Herbert und Willi Köhler

Herbert und Willi Köhler sind Zwillinge.
Sie werden im Jahr 1928 geboren.
Sie haben noch einen jüngeren Bruder.
Ihre Eltern heißen Berta und Willi.

Die Zwillinge lernen langsam.
Willi geht nach Klasse acht nicht mehr zur Schule.
Herbert geht gar nicht zur Schule.

Im Jahr 1943 kommen sie in die Anstalt nach Lüneburg.
Sie kommen in die Kinder-Fach-Abteilung.
Da sind sie schon fast fünf-zehn Jahre alt.
Sie gehören zu den Großen.

Die Mutter findet den Aufenthalt gut.
Sie denkt:
Die Kinder-Fach-Abteilung hilft meinen Söhnen.
Dort können sie gefördert werden.
Sie lernen zu arbeiten.

Die Mutter möchte wissen:
Können meine Söhne einen Beruf lernen?

Willi arbeitet in der Schneiderei.
Danach arbeitet er in der Schusterei.
Aber er schafft die Arbeit nicht.

Herbert soll Körbe flechten.
Aber das schafft er auch nicht.
Dann arbeiten beide auf dem Feld.

Die Mutter macht sich Sorgen.
Sie wünscht sich eine gute Arbeit für ihre Söhne.
Eine Pflegerin und ein Arzt schreiben der Mutter.

Herbert geht es nicht gut in der Anstalt.
Aber es gibt nur einen Eintrag in Herberts Patienten-Akte.
Im ganzen Jahr 1943.

Die Mutter macht sich Sorgen.
Sie besucht ihre Kinder am 4. Januar 1944.
Es ist sehr kalt.
Aber die Kinder liegen nackt in den Betten.
Sie müssen schon ab dem Nachmittag nur im Bett liegen.
Im Bett essen sie auch ihr Abend-Essen.

Die Mutter beschwert sich bei der Anstalt.
Sie schreibt Briefe.
Die Mutter schreibt auch den Zwillingen einen Brief.
Sie möchte ihnen Mut machen.
Sie will sich um sie kümmern.

Der Arzt in der Kinder-Fach-Abteilung will nichts hören.
Er will keine Beschwerden.
Er sagt:
Das stimmt alles nicht.

Danach wird die Mutter schlecht behandelt.
Sie darf ihre Söhne kaum noch besuchen.
Nur wenn die Anstalt es erlaubt.
Später kann sie gar nicht mehr kommen.
Weil der Krieg immer schlimmer wird.

Herbert geht es immer schlechter.
Ende Januar 1945 wiegt er nur noch acht-und-zwanzig Kilo.
Dabei ist er schon sechzehn Jahre alt.
Er stirbt am 22. März 1945.
Die Anstalt sagt:
Es war eine Lungen-Entzündung.
Aber das ist eine Lüge.
Herbert ist verhungert.

Willi ist bei dem Tod von Herbert dabei.
Er bekommt mit wie es Herbert schlecht geht.
Dann stirbt Herbert.
Willi ist darüber sehr traurig.

Herbert ist einen Monat tot.
Erst dann schreibt die Anstalt ihr:

Herbert ist tot.
Berta ist geschockt.
Sie kann es nicht glauben.
Sie ist in Sorge um ihren zweiten Sohn.
Sie entscheidet:
Ich hole Willi nach Hause.

Das macht sie.
Sie holt Willi am 29. April 1945 nach Hause.
Willi über-lebt.

Das ist ein Brief.
In dem Brief steht:
Berta Köhler bringt ihre Söhne in die Kinder-Fach-Abteilung.
Es muss alles schnell gehen.
Das ist ein Brief vom Land-Kreis Hildesheim.
Der Brief ist aus dem Jahr 1943.

Das ist ein Brief aus der Anstalt Lüneburg.
Die Zwillinge dürfen kommen.
Es geht alles sehr schnell.
Ein Arzt-Brief über Willi und Herbert soll später kommen.
Der Brief ist aus dem Jahr 1943.

Das ist eine Post-Karte.
Sie ist von Berta Köhler.
Sie fragt:
Wie geht es meinen Söhnen?
Arbeiten Sie?
Die Post-Karte ist aus dem Jahr 1943.

Das ist ein Brief.
Er ist von der Mutter.
Sie schreibt:
Ich mache mir Sorgen um Herbert.
Ich grüße die Kinder.
Meine Kinder sollen eine Aufgabe haben.
Der Brief ist von 1943.

Das ist eine Todes-Anzeige.
Es ist die Todes-Anzeige von Herbert Köhler.
Darin steht:
Herbert stirbt an einer Lungen-Entzündung.
Das stimmt nicht.
Die Anzeige ist vom 23. März 1945.

Rosemarie und Dieter Bode

Die Zwillinge Rosemarie und Dieter Bode wurden am 27. April 1935 in Hannover geboren. Ihre Eltern waren der gelernte Maurer und Wachmann Wilhelm Bode und seine Frau Erika Bode (geborene Ebeler). Sie hatten noch eine jüngere Schwester, die heute noch leben könnte. Als die Mutter an der Lunge erkrankte und der Vater in die Wehrmacht eingezogen wurde, entschied Erika, ihre Zwillinge in die Rotenburger Anstalten der Inneren Mission zu geben.

Wilhelm war mit der Einweisung seiner Zwillinge nicht einverstanden. Sein Ärger darüber war so groß, dass er sich zwei Wochen später von seiner Ehefrau trennte. Zwischen 1939 und 1941 blieben die Zwillinge in Rotenburg. Am 9. Oktober 1941 wurden Rosemarie und Dieter Bode zusammen mit über 130 weiteren Kindern in die Lüneburger »Kinderfachabteilung« verlegt. Rosemarie und ihr Bruder Dieter waren 1941 von den Rotenburger Anstalten der Inneren Mission an den »Reichsausschuss« nach Berlin gemeldet worden. Dort wurde die Einweisung in die »Kinderfachabteilung« angewiesen und eine »Behandlungsermächtigung« erteilt. Rosemarie wurde am 4. Februar 1942 ermordet. Dem Vater wurde mitgeteilt: »Ihre Tochter Rosemarie ist am 4. Februar 1942 an einer Lungentuberkulose gestorben.«

Wilhelm Bode konnte an der Beerdigung seiner Tochter nicht teilnehmen, weil er zum Todeszeitpunkt in Russland kämpfte. Auch die Mutter Erika nahm an der Beisetzung nicht teil, da sie sich noch in einer Lungenklinik befand. Dieter hatte den Mord an seiner Schwester miterlebt. Eine Woche nach ihrer Ermordung schrieb der Lüneburger Arzt den ersten Eintrag in Dieters Krankenakte. Dieter überlebte seine Zwillingsschwester Rosemarie nur ein Jahr und zwei Monate. Er wurde am 10. April 1943 ermordet. Die Leichen beider Kinder wurden seziert und ihre Gehirne entnommen. Die Gehirne wurden an das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf abgegeben.

2012 konnten die Präparate gemeinsam mit zwölf weiteren identifiziert werden. 2013 wurden sie im Rahmen der Einweihung einer Gedenkanlage auf dem ehemaligen Anstaltsfriedhof, dem heutigen Lüneburger Friedhof Nord-West, bestattet. Rosemarie und Dieter Bodes sterbliche Überreste gehörten dazu. An der Bestattung nahmen viele noch lebende Geschwister der ermordeten Kinder teil.

Schreiben von Wilhelm Bode
an die Rotenburger Anstalten der Inneren Mission vom 9.7.1939.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 42.

Schreiben der Gemeinnützigen Kranken-Transport-G.m.b.H. an die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg vom 6.11.1941.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 42.

»Für alle Liebe und Pflege die Sie meinen Kindern Rosemarie und Dieter wehrend ihres dortigen Aufenthaltes gegeben haben, danke ich Ihne nochmals herzlich.«
Schreiben von Erika Bode
an die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg, 5.5.1943.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 207.

Zeichnung der Kindergrablagen
auf dem ehemaligen Anstaltsfriedhof. Nummer 21 ist das Grab von Rosemarie Bode. Ihr Zwillingsbruder Dieter wurde in Grabnummer 99 bestattet.

Friedhof der Provinzial- Heil- und Pflegeanstalt. Begräbnisbuch 1922 – 1948.

Stadtarchiv Lüneburg.

Rosemarie und Dieter Bode

Rosemarie und Dieter Bode sind Zwillinge.
Sie werden 1935 in Hannover geboren.
Sie haben noch eine jüngere Schwester.
Die Eltern heißen Wilhelm und Erika Bode.
Die Mutter wird krank.
Der Vater muss in den Krieg.
Darum kommen die Zwillinge in eine Anstalt.
Die Anstalt ist in Roten-Burg.

Der Vater will das nicht.
Er ist sehr wütend.
Zwei Wochen später trennt er sich von seiner Frau.

Die Zwillinge bleiben zwei Jahre in der Anstalt.
Dann müssen sie in eine andere Anstalt.
Sie kommen nach Lüneburg.
Sie werden Patienten in der Kinder-Fach-Abteilung.
Das ist am 9. Oktober 1941.
Sie kommen mit über ein-hundert-dreißig anderen Kindern.

Ein Arzt in Roten-Burg meldet Rosemarie und Dieter.
Er schreibt nach Berlin.
Er informiert ein besonderes Amt.
Das besondere Amt schickt die Zwillinge nach Lüneburg.

Das besondere Amt sagt:
Rosemarie und Dieter dürfen ermordet werden.
Die Ärzte in Lüneburg sollen das entscheiden.
Das ist ein Brief.
Er ist aus dem Jahr 1941.

Rosemarie wird am 4. Februar 1942 ermordet.
In einem Brief an den Vater steht: Rosemarie ist tot.
Sie stirbt an einer Lungen-Krankheit.
Das ist eine Lüge.
Der Brief ist aus dem Jahr 1942.

Der Vater kommt nicht zur Beerdigung.
Er kämpft als Soldat in Russ-Land.
Das ist ein Land weit weg von Deutsch-Land.
Die Mutter Erika kommt auch nicht.
Sie ist immer noch in einer Klinik.

Dieter ist beim Mord an seiner Schwester dabei.

Dieter ist dem Arzt egal.
Er unter-sucht ihn erst als seine Schwester tot ist.

Ein Jahr und zwei Monate später wird auch Dieter ermordet.
Er stirbt am 10. April 1943.

Die Kinder werden nach dem Tod unter-sucht.
Ihre Gehirne werden aus dem Kopf genommen.
Die Gehirne werden ins Kranken-Haus Eppendorf geschickt.

Im Jahr 2012 werden Teile von den Gehirnen gefunden.
Sie gehören zu zwölf Kindern.

Im Jahr 2013 werden die Gehirn-Teile bestattet.
Auf dem Friedhof Nord-West.
Das ist der Fried-Hof der Anstalt.
Die Gehirn-Teile von Rosemarie und Dieter gehören dazu.
Zu der Beerdigung kommen viele Geschwister.
Es sind Brüder und Schwestern von den ermordeten Kindern.

Das ist ein Brief.
Der Brief ist vom Vater Wilhelm Bode.
Er ist an die Anstalt in Roten-Burg.
Er ist aus dem Jahr 1939.

Das ist ein Brief.
Er ist von der Mutter Erika Bode.
Sie schreibt an die Anstalt in Lüneburg.
Sie schreibt:
Danke für die Pflege.
Danke für die gute Betreuung der Kinder.
Sie weiß nichts vom Mord.
Der Brief ist aus dem Jahr 1943.

Das ist eine Zeichnung.
So liegen damals die Kinder-Gräber.
Sie liegen auf dem Anstalts-Fried-Hof.
Nummer ein-und-zwanzig ist das Grab von Rosemarie.
Nummer neun-und-neunzig ist das Grab von Dieter.
Die Zeichnung ist aus dem Begräbnis-Buch.

Geschwister Buhlrich

Hans Buhlrich, geboren am 1. Mai 1932, war das älteste Kind von Johanne Caroline (geborene Hartmann) und Wilhelm Johann Heinrich Buhlrich. Er wuchs bis zu seinem zehnten Lebensjahr bei seinen Eltern auf. Laut Cousin Kurt Homburg habe Hans seinen rechten Arm nicht unter Kontrolle gehabt und im Kopf sei er auch etwas langsamer gewesen. Am 21. Mai 1936 wurde Hans Schwester Erika Buhlrich, am 3. März 1941 seine Schwester Margret Buhlrich geboren.

Als der Vater in den Kriegsdienst eingezogen wurde, musste Mutter Johanne alles alleine bewältigen. Ihr Neugeborenes war erst ein halbes Jahr alt. Vermutlich aufgrund von Überforderung der Mutter wurde Hans am 20. September 1941 in das staatliche Gertrudenheim eingewiesen. Vom Gertrudenheim wurde Hans noch im selben Monat in die Heil- und Pflegeanstalt Kloster Kutzenberg (Oberfranken) verlegt. Dort starb Hans ein Jahr später am 17. Oktober 1942. Die offizielle Todesursache lautete »Herzschwäche«.

Als Hans Schwester Erika etwa ein Jahr alt war, erkrankte sie an Hirnhautentzündung. Infolgedessen zeigte sich eine Entwicklungsverzögerung. Als Erika fünf Jahre und ihre kleine Schwester sechs Monate alt war, erfuhr sie, dass ihr Bruder ins Gertrudenheim musste. Von da an wuchs sie ohne ihn und nur mit der fünf Jahre jüngeren Schwester Margret auf.

Als Bremen bombardiert wurde, suchte Johanne mit ihren Mädchen Zuflucht in einem Bunker. Nachbarn fühlten sich von den Mädchen gestört und denunzierten sie. Drei Jahre nachdem bereits ihr Bruder in die Anstalt eingewiesen worden war, wurden am 6. September 1944 auch Erika und Margret Buhlrich als anstaltsbedürftig in die »Kinderfachabteilung« Lüneburg aufgenommen. Johanne nutzte die Gelegenheit, um die Ursache für die Verzögerungen und Behinderungen ihrer Kinder zu erfragen. In Briefen bat sie den Ärztlichen Direktor, ihre Kinder dahingehend zu untersuchen. Sie dachte, auch Margret sei verzögert und habe eine Behinderung, dabei hatte sie nur »krumme Beine«.

Sie erhielt die Antwort, dass zur Klärung der Ursache Untersuchungen am Gehirn vorgenommen werden müssten, die erst nach dem Tode möglich seien. Beide Schwestern wurden daraufhin im Abstand von wenigen Wochen in der »Kinderfachabteilung« Lüneburg ermordet – erst Erika, dann Margret. Johanne hatte somit ihre drei Kinder in der »Kinder-Euthanasie« verloren.

Nach den Gehirn-Sektionen empfahl ihr Dr. Max Bräuner, sie solle besser keine weiteren Kinder bekommen. Daraufhin adoptierten sie und ihr Ehemann Wilhelm einen Jungen. Friedrich Buhlrich erfuhr erst nach dem Tod seiner Adoptiveltern, dass er drei Geschwister hatte. Er machte sich auf die Suche nach ihrem Schicksal und setzt sich seither für die Aufarbeitung der »Euthanasie«-Verbrechen ein.

Hans Buhlrich, 29.3.1936.

Privatbesitz Friedrich Buhlrich.

Erika Buhlrich auf einer Decke im Garten, ca. 1937.

Privatbesitz Friedrich Buhlrich.

Foto von Margret Buhlrich im Garten, Spätsommer 1944.

Privatbesitz Friedrich Buhlrich.

Aufnahme-Kartei zu Hans Buhlrich.

Kopie Friedrich Buhlrich |
Staatsarchiv Bamberg, Rep. K 61, Nr. 6489.

»Möchte sie auch fragen ob Sie schon festgestellt haben wovon es kommt, das meine beiden Kinder krank sind.«
Schreiben von Johanne Buhlrich an die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg, 18.9.1944.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 45.

Sterbeurkunde Erika Buhlrich, 23.11.1944.

Privatbesitz Friedrich Buhlrich.

Sterbeurkunde Margret Buhlrich, 25.1.1945.

Privatbesitz Friedrich Buhlrich.

Geschwister Buhlrich

Hans Buhlrich ist am 1. Mai 1932 geboren.
Seine Mutter heißt Johanne.
Sein Vater heißt Wilhelm.
Er ist ihr ältestes Kind.

Hans hat einen lahmen Arm.
Er ist auch langsam im Denken.
Seine Schwestern heißen Erika und Margret.
Sie werden 1936 und 1941 geboren.

Hans kommt in ein Kinder-Heim.
Das ist ein halbes Jahr nach der Geburt von Margret.
Seine Mutter schafft keine drei Kinder.
Sie braucht eine Pause.

Hans hat kein Glück.
Er kommt im Heim an.
Wenige Tage später wird das Heim geräumt.
Alle kommen in ein anderes Kinder-Heim.
Hans kommt nach Kutzen-Berg.
Das neue Heim ist viele Auto-Stunden entfernt von Bremen.
Es ist in Bayern.

Dort stirbt Hans ein Jahr später.
An einer Herz-Schwäche.
Das ist nicht wahr.
Er wurde vermutlich getötet.

Die Schwester Erika wird krank.
Sie bekommt eine Hirn-Haut-Entzündung.
Da ist sie 1 Jahr alt.
Ihr Gehirn wird beschädigt.
Sie bekommt eine Behinderung.
Als Hans stirbt ist sie 6 Jahre alt.

Auch in Bremen ist Krieg.
Es fallen Bomben.
Die Menschen müssen sich schützen.
Sie müssen in einen besonderen Keller.
Dort werden sie nicht getroffen.
Oder nur ganz selten.

Auch die Mädchen müssen in den Keller.
Ihre Mutter wird beschimpft.
Weil Erika und Margret eine Behinderung haben.
Ihre Mutter muss sie in die Kinder-Fach-Abteilung bringen.
Sie kommen nach Lüneburg.

Die Mutter denkt:
Erika und Margret haben beide eine Behinderung.
Sie fragt den Arzt:
Warum habe ich drei Kinder mit Behinderungen?
Kann ich gesunde Kinder bekommen?

Die Mutter bekommt eine Antwort.
Der Arzt antwortet:
Das kann ich heraus-finden.
Dafür muss ich das Gehirn unter-suchen.

An das Gehirn kommt man nur wenn man tot ist.
Also werden Erika und Margret ermordet.
Danach sind alle drei Kinder von Johanne Buhlrich tot.

Der Arzt nimmt die Gehirne von Erika und Margret.
Die Gehirne werden unter-sucht.
Der Arzt sagt der Mutter:
Bekomme keine weiteren Kinder.

Sie nehmen sich eines anderen Kindes an.
Es ist ein Baby.
Es heißt Friedrich.
Er weiß nichts von seinen ermordeten Geschwistern.
Seine Eltern sterben.
Danach findet er die Sterbe-Urkunden.
Er findet raus:
Es gibt drei Geschwister.
Er will wissen:
Was ist mit ihnen passiert?
Warum sind sie tot?
Er macht sich auf die Suche nach ihnen.
Er findet heraus:
Alle drei Geschwister sind Opfer des Patienten-Mordes.
Sie wurden im National-Sozialismus ermordet.

Seitdem geht er in Schulen.
Er spricht mit Schülern.
Er erzählt die Geschichte seiner Geschwister.
Viele sollen davon erfahren.
Damit so etwas nie wieder passiert.

Das ist ein Foto.
Auf dem Foto ist Hans.
Er ist 4 Jahre alt.

Das ist ein Foto.
Es ist ein Foto von Erika.
Sie sitzt auf einer Decke.
Sie ist 1 Jahr alt.

Das ist ein Foto von Margret.
Sie ist im Garten.
Sie sammelt Äpfel.
Sie ist 3 Jahre alt.

Das ist eine Karte.
Darauf steht:
Hans Buhlrich ist seit September 1941 in Kutzen-Berg.
Im Oktober 1942 ist Hans tot.

Es ist ein Brief von Johanne Buhlrich.
Sie schreibt an die Anstalt.
Sie will wissen:
Warum sind meine Kinder krank?
Warum haben sie eine Behinderung?
Kann ich Kinder ohne Behinderung bekommen?

Das ist die Sterbe-Urkunde von Erika.
Darin steht:
Erika ist im November 1944 gestorben.
In ihrer Wohnung. Das ist falsch.
Sie stirbt in der Anstalt.
Das ist ihr letzter Wohn-Sitz.

Das ist die Sterbe-Urkunde von Margret.
Darin steht:
Margret ist im November 1944 gestorben.
In ihrer Wohnung. Das ist falsch.
Sie stirbt in der Anstalt.
Das ist ihr letzter Wohn-Sitz.

Günter Schulze

Günter Schulze war nur einen einzigen Monat Patient in der »Kinderfachabteilung« Lüneburg. Er wurde am 10. Juli 1944 aufgenommen, vier Wochen später, am 5. August 1944, wurde er ermordet. Er starb mit sieben Jahren. Sein Vater war zu diesem Zeitpunkt Feldwebel. Seine Mutter sorgte allein für die Kinder. Die siebenköpfige Familie mit schlesischen Wurzeln lebte in Hannover-Langenhagen.

Günter war das vierte Kind von Gertrud Schulze, geborene Dubiel, und Max Schulze, der Tapetendrucker war. Nach Günters Geburt am 1. Oktober 1936 wurde seine Schwester Ursula geboren. Es gab noch drei ältere Geschwister. Die Familie war glücklich, Günter erfuhr Teilhabe und liebevolle Zuwendung. Er war ein fröhliches Kind und bei allen Familienaktivitäten dabei.

Günter war ein sogenanntes »Reichsausschusskind«. Seine Einweisung in die Lüneburger »Kinderfachabteilung« ging vom Gesundheitsamt Hannover-Land aus. Die Hilfsärztin begründete ihren Antrag beim »Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden« in Berlin mit einem »angeborenen Wasserkopf« und seiner Entwicklungsverzögerung. Hinter der Formulierung »[wir] bitten Sie, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen« verbarg sich die Prüfung und Entscheidung, ob Günter für eine Tötung infrage kam.

Bereits zwei Wochen später wies der »Reichsausschuss« die Aufnahme an. Der Mutter widerstrebte es, ihr Kind nach Lüneburg zu bringen. Erst sechs Wochen später wurde Günter aufgenommen. Er wurde von seiner Mutter gebracht.

Günter konnte sprechen, seinen Namen nennen, alleine essen und wurde als ruhig und »freundlich«, »willig und folgsam« beschrieben. Nach dem Eintrag »bildungsunfähig« in seiner Krankengeschichte sind nur noch seine letzten elenden Tage dokumentiert. Offiziell wurde die Todesursache »Darmentzündung und Bronchitis« angegeben. Er starb am 5. August 1944, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgelöst durch eine Überdosis eines Betäubungsmittels. Sein Leichnam wurde auf Wunsch der Mutter nicht in Lüneburg bestattet, sondern nach Langenhagen überführt.

Über ein halbes Jahr später verweigerte Gertrud Schulze Zahlungsaufforderungen, für die Verpflegungskosten ihres ermordeten Sohnes Günter aufzukommen, die ihr seitens der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg in Rechnung gestellt worden waren. Am 17. Oktober 1945 – über ein Jahr nach dem Tod ihres Sohnes – wurden ihr die Kleidungsstücke ihres Sohnes persönlich ausgehändigt.

Foto der siebenköpfigen Familie Schulze, Weihnachten 1938.

Privatbesitz Ursula Heins.

Foto von Günter im Arm seiner Mutter, hinter ihm der Vater Max. Seine Schwester Ursula ist das Baby auf dem Arm, ca. Sommer 1938.

Privatbesitz Ursula Heins.

Gertrud, Ursula, Günter und Max Schulze, ca. 1943.

Privatbesitz Ursula Heins.

Aufnahmeantrag des Staatlichen Gesundheitsamts Hannover-Land vom 19.5.1944.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 387.

Schreiben des »Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden« an das Staatliche Gesundheitsamt Hannover-Land vom 27.5.1944.

NLA Hannover Hann. 155 Lüneburg Acc. 56/83 Nr. 387.