Erika und Käte

Käte und Erika sind Schwestern.
Käte ist am 18. August 1938 geboren.
Erika ist am 18. Januar 1940 geboren.
Ihre Eltern sind Karl und Martha.

Käte und Erika kommen in ein Kinder-Heim.
Es ist ein Heim in Groß-Burg-Wedel.
Ein Arzt sagt:
Käte und Erika sind dumm.
Sie können nicht zur Schule gehen.

Darum kommen sie nach Lüneburg.
Sie kommen in die Anstalt.
Sie werden in die Kinder-Fach-Abteilung auf-genommen.
Das ist im Jahr 1944.
Käte und Erika sind vier und fünf Jahre alt.

Der Arzt Willi Baumert sagt:
Käte ist gar nicht dumm.
Sie spielt mit anderen Kindern.
Sie weiß alle Farben.
Sie erkennt viele Sachen.
Sie kann sogar schon bis zwanzig zählen.
Käte ist ein ganz normales Kind.
Sie ist sogar unordentlich.

Käte und Erika dürfen zur Schule.
Das rettet ihr Leben.
Käte und Erika kommen in eine andere Anstalt.
Sie kommen nach Lemgo.
Dort gibt es eine Schule.
Es ist eine besondere Schule.
Es ist eine Schule für Kinder mit Behinderungen.

Käte und Erika bleiben zusammen.
Erika ist zu klein für die Schule.
Aber sie darf trotzdem nach Lemgo.
Damit die Schwestern nicht getrennt werden.

Ein Jahr später ist der Krieg aus.
Erika und Käte bleiben in Lemgo.
Nach sechs Jahren kommt Erika aus der Anstalt raus.
Sie kann endlich nach Hause.
Käte bleibt.
Es ist nicht bekannt wie lange.

Das ist ein Arzt-Bericht.
Darin steht:
Käte ist ein ganz normales Kind.

Das ist ein Arzt-Bericht.
Darin steht:
Käte und Erika dürfen zur Schule gehen.

Geschwister Eilers

Zu den Geschwister-Kindern, die in die »Kinderfachabteilung« Lüneburg aufgenommen wurden, gehören auch die vier Geschwister der Familie Eilers: Siegfried (geboren 1929), Hannelore (geboren 1937), Irmgard (geboren 1938) und Ernst (geboren 1939). Ihre Lebenswege verkörpern das gesamte Spektrum der Verfolgung von Kindern und Jugendlichen in der »NS-Psychiatrie«. Es reicht von Tötung bis hin zu lebenslangem Anstaltsaufenthalt. Zunächst wurde nur der elfjährige Siegfried, ältester Sohn des Arbeiters Wilhelm Heinrich Eilers und seiner Ehefrau Luise, geb. Schomburg, in die Rotenburger Anstalten der Inneren Mission eingewiesen. Mit der Aufnahme verband sich der Wunsch, ihn adäquat zu beschulen. Siegfried war gehörlos, da er jedoch fröhlich war und für praktische Dinge Aufmerksamkeit zeigte, bestand Optimismus.

Am 9. Oktober 1941 erfolgte Siegfrieds Verlegung in die »Kinderfachabteilung« Lüneburg. Doch er entkam einer Aufnahme, da seine Mutter ihn am gleichen Tag in Lüneburg abholte und nach Hause holte. Es gibt Hinweise darauf, dass sie über kirchliche Kontakte vor einer Aufnahme in die »Kinderfachabteilung« gewarnt worden war. Ein Jahr später wurde Siegfried Eilers auf Initiative des Fürsorgeverbandes erneut in die »Kinderfachabteilung« Lüneburg eingewiesen. Maßgeblich war nun, dass die Familie aufgrund einer inzwischen zerrütteten Ehe jetzt als »kinderreich, asozial« galt. Ein Versuch, ihn im Jahr 1943 in die Fürsorgeerziehung nach Wunstorf zu entlassen, scheiterte am Gutachten des Willi Baumert: »der Jugendliche kommt aus einer erblich belasteten, asozialen Großfamilie. […] In intellektueller Hinsicht zeigt er erhebliche Ausfälle, die nicht durch seine Taubstummheit verursacht sind.«

Willi Baumert war nicht nur hinsichtlich der anhaltenden Anstaltsunterbringung von Siegfried die Schlüsselfigur, sondern auch in Bezug auf dessen Geschwister. Sie wurden am 22. Januar 1943 der Mutter weggenommen und ins Provinzial-Jugendheim Wunstorf eingewiesen. Als ärztlicher Fachberater des Provinzial-Jugendheimes Wunstorf verfasste Baumert infolgedessen auch über Siegfrieds Geschwister Hannelore, Irmgard und Ernst identische Gutachten, die schlussendlich nicht in ein herkömmliches Heim, sondern zu ihrer gemeinsamen Einweisung in die von ihm geleitete »Kinderfachabteilung« führten. Am 28. Juni 1943 kamen die drei Kinder in Lüneburg an, begleitet von einer DRK-Schwester.

Die Schwestern seien am Anfang sehr anhänglich gewesen, auch hätten sich die Mädchen sehr über Begegnungen mit dem älteren und jüngeren Bruder gefreut, ist der Krankenakte zu entnehmen. Weil sich Irmgard und Hannelore allmählich interessiert zeigten, mit anderen Kindern sprachen, verstanden, was man ihnen auftrug, zielgerichtet spielten, dabei ausgelassen und fröhlich waren, sich selbständig zurechtfanden und sauber hielten, kam Willi Baumert nach einer mehrwöchigen Beobachtungszeit im Juli bzw. August 1943 zu der Beurteilung, dass bei den Schwestern Irmgard und Hannelore nun doch eine gewisse Bildungsfähigkeit vorläge. Am 26. Januar 1944 wurden die Schwestern gemeinsam nach Eben-Ezer (Lemgo) verlegt. Von dort wurden sie erst 1960 bzw. 1962 entlassen.

Mit der Räumung von Haus 23 wurde der jüngere Bruder Ernst im Herbst/Winter 1944/1945 in das Haus 24 verlegt. Im Januar 1945 notierte Frau Kleim, Sekretärin des Ärztlichen Direktors, Ernst sei ein »nettes, anhängliches Kind. Interessiert an allen Vorgängen seiner Umgebung. Versucht durch Zeichen verständlich zu machen, was er will. Spielt sehr nett mit anderen Kindern zusammen mit Häusern und Bauklötzen.« Dass er zu den beliebten Kindern auf Station gehörte, rettete sein Leben nicht. Mit fast sechs Jahren wog er nur 16 Kilo und war unterernährt. Am 11. April 1945 starb Ernst. Die offizielle Todesursache lautete »Lungenentzündung« und »akute Nephritis«, also Nierenentzündung. Mit hoher Wahrscheinlichkeit starb er infolge einer Mangelernährung.

Nach Ernsts Tod blieb Siegfried alleine in der »Kinderfachabteilung« zurück. Er hatte eine besonders vertraute Person verloren, seinen jüngeren Bruder, der wie er gehörlos gewesen war. Siegfried überlebte die »Kinderfachabteilung«, blieb jedoch Anstaltspatient. Einer Urlaubsmeldung vom 10. Juli 1947 kann entnommen werden, dass Siegfried aus der Anstaltsfürsorge offenbar nur ein einziges Mal nach Hause geholt wurde. 1955 bat seine Schwester Waltraut – es ist unklar, ob es sich bei ihr um die älteste Schwester handelt – Siegfried möge zu Weihnachten beurlaubt werden. Aus Fragen bzw. Zweifeln der Schwester Waltraut, ob Siegfried überhaupt in der Lage sei, eine Stellung anzunehmen, wie er wohl aussehen würde und wie sie sich ihn vorzustellen habe, wird deutlich, wie stark Siegfried von seiner Familie isoliert geblieben war und welch geringes Interesse ihm während seiner Zeit in der Anstalt entgegengebracht wurde.

In der Psychiatrie war Siegfried wohl schon mehrere Jahre im Rahmen der Arbeitstherapie in der Landwirtschaft eingesetzt gewesen und somit durchaus in der Lage, leichte Tätigkeiten auszuüben. Auch deswegen bot man der Schwester an, Siegfried gänzlich aus der Anstaltspflege zu entlassen. Aber es kam anders: Einen Tag, bevor Siegfried eigentlich beurlaubt und nach Hause abgeholt werden sollte, sagte Waltrauts Ehemann die Abholung ab. Weitere Versuche, Siegfried zu beurlauben bzw. zu sich zu holen, sind in der ansonsten relativ vollständigen Akte nicht dokumentiert. Siegfrieds Zeit in der Lüneburger Anstalt endete erst im Januar 1969. Mit elf Jahren als Kind aufgenommen, wurde er nach 29 Jahren ununterbrochener »Anstaltspflege« in Lüneburg als fast 40-jähriger Mann aus Haus 19 in die Außenstelle des Landeskrankenhauses Königslutter, nach Schloss Ringelheim in Salzgitter verlegt. Dort starb er im Jahr 1976.

Krankengeschichte von Hannelore.

NLA Hannover Nds. 330 Lüneburg Acc. 2004/134 Nr. 1531.

Schreiben der Heil-und Pflegeanstalt Lüneburg an das Kreiswohlfahrtsamt Hameln-Pyrmont vom 15.10.1941.

NLA Hannover Nds. 330 Lüneburg Acc. 2012/64 Nr. 1603.

Schreiben von Waltraut G. an das Landeskrankenhaus Lüneburg vom 19.11.1955.

NLA Hannover Nds. 330 Lüneburg Acc. 2012/64 Nr. 1603.

Waltraut G. bemühte sich, ihren jüngeren Bruder Siegfried zu beurlauben. Sie hoffte, er könne im landwirtschaftlichen Betrieb mithelfen. Nachdem sie erfuhr, dass ihr gehörloser und sprachbeeinträchtigter Bruder nur Hilfsarbeiten unter Aufsicht ausführen könne, wurde der Urlaubsantrag zurückgezogen.


Schreiben von Waltraut G. an das Niedersächsische Landeskrankenhaus Lüneburg vom 28.11.1955.

NLA Hannover Nds. 330 Lüneburg Acc. 2012/64 Nr. 1603.

Geschwister Eilers

Waltraut, Siegfried, Hannelore, Irmgard und Ernst Eilers sind fünf Geschwister.
Siegfried, Hannelore, Irmgard und Ernst sind zwischen 1929 und 1939 geboren.
Siegfried ist der älteste Bruder.
Ernst ist der Jüngste.
Die Eltern sind Heinrich und Luise.
Der Vater ist Arbeiter.

Alle vier kommen in die Kinder-Fach-Abteilung nach Lüneburg.
Erst kommt nur Siegfried in die Anstalt.
Es ist eine Anstalt in Roten-Burg.
Die hat eine Schule für Kinder mit Behinderungen.

In Roten-Burg geht Siegfried zur Schule.
Siegfried kann nicht hören.
Er ist gehör-los.

Die Anstalt in Roten-Burg wird geschlossen.
Siegfried kommt in die Anstalt nach Lüneburg.
Das ist am 9. Oktober 1941.

Er kommt in die Kinder-Fach-Abteilung.
Dort gibt es keine Schule.
Die Mutter von Siegfried bekommt eine Nachricht.
Ein Pastor sagt ihr:
Siegfried ist in Lüneburg.

Seine Mutter findet das nicht gut.
Sie holt ihn ab.
Sie holt ihn nach Hause.
Das ist auch am 9. Oktober 1941.

Ein Jahr vergeht.
Die Eltern von Siegfried trennen sich.
Die Mutter ist mit den vier Kindern alleine.
Andere sagen:
Die Familie Eilers ist anders.
Die benehmen sich anders.
Die sollen so nicht sein.

Darum muss Siegfried wieder in die Anstalt.
Er muss wieder in die Kinder-Fach-Abteilung.
Er kommt am 9. Oktober 1942 an.
1943 entscheidet der Arzt Willi Baumert:
Siegfried muss in der Anstalt bleiben.

Der Arzt entscheidet:
Die drei Geschwister von Siegfried sollen auch in die Anstalt.
Der Arzt untersucht Hannelore, Irmgard und Ernst.
Er sagt:
Hannelore ist dumm.
Sie kann nichts.
Irmgard ist dumm.
Sie kann nichts.
Ernst ist dumm.
Er kann nichts.

Danach müssen alle Kinder auch in die Kinder-Fach-Abteilung.
Sie kommen nach Lüneburg.
Sie kommen zu Siegfried.

Die Schwestern freuen sich.
Sie sehen ihren Bruder Siegfried wieder.
Das tut ihnen gut.
Sie sind fröhlich.
Sie spielen.
Sie können sich waschen.
Sie machen alles richtig.

Deswegen entscheidet der Arzt:
Hannelore und Irmgard sollen doch zur Schule gehen.
Hannelore und Irmgard kommen in eine andere Anstalt.
Sie kommen nach Lemgo.
Da gibt es eine Schule.
Sie bleiben in Lemgo.
Auch als der Krieg aus ist.
1960 und 1962 dürfen sie nach Hause.
Da sind sie keine Kinder mehr.
Da sind sie erwachsene Frauen.

Ernst und Siegfried bleiben in der Anstalt.
Die Brüder bleiben zusammen.
Im Januar 1945 ändert sich das.
Ernst muss auf eine andere Station.

Ernst ist beliebt.
Alle mögen ihn.

Aber Ernst bekommt zu wenig zu essen.
Er wird ganz dünn.
Er wird auch krank.
Er verhungert.
Er stirbt im April 1945.

Sein Bruder Siegfried ist bei ihm.
Siegfried bekommt den Tod von Ernst mit.
Er ist sehr traurig.
Eine Woche später ist der Krieg aus.

Siegfried ist jetzt alleine.
Er bleibt in der Anstalt.
Er darf nur für ein paar Tage nach Hause.
Seine Schwester Waltraut will mit ihm Weihnachten feiern.
Das ist im Jahr 1955.

Waltraut will Siegfried wieder-sehen.
Sie hat ihn drei-zehn Jahre lang nicht gesehen.
Sie fragt:
Was kann mein Bruder Siegfried?
Kann er arbeiten?

Ein Arzt in der Anstalt antwortet:
Siegfried kann arbeiten.
Er kann auf einem Bauern-Hof helfen.
Er muss nicht in der Anstalt bleiben.
Er kann zu Waltraut.
Er kann auf ihrem Bauern-Hof arbeiten.

Aber:
Waltraut bekommt Angst.
Sie ist sich unsicher.
Sie holt ihn nicht ab.
Sie entscheidet:
Siegfried muss in der Anstalt bleiben.

Viele Jahre vergehen.
Siegfried ist kein Kind mehr.
Er ist ein Mann.
Er ist fast vierzig Jahre alt.
Er kommt in eine andere Anstalt.
Er kommt von Lüneburg nach Königs-Lutter.
Das ist im Jahr 1969.

Sieben Jahre später stirbt Siegfried.
Er ist nie wieder aus der Anstalt raus-gekommen.
Er hat die Kinder-Fach-Abteilung überlebt.
Er ist aber nie frei und immer alleine.

Das ist ein Bericht über Hannelore.
Darin steht:
Hannelore ist schlau.
Sie darf auf eine Schule gehen.
Sie kommt nach Lemgo.

Das ist ein Brief.
Darin steht:
Die Mutter hat Siegfried aus der Anstalt ab-geholt.
Er ist nicht mehr in Lüneburg.
Er ist wieder zu Hause.

Das ist ein Brief.
Der Brief ist an die Anstalt.
Er ist von seiner Schwester Waltraut.
Sie will Siegfried nach Hause holen.
Sie will Weihnachten mit ihm feiern.
Sie hat Siegfried drei-zehn Jahre lang nicht gesehen.

Das ist ein Brief.
Es ist ein Brief von Waltraut.
Sie fragt:
Was kann mein Bruder Siegfried?
Kann er arbeiten?
Sie schreibt:
Ich werde Siegfried ab-holen.

Melde-Pflicht

Im National-Sozialismus gibt es einen Befehl.
Er ist streng geheim.
Niemand darf davon wissen.
Nur Ärzte und Geburts-Helfer.

In dem Befehl steht:
Kinder mit Behinderungen müssen gemeldet werden.
Von Ärzten.
Von Geburts-Helfern.
Von Kranken-Häusern.
Von Geburts-Häusern.

Für die Meldung gibt es einem Melde-Bogen.
Das ist ein Zettel.
Darauf steht wie das Kind heißt.
Wo es wohnt.
Wieso es gemeldet wird.
Ob es sprechen und laufen kann.
Ob es auf Klo gehen kann.
Ob es schon einmal in einem Kranken-Haus war.
Wie lange es leben wird.
Ob es wieder gesund wird.
Oder nicht.

Diese Kinder müssen die Ärzte und Geburts -Helfer melden:
Kinder mit Anfällen.
Kinder mit Down-Syndrom.
Kinder mit geistiger Behinderung.
Kinder mit körperlicher Behinderung.
Kinder mit einem »Wasserkopf«.
Kinder mit Lern-Schwierigkeiten.

Es gibt eine Belohnung für die Meldung.
Geburts-Helfer bekommen 2 Mark.
Das sind heute 80 Euro.
Das ist viel Geld.
Deswegen melden sie viele Kinder.
Besonders als es den Geburts-Helfern schlecht geht.
Wegen dem Krieg.

Erst gilt die Melde-Pflicht nur für Kinder unter 3 Jahre.
Im Jahr 1941 gilt der Befehl für auch für ältere Kinder.
Für alle Kinder unter 16 Jahre.

Im Oktober 1939 gilt die Melde-Pflicht für alle Patienten.
Jeder Patient in einer Anstalt muss gemeldet werden.
Es gibt einen neuen Melde-Bogen.
Darauf wird gefragt:
Bekommt der Patient Besuch?
Hat der Patient gegen das Gesetz verstoßen?
Ist der Patient Jude?
Oder Roma oder Sinti?
Arbeitet der Patient?

Der fertige Melde-Bogen wird nach Berlin geschickt.
In die Tiergarten-Straße 4.
Da ist ein Amt.
Es plant und organisiert den Patienten-Mord.
Das geht nur mit den Melde-Bögen.

Ohne Melde-Pflicht klappt der Mord nicht.
Durch die Melde-Pflicht können Ärzte entscheiden:
Der Mensch darf leben und der muss sterben.

Berend »Benni« Willem Hiemstra

Berend Hiemstra wird Benni genannt.
Er ist 1937 geboren.
Er kommt aus Zutphen.
Das ist eine Stadt in den Nieder-Landen.
Das ist ein Nachbar-Land von Deutsch-Land.
Benni hat keine Geschwister.
Er ist das einzige Kind.

Der Vater ist Schlachter.
Er handelt mit Fleisch und Kühen.
Seine Mutter ist Haus-Frau.
Sie ist eine National-Sozialistin.

Im Jahr 1944 fallen Bomben in den Nieder-Landen.
Es wird gefährlich.
Vor allem für die National-Sozialisten in den Nieder-Landen.
Sie haben Angst vor einer Strafe.
Weil sie mit den Deutschen National-Sozialisten Freunde sind.
Und mit ihnen zusammen arbeiten.
Die National-Sozialisten haben viele Menschen ermordet.
Auch die Eltern von Benni haben Angst vor Strafe.
Weil sie Freunde von Mördern sind.

Bennis Eltern entscheiden:
Wir gehen nach Deutsch-Land.
Zu unseren national-sozialistischen Freunden.
Da sind wir sicher.

Benni und seine Eltern flüchten nach Lüne-Burg.
Zuerst sind sie in einer Kaserne.
Da arbeiten Soldaten.
Dann kommen sie in ein Flüchtlings-Lager.

Da arbeitet eine Pflegerin.
Sie merkt:
Benni hat eine geistige Behinderung.
Und er hat Anfälle.
Darum meldet sie Benni beim Gesundheits-Amt.

Benni wird untersucht.
Der Arzt entscheidet:
Benni hat eine Behinderung.
Er muss in die Kinder-Fach-Abteilung Lüne-Burg.

Benni kommt in die Kinder-Fach-Abteilung Lüne-Burg.
Da ist er 7 Jahre alt.
Seine Eltern besuchen ihn 2 Mal.
Und sie sprechen mit dem Arzt.
Dann ist Benni plötzlich tot.
Es geht ganz schnell.

Ganz sicher ist:
Benni wird ermordet.
Er stirbt am 2. Oktober 1944.
3 Wochen nach seiner Auf-Nahme in die Kinder-Fach-Abteilung.
Der Arzt sagt:
Benni ist an einer Darm-Entzündung gestorben.
Aber das ist eine Lüge.

Wussten die Eltern die Wahrheit?
War der Tod für die Eltern o.k.?
Haben die Eltern den Arzt darum gebeten?
Das ist alles nicht bekannt.

Das ist Benni Hiemstra. Auf dem Foto ist er ein Jahr alt. Das Foto ist schwarz-weiß. Es ist schon sehr alt. Das Foto ist von 1938.

Herbert und Willi Köhler

Die Zwillingsbrüder Herbert und Willi Köhler wurden am 18. August 1928 in Groß-Lobke im Landkreis Hildesheim geboren. Sie hatten einen jüngeren Bruder, Friedel. Die Mutter Berta Köhler (geborene Meier) war eine ehemalige Kinderpflegerin und der Vater Willi Köhler ausgebildeter Schuhmachermeister. Die Zwillinge seien entwicklungsverzögert gewesen. Willi ging dennoch bis zur achten Klasse in die Schule, Herbert hingegen wurde nicht beschult.

Als fast 15-Jährige gehörten sie zu den wenigen Jugendlichen unter den Patientinnen und Patienten der »Kinderfachabteilung«. Sie wurden am 7. Juni 1943 durch Oberpflegerin Wolf in Haus 23 aufgenommen.
Die Initiative war von der Mutter ausgegangen. Sie wollte ihre Söhne überprüfen lassen, ob sie einer Arbeit nachgehen könnten. Herbert und Willi sollten unter Umständen in der Anstalt sogar einen Beruf erlernen. Außerdem ging sie auf Kur und benötigte eine Unterbringung für ihre Söhne, da der Vater der Kinder im Krieg gestorben war. Da keine Zweifel bestanden, dass die Aufnahme bewilligt werde, kündigte der Sachbearbeiter im gleichen Schreiben an, dass die Mutter Berta Köhler ihre Kinder am 7. Juni 1943 persönlich in die Anstalt bringen werde. Da man es offenbar sehr eilig hatte, die Kinder in der »Kinderfachabteilung« unterzubringen, hatte man sie sogar schon bei der Meldebehörde abgemeldet, einschließlich Abmeldung der Lebensmittelkarten.

Willi wurde zunächst in der Schneiderei und Schusterei eingesetzt, jedoch als »unbrauchbar zurückgebracht«. Herbert wurde in der Korbflechterei beschäftigt, allerdings ebenfalls als »unbrauchbar« beurteilt. Infolgedessen mussten beide fortan in der Feldkolonne arbeiten. Die Mutter war in großer Sorge um ihre Zwillinge, nachdem sie erfuhr, dass die Arbeitsversuche nicht erfolgversprechend waren.

In der Krankengeschichte von Herbert folgte trotz gesundheitlicher Angeschlagenheit für das restliche Jahr 1943 nur ein Eintrag. Da die Mutter in großer Sorge um ihre Zwillinge blieb, stattete sie beiden am 4. Januar 1944 einen Besuch ab. Der Besuch erschütterte Berta Köhler. Sie fand ihre Kinder trotz eisiger Kälte nackt im Bett auf. Zudem mussten die Kinder ab nachmittags Bettruhe halten und aßen dort auch ihr Abendessen. Daraufhin schrieb sie mehrere Beschwerdebriefe an den Ärztlichen Direktor und drohte damit, sogar den Reichsgesundheitsführer Leonard Conti einzuschalten. Berta schrieb auch an ihre Zwillinge einen Brief und machte ihnen Mut durchzuhalten, bis sie eine Lösung gefunden habe. Berta Köhlers Anschuldigungen wurden von Willi Baumert dementiert.

Nach ihren Meldungen und Beschwerden wurde Berta Köhler schikaniert. So wurde ihr eine Reise-Erlaubnis nach Lüneburg nur dann erteilt, wenn sie eine Bescheinigung der Anstalt vorbrachte, dass ihre Besuche gewünscht seien. Später verhinderte der Kriegsverlauf weitere Besuche. Herberts Gesundheitszustand verschlechterte sich unterdessen im Winter 1944/1945. Ende Januar 1945 wog der inzwischen 16-Jährige nur noch 28,5 kg. Er starb am 22. März 1945 offiziell an einer »Lungenentzündung«. Dies kann bezweifelt werden, zumal die Erkrankung erst einen Tag zuvor ausgebrochen sein soll. Herberts Zwillingsbruder Willi war während seines Siechtums bei ihm. Ihn traf der Tod seines Bruders hart. Berta Köhler erfuhr vom Tod ihres Sohnes erst einen Monat später. Sie beschloss daraufhin, Willi zu retten – mit Erfolg. Am 29. April 1945 holte sie in nach Hause. Er überlebte.

Schreiben des Landkreises Hildesheim, 3.6.1943.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 290.

Nach der formlosen Aufnahme quasi »auf Zuruf«, ohne jegliche medizingutachterliche und somit auch rechtliche Grundlage, wurde das amtsärztliche Gutachten lediglich pro forma nachgefordert.

Schreiben der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg, 10.6.1943.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 290.

»Ich bitte freundlich um einen kl. Bericht über meine Kinder Willi u. Herbert Köhler. Insbesondere wie es ihnen geht, und in welcher Art sie sich beschäftigen. Da ich am 5. Juli nach Wildungen zur Kur fahre, wäre es mir sehr lieb vorher noch zu berichten.« Postkarte von Berta Köhler, 29.6.1943.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 290.

»Entschuldigen Sie bitte wenn ich nochmal an Sie schreibe, ich muß diese Tage so an Herbert denken, und habe schon schlaflose Nächte dadurch, ob es ihm wohl schlechter geht […]. Grüßen Sie bitte meine lieben Kinder und ich hoffe dass Willi nun auch seine Beschäftigung hatt, denn er hatt«
Schreiben an die Heil- und Pflegeanstalt, 30.8.1943 (Vorderseite).

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 290.

Todesanzeige (Rückseite), 23.3.1945.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 290.