Stephan Lapikow

Stephan Lapikow wurde gemäß Sterberegisterauszug am 27. September 1907 in Kruki in Russland geboren. In seiner Krankenakte steht, er sei Ukrainer. Tatsächlich ist Kruki eine Stadt in der heutigen Ukraine, die damals zur Sowjetunion gehörte. Bekannt ist, dass er in Römmelmoor im Kreis Wesermarsch in der Landwirtschaft arbeitete. Wie und warum er in das Gerichtsgefängnis Nordenham kam, kann der Akte nicht entnommen werden. In Nordenham begutachtete ihn ein Dr. Neeser, der seine Aufnahme in die Heil- und Pflegeanstalt Oldenburg in Wehnen empfahl, weil Stephan Lapikow an einem »manischdepr.[esiven] Irresein« leide.

Am 5. Mai 1944 wurde er dort aufgenommen. Der behandelnde Arzt kam zu dem Ergebnis: »bei L.[apikow] ist der Depressionszustand sicherlich nicht als im Rahmen einer Haftpsychose zu verstehen, sondern bei der langen Dauer des Fortbestehens der schweren Depressionszustände […] die dem
Formenkreis des manisch-depressiven Irreseins angehören, zu betrachten.« Der Eintrag endet mit dem Hinweis, dass Stephan Lapikow nach Lüneburg verlegt wurde. Ein »Abschlussbericht« ist nicht vorhanden.

In der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg lebte Lapikow nur noch wenige Tage. Er starb am 22. Dezember 1944. In seiner Akte gibt es keinen Eintrag über die Aufnahme, kein Verlaufsprotokoll, keinen Hinweis auf seinen körperlichen oder seelischen Zustand. Der einzige Vermerk, den der Leiter der »Ausländersammelstelle« Redepenning notierte, war: »in Lüneburg am 22. XII. ohne besondere Krankheitserscheinungen an Erschöpfung gestorben.« Das Wort »Erschöpfung« ist unterstrichen. Stephan Lapikow starb im Alter von 37 Jahren.

Timofey Thomachincko

Timofey Thomachinckos Identität zu klären war nicht leicht. Im Begräbnisbuch zum Anstaltsfriedhof hatte der Friedhofsverwalter nur den Begräbnistag »7. Februar 1945« sowie den Namen »Schannchincko« handschriftlich notiert. Scheinbar gab es bereits hier einen Übertragungsfehler im vorderen Namensteil. Beim Erfassen der Kriegsgräberlisten 1954 wurde das zweite »c« dann auch noch als »o« gelesen, sodass aus »Schannchincko« fortan der Name »Schannchinoko« wurde. Erst durch die Auswertung des »Alphabetischen Verzeichnisses der kranken Männer« der Heil- und Pflegeanstalt und des Sterberegisterauszuges sowie durch eine Rekonstruktion der Schreibfehler konnte gesichert werden, dass es sich bei »Timofey Thomachincko« und »Schannschinoko« um ein und dieselbe Person handelt.

Er wurde 1889 in Michailow in Russland geboren. Vor seiner Aufnahme in die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg am 26. Januar 1945 war er in Ihlienworth bei Otterndorf im Land Hadeln als Ostarbeiter bei einem Bauern mit dem Namen Luca beschäftigt. Seiner Einweisung ging eine amtsärztliche Untersuchung voraus, bei der der Amtsarzt Dr. Liebering zu dem Ergebnis kam, dass Timofey Thomachincko aufgrund angeblicher Tobsuchtsanfälle gemeingefährlich sei.

In Lüneburg wurde er dann von dem Leiter der »Ausländersammelstelle« Dr.Redepenning untersucht, der bei ihm eine akute Geisteskrankheit diagnostizierte, Schizophrenie jedoch mit einem Fragezeichen versah. Timofey Thomachincko kam ins Haus 15 und wog bei einer Körpergröße von 1,66 m nur 60 kg. Einen Tag nach der Aufnahme notierte Redepenning: »Leidet ganz offenbar an Angst. […] ist sehr scheu und abwehrend. Lehnt Essen ab. Noch nicht einen Schluck Wasser, spuckt ihn aus.« Eine sprachliche Verständigung, so geht es aus der Akte hervor, war auf verschiedenen Wegen nicht möglich gewesen. Trotz eines Dolmetschereinsatzes sprach Timofey Thomachincko kein Wort. Auch in den Tagen nach der Aufnahme stellte sich keine Besserung ein.

Am 1. Februar 1945 notierte Redepenning: »Unruhe hält an. Durchaus unansprechbar – trotz aller Bemühungen der Russisch sprechenden Poln-Kranken.« Am 4. Februar hielt Redepenning »Fieber. Schwächer« fest. Am 5. Februar 1945 folgte der Eintrag: »13 Uhr 30 gestorben. Kurz vor dem
Tod Arztbesuch mit Sprachmittler. Nichts zu erfahren. Verfolgungs- und Vergiftungswahn? Schizo?« Timofey Thomachincko starb im Alter von 39 Jahren an Erschöpfung.

Wassilij Tschurpis

Wassilij Tschurpis wurde am 10. März 1888 in Russland geboren. Während des Krieges wurde er als Zwangsarbeiter in das Volkswagen (VW)-Werk in die »Stadt des KdF-Wagens« (das heutige Wolfsburg) nach Deutschland verschleppt. Über die genauen Umstände und sein Leben davor ist nichts bekannt. Es ist unklar, ob er sowjetischer Soldat und Kriegsgefangener war oder zu den zivil Rekrutierten gehörte.

Am 20. Januar 1944 stellte der Betriebsarzt der VW-Werke, Dr. Körbel, bei der Einweisungsuntersuchung einen »vollständigen Verwirrungszustand« fest. Als Ursache vermutete Dr. Körbel eine Syphillis-Infektion. Entsprechende Blutuntersuchungen führte er jedoch nicht durch. Da Tschurpis erkrankungsbedingt nicht mehr arbeitsfähig war, wies der Betriebsarzt ihn in die Lüneburger Anstalt ein.

Am folgenden Tag wurde Wassilij Tschurpis mit einem PKW in die Lüneburger Anstalt gefahren. Dort kam Tschurpis nackt, nur mit einer Decke bekleidet, mit gefesselten Händen und durch eine Injektion ruhiggestellt, an. Er wurde zunächst in Haus 21 aufgenommen.

Den folgenden Tag verbrachte Wassilij Tschurpis wach im Bett liegend. Am nächsten Tag, den 23. Januar 1944, lag er den ganzen Tag ohne Bewusstsein im Bett. Es wurden keine Maßnahmen eingeleitet, um ihm zu helfen und sein Leben zu retten. Wassilij Tschurpis starb am gleichen Tag um 18:45 Uhr im Alter von 55 Jahren. Es war der zweite Tag nach seiner Aufnahme in der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg.

Wladimir Batutow

Wladimir Batutow wurde am 18. März 1925 in Markejowka in der Ukraine geboren. Bevor er ins Deutsche Reich verschleppt wurde, lebte er in der Großstadt Nikopol im Süden der Ukraine. In Deutschland musste er in Rysum im Kreis Norden für die Niederemsische Deichacht Zwangsarbeit im Wasserbau leisten, davor war er sechs Monate bei einem Bauern eingesetzt. Mit Hilfe eines Dolmetschers erfuhr der Leiter der »Ausländersammelstelle« Dr. Rudolf Redepenning bei der Aufnahme von Wladimir Batutow in die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg am 22. Dezember 1944, dass er vorher in das Krankenhaus nach Aurich gekommen war, weil er sich beim Hacken schwer verletzt hatte. Narben an Daumen, Handwurzel und in der Ellenbeuge bestätigten diese Verletzungen.

Weshalb er nach Lüneburg gekommen sei, konnte Wladimir nicht mehr erinnern und er klagte über Kopfschmerzen. Im Krankenhaus in Aurich habe er sein Krankenzimmer zerstört und sei sehr erregt gewesen, geht aus dem Gutachten des Staatlichen Gesundheitsamtes hervor, das ihm am 19. Dezember 1944 attestierte, dass er sofort in die nächstmögliche geschlossene Anstalt zu kommen habe.

In Lüneburg angekommen, gab sich Wladimir Batutow keinesfalls erregt oder gewalttätig, sondern zeigte sich – so notiert es Redepenning –gesprächsfreudig, gab auf Fragen »langatmige Antworten«, die der Dolmetscher wohl nur kurz wiedergab. Auch wollte Wladimir Batutow gerne in den Werkstätten der Anstalt arbeiten. Er sei »ruhig und fügsam«.

Am 10. Januar 1945 notierte Redepenning, dass Wladimir Batutow nichts leiste, zu schwach sei. Am 7. Februar notierte er »Befundbericht nicht einsatzfähig«, am 17. März »abnorme Reaktion. – Nässt und schmutzt ein. Hinfällig.«, am 22. März 1945 »gestorben«.

Innerhalb nur weniger Wochen hatte der erst 20-jährige Wladimir Batutow, der laut Krankenakte bei seiner Aufnahme in Lüneburg einen stabilen und sortierten Eindruck machte, körperlich derart abgebaut, dass er vollkommen geschwächt starb. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist er in der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg verhungert.

Zizlaw Rudzki

Zizlaw Rudzki wurde am 20. Mai 1923 in Tschenstochau (Częstochowa) im Süden Polens geboren. Polen war ab September 1939 durch die Deutschen besetzt. Um den kriegsbedingten Arbeitskräftemangel im Deutschen Reich zu kompensieren, wurden die Menschen im besetzten Gebiet aufgefordert, sich zum Arbeitsdienst zu melden. »Auf Anordnung der Polizei« meldete sich auch Zizlaw Rudzki am 30. Juli 1940 zum Arbeitsdienst ins Deutsche Reich. Da war er erst 17 Jahre alt und es ist davon auszugehen, dass diese Meldung unfreiwillig erfolgte.

Zizlaw Rudzki arbeitete rund drei Jahre als Zwangsarbeiter, zum Schluss in einem Motorenwerk in Varel. Er habe »zur vollsten Zufriedenheit gearbeitet, bis er vor etwa 3 Monaten nach und nach in der Arbeit nachließ, ein bedrücktes Wesen zur Schau trug und ganz allgemein – in auffallend affectiver Weise – stereotyp angab, nicht mehr arbeiten zu können.«, begründete der praktische Arzt Dr. Behrens aus Varel seine Verdachtsdiagnose »Schizophrenie« und stützte sich hierbei offenbar auf die Angaben des Vorgesetzten des Motorenwerkes. Der vor der Aufnahme in die Heil- und Pflegeanstalt Oldenburg in Wehnen hinzugezogene Nervenarzt kam zu dem gleichen Ergebnis. Selbstäußerungen von Rudzki flossen in die ärztlichen Gutachten nicht ein. Auch der Oberarzt in Wehnen, ein Dr. Moor, hielt in seinem Bericht fest: »Nach der eingehenden körperlichen Untersuchung und psychischen Beobachtung handelt es sich bei R.[udzki] um ein Erscheinungsbild, das mit Verstimmungen, Depressionszuständen, Apathie und völliger Abgeschlossenheit von seiner Umwelt einhergeht. Exogene Momente, die die Ursache dieser psychischen Veränderungen sein könnten, sind allem Anschein nach auszuschließen […]«. Der Oberarzt stützte sich ausschließlich auf die Angaben der Kollegen, die sich ihrerseits wiederum auf die Angaben des Vorgesetzten im Motorenwerk Varel stützten.

Am 3. September 1943 kam Zizlaw Rudzki in der Heil- und Pflegeanstalt Oldenburg in Wehnen an. Dort blieb er »verschlossen, stierte völlig verstört auf dem Wachsaal herum, [gab] auch auf eindringliches Fragen keine Antwort.«. Zizlaw Rudzkis körperlicher Zustand verschlechterte sich zudem derart, dass eine später in Erwägung gezogene Elektroschockbehandlung nicht möglich war. Zizlaw Rudzkis Krankengeschichte ist typisch für Patient*innen, die in die »Ausländersammelstelle« eingeliefert wurden: Er kam am 14. Dezember 1944 in der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg an und wurde wie viele andere erst am 3. Januar 1945 von dem Leiter Dr. Redepenning begutachtet. Der einzige Eintrag war: »Stuporös wie oben geschildert. nicht arbeitsfähig.« Zwei Wochen später notierte Redepenning: »Nässt ein. Stuporös. Elend & abgemagert. [Unterstreichung im Original]«. Am 7. Februar folgte der Eintrag: »Unverändert: nicht arb.[eits]eins.[atz]fähig. Bef. [und]-Bericht.« Am 25. März folgte: »An Erschöpfung gestorben [Unterstreichung im Original]. Mutter kann nicht in Tschenstochau benachrichtigt werden.« Zizlaw Rudzki wurde nur 21 Jahre alt.