebenfalls zumeist an Hunger und Erschöpfung. Zur Anlage gehören auch 19 Gräber von Menschen, die an »Altersschwäche«, Lungenentzündung, Mohnvergiftung und infolge von Dauerkrampf oder einer Operation starben.
Die Gräber von Kindern, die in der »Kinderfachabteilung« der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg Patient*innen waren, wurden ab Mitte der 1970erJahre aufgelöst. Nur die Gräber von Dieter Lorenz, Berend – Benni – Hiemstra, Rosa Reinhard und Abraham Kamphuis sind erhalten geblieben. Abweichend vom Kriegsgräbergesetz von 1952, durch das Gräber ausländischer Kinder nicht explizit geschützt wurden, hatte die Friedhofsverwaltung diese und zwei weitere Gräber 1954 bzw. 1957 auf die Kriegsgräberliste gesetzt.
Sieben Kindergräber wurden bei der Anlage der Kriegsgräberstätte 1975 nicht berücksichtigt:
Bernd Sabarosch (1944 – 1945, Holland) Luba Gorbatschuk (1943 – 1944, unbekannt) Ilja Matziuk (1944 – 1945, unbekannt) Elisabeth van Molen (1943 – 1944, Holland) Johann Peter Wolf (1932 – 1942, Holland) Uossy bzw. Kossi (… – 1945, unbekannt) Yvonne Mennen (1938 – 1944, Holland)
Die Gräber von Ilja Matziuk und Luba Gorbatschuk, zwei Mädchen von Zwangsarbeiterinnen, wurden 1975 überbettet, obwohl sie gemäß Ministerialerlass von 1966 geschützt waren. Elisabeth van Molens Grab ist zuletzt in der Kriegsgräberliste von 1958 erwähnt. Johann Peter Wolfs Grab wurde 1975 noch in die Planung der Kriegsgräberstätte einbezogen. Beide wurden nicht umgebettet.