Wilhelm Güthling

Wilhelm Güthling wird 1886 in Lüne-Burg geboren.
1907 kommt er zum ersten Mal in die Lüne-Burger Anstalt.
Das ist ein besonderes Kranken-Haus.
Da ist er 21 Jahre alt.
Die Ärzte sagen:
Wilhelm ist schwach-sinnig.

Wilhelm ist nicht immer in der Anstalt.
Manchmal ist er in der Anstalt.
Manchmal arbeitet er in einer Fabrik.
Oder in der Land-Wirtschaft.
Er arbeitet nicht immer gerne.
Er ist auch mal im Armen-Haus.
Einmal kommt er für drei Tage ins Gefängnis.
Weil er bettelt.

Im Jahr 1933 kommt er wieder in die Anstalt.
Danach kommt er nicht mehr raus.
Im Jahr 1934 sagt das Erb-Gesundheits-Gericht Lüne-Burg:
Wilhelm Güthling soll sterilisiert werden.
Das heißt er soll un-frucht-bar gemacht werden.
Er soll keine Kinder mehr bekommen.

Wilhelm ist jetzt immer in der Anstalt.
Er kann keine Frau kennen lernen.
Er kann kein Kind machen.
Trotzdem wird er operiert.
Im Lüne-Burger Kranken-Haus
Er wird zwangs-sterilisiert.

Danach steht nicht mehr viel in Wilhelms Kranken-Akte.
Im Jahr 1941 schreibt ein Arzt:
Wilhelm ist verrückt.
Das schreibt der Arzt weil Wilhelm sterben soll.

Im April 1941 kommt Wilhelm in die Anstalt Herborn.
Von dort kommt er in die Tötungs-Anstalt Hadamar.
Dort wird er in der Gas-Kammer ermordet.
Das ist am 21. Mai 1941.
Wilhelm ist 55 Jahre alt.

Das ist eine Kranken-Akte. Es ist die Akte von Wilhelm Güthling. In dieser Akte machte der Arzt Notizen. Dort steht auch eine Diagnose von Wilhelms Krank-Heit.

Zwangs-Sterilisation in Lüne-Burg

Auch in Lüne-Burg gibt es den National-Sozialismus.
Zwischen 1933 und 1945.
Menschen mit Behinderung und Krankheiten werden in der Zeit angezeigt.
Beim Gesundheits-Amt.
Meistens machen Ärzte eine Anzeige.
Aber auch Lehrer oder Erzieher.
Jeder kann so eine Anzeige machen.

Es gibt fast 4 Tausend Anzeigen beim Gesundheits-Amt in Lüne-Burg.
So viele Menschen sollen un-frucht-bar gemacht werden.
Es gibt mehr als 2 Tausend Gerichts-Verhandlungen.
Lüne-Burg hat ein eigenes Erb-Gesundheits-Gericht.

Es gibt noch viele Akten aus dem Gericht.
In den Akten steht alles drin über die Verhandlung.
Und über das Urteil.
Von über 800 Menschen wissen wir daher alles ganz genau.
Nur über die sprechen wir hier.
Auch wenn es eigentlich viel mehr sind.

Wilhelm Klatt ist der erste der un-frucht-bar gemacht wird.
Er wird am 19. Juni 1934 operiert.
Er ist Tapezierer.

Anni Korn ist die letzte die un-frucht-bar gemacht wird.
Sie wird am 7. März 1945 operiert.
Sie arbeitet in der Land-Wirtschaft.

Die meisten Operationen gibt es zwischen den Jahren 1934 und 1938.
Danach werden es weniger.
Weil ab 1939 Krieg ist.

Etwas mehr als die Hälfte der Sterilisierten sind Frauen.
Etwas weniger als die Hälfte sind Männer.
Bei ihrer Sterilisation sind die Menschen meistens unter 30 Jahre alt.
Das jüngste Opfer heißt Inge Wernitz.
Sie ist angeblich schwach-sinnig.
Sie wird im Lüne-Burger Kranken-Haus operiert.
Da ist sie erst 14 Jahre alt.

Der älteste Mann ist Gustav Lindenau.
Er ist ein Häftling in einem Konzentrations-Lager als das Gericht das entscheidet.
Er soll »schwerer Alkoholiker« sein.
Er ist 63 Jahre alt als er un-fruch-tbar gemacht wird.

Die meisten werden operiert wegen Schwach-Sinn.
Über 5 Hundert.
Über 1 Hundert werden operiert wegen Realitäts-Verlust.
Es gibt sehr strenge Regeln.
Wer sie nicht einhält wird auch operiert.
In Lüne-Burg sind es über 50.

Fast jeder Dritte lebt in der Stadt Lüne-Burg.
Oft wohnen mehrere Menschen in einer Straße.
Es sind Nachbarn.
Oder sie gehören zu einer Familie.

Sterilisations-Gesetz

Die National-Sozialisten machen 1933 ein Gesetz.
Dieses Gesetz erlaubt die Zwangs-Sterilisation.
Das bedeutet:
Das Gesetz bestimmt wer un-frucht-bar gemacht werden darf.
Es sind Menschen mit Behinderungen.
Oder Menschen mit bestimmten Krankheiten.
Nach der Operation können diese Menschen keine Kinder mehr bekommen.
Das Gesetz gilt ab dem 1. Januar 1934.

In dem Gesetz steht:
Menschen mit bestimmten Krankheiten sollen keine Kinder bekommen.
Wer eine Krankheit hat soll unfruchtbar gemacht werden.
Dann wird man operiert.
Nach der Operation kann man keine Kinder mehr bekommen.

So ein Gesetz gibt es früher nicht nur in Deutsch-Land.
Es gibt so ein Gesetz auch in anderen Ländern.
In Dänemark und Norwegen.
In Schweden und Finnland.
Und in vielen Teilen der USA.

Aber in Deutsch-Land ist es das Gesetz besonders streng.
Darin steht:
Ein Gericht entscheidet über die Operation.
Die Menschen dürfen immer operiert werden.
Auch wenn sie nicht wollen.
Wenn sie Nein sagen.
Dann darf die Polizei einen fest-nehmen.
Und man wird zu der Operation gezwungen.

Wenn man dies hat wird man operiert:
Schwach-Sinn.
Große Traurigkeit oder Lebens-Müdigkeit.
Anfälle haben.
Nicht sehen können.
Nicht hören können.
Nicht laufen können.
Am Körper anders sein.
Zu viel Alkohol trinken.

Später kommt noch dazu:
Sex mit vielen verschiedenen Menschen haben.
Ohne Wohnung sein.
Viele Kinder haben von verschiedenen Partnern.

Erb-Biologische Bestand-Aufnahme

Früher werden in Deutsch-Land viele Menschen über-prüft.
Es wird geprüft:
Sind sie gesund?
Nur wer gesund ist, darf Kinder bekommen.

Über-prüft werden immer:
• alle Menschen in Anstalten
• alle Kinder im Kinder-Heim
• Schüler an einer Förder-Schule oder schlechte Schüler
• Männer und Frauen, die heiraten wollen
• Soldaten
• Ehe-Paare, die Geld brauchen vom Staat (für die Familie)
• Eltern, die Geld brauchen vom Staat (für die Kinder)
• Mütter und Väter, die nicht verheiratet sind
• Mütter, die Kinder von verschiedenen Vätern haben
• Menschen, die im Gerichts-Gefängnis sind
• Sinti und Roma (die Nazis sagen: Zigeuner)
• Opfer von Vergewaltigung oder Miss-Brauch
• Sex-Arbeiterinnen oder Sex-Arbeiter
• Obdachlose

Über-prüft werden auch alle mit Familien-Angehörigen, die

• Selbst-Mord gemacht haben
• bestimmte Krankheiten haben
• Bett-Nässer sind
• Alkoholiker sind
• Sex mit Verwandten haben
• schon lange arbeits-los sind
• auch un-frucht-bar gemacht werden sollen.

Die Nazis sagen:
Diese Menschen sind nicht gesund.
Wir müssen sie in Listen erfassen.
Sie müssen beobachtet werden.
Nur dann kann man sie kontrollieren.
Zum Beispiel sollen sie keine Kinder haben.

Anna Wichern

Anna Wichern ist im Jahr 1896 geboren.
Sie kommt aus Oster-Vesede.
Das ist ein Ort bei Roten-Burg.
Sie hat 5 jüngere Geschwister.
Ihre Eltern sind Bauern.
Sie haben einen eigenen Bauern-Hof.

Dann ist Anna 19 Jahre alt.
Sie ist ohne Grund traurig.
Und sie weint sehr viel.
Und sie will nicht mehr leben.
Sie hat eine seelische Erkrankung.

Die Familie kennt das.
Der Vater von Anna hat auch diese Erkrankung.
Er ist auch oft grundlos traurig.
Weint viel und will nicht mehr leben.

In den Jahren 1916 und 1919 wird sie Patientin.
In einer Anstalt in Lüne-Burg.
Das ist ein besonderes Kranken-Haus.

Die Mutter betet zu Gott.
Sie betet:
Mach dass Anna wieder gesund wird.
Mach dass sie wieder glücklich wird.


Sie betet meistens auf den Knien.
Der Fuß-Boden geht kaputt davon.
So oft betet die Mutter.

Dann wird Anna gesund.
Sie kommt wieder nach Hause.
5 Jahre bleibt Anna gesund.

Dann wird sie wieder krank.
Es ist schlimm.
Ihr geht es sehr schlecht.
Sie weint viel und will nicht mehr leben.
Also kommt sie wieder in die Anstalt
Nach Lüne-Burg.
Diesmal wird sie nicht so schnell gesund.

Im Jahr 1941 wird sie verlegt.
Sie wird ermordet.
In der Aktion T4.
In dieser Aktion werden viele Menschen ermordet.
Das ist am 16. Juni 1941.
In der Tötungs-Anstalt Hadamar.

Ihre Mutter bekommt einen Brief.
Darin steht:
Anna ist verlegt worden.
Weil Krieg ist.

Aber das stimmt nicht.
Sie wird verlegt weil man sie ermorden will.
Als der Brief ankommt ist Anna schon tot.

Dann kommt ein zweiter Brief.
Darin steht:
Anna ist gestorben.
An einer Lungen-Entzündung.

Das ist auch gelogen.
Anna ist vergast worden.
In der Tötungs-Anstalt Hadamar.
Sie ist ein Opfer vom Patienten-Mord.

Die Mutter von Anna ahnt das.
Darum behält sie den Brief.
Es ist ein Beweis:
Anna ist ermordet worden.
In der Aktion T4.

Das ist die Sterbe-Urkunde von Anna Wichern.

Darin steht dass sie am 27. Juni 1941 in der Anstalt Hadamar gestorben ist.

Das ist ein Brief, den Annas Eltern bekommen haben.

Darin steht, dass Anna an Lungen-Entzündung gestorben ist.

Aber das ist falsch.

Sie wurde mit Gas ermordet.

Auch das Datum ist falsch.