Bernhard Filusch

Bernhard Filusch wurde am 21. November 1941 auf der Fahrt in das Städtische Krankenhaus Lüneburg geboren. Nach der Geburt wurde festgestellt, dass ihm beide Füße und an der rechten Hand zwei Fingerglieder fehlten. Aufgrund dessen meldete ihn die Hebamme dem Gesundheitsamt. Der Amtsarzt empfahl der Mutter Emma Filusch Kontakt zum »Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden« in Berlin aufzunehmen. Die Eltern folgten dem Rat, da es ihnen nach eigener Aussage schwer fiel, sich um ihren Sohn zu kümmern. Der »Reichsausschuss« übernahm daraufhin die Pflegekosten für die Unterbringung in der »Kinderfachabteilung« der Heil- und Pflegeanstalt in Lüneburg. Die Mutter nahm an, dass es sich hierbei um ein Kinderheim handelte, in dem eine besondere Zuwendung möglich sei.

Am 5. Februar 1942 brachten die Eltern Bernhard in die Heil- und Pflegeanstalt, nachdem er nur wenige Wochen in seinem Elternhaus Auf dem Meere 29 verbracht hatte. Den Eltern fiel es zunächst schwer, die Fehlbildungen ihres Sohnes zu akzeptieren. Die Familie besuchte Bernhard jedoch regelmäßig und sah im Gegensatz zu den Ärzten eine progressive Entwicklung des Kindes. Als das Ehepaar Filusch nach einiger Zeit bemerkte, dass keine Therapien erfolgten, forderten sie seine Verlegung in ein Heim für Kinder mit Körperbehinderungen. Dies wurde jedoch vonseiten der Ärzte verweigert.

Die Pflegerin Dora Vollbrecht verabreichte Bernhard Filusch auf Anweisung des Arztes Willi Baumert eine Überdosis des Medikamentes Luminal, woraufhin er am 15. Juni 1942 im Alter von nur sieben Monaten starb. Er wurde auf dem Lüneburger Zentralfriedhof bestattet.

Dora Vollbrecht konnte sich in späteren Ermittlungsverfahren an die Tötung von Bernhard Filusch erinnern, da er durch sein fröhliches Wesen unter den Pflegerinnen sehr beliebt gewesen sei und ihr hierdurch im Gedächtnis geblieben war. Trotz ihres Geständnisses wurde das Ermittlungsverfahren der Lüneburger Staatsanwaltschaft wegen Mordes im Jahr 1981 eingestellt. Die Tatsache, dass Bernhard Filusch ein Opfer der »Euthanasie« ist, wurde den Eltern verschwiegen. Weder die Ärzte noch die zuständigen Krankenschwestern wurden jemals zur Rechenschaft gezogen. Bernhard Filusch ist eines der wenigen Kinder, dessen Ermordung erwiesen ist.

Ein Stolperstein erinnert seit 2005 vor der heutigen »Euthanasie«-Gedenkstätte auf dem Gelände der Psychiatrischen Klinik Lüneburg an Bernhard Filusch, geboren am 21. November 1941, ermordet am 15. Juni 1942. Ein zweiter Stolperstein erinnert seit 2019 an Bernhard Filusch vor seinem Elternhaus Auf dem Meere 29.

Anna Friebe

Anna Friebe, geborene Wysocki, geboren am 1. November 1896, wuchs in der Rotehahnstraße 20 in Lüneburg auf. Nach Beendigung der Schulzeit arbeitete sie als Hausmädchen. Im Jahr 1915 brachte sie ihr erstes Kind zur Welt. Vier Jahre später, mit 22 Jahren, heiratete sie den Vater ihres ersten Kindes, den Bahnarbeiter Albert Friebe. Es folgten in kurzen Abständen die Geburten von fünf weiteren gemeinsamen Kindern. Am 19. Mai 1923 wurde das letzte Kind geboren.

Wenige Wochen nach der Geburt ordnete das Gesundheitsamt ihre Aufnahme in die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg an, da Anna Friebe nach der letzten Entbindung an einer Schwangerschaftsdepression erkrankte. Zu diesem Zeitpunkt waren das jüngste Kind fünf Wochen und das älteste sieben Jahre alt. Fünf Monate später wurde Anna Friebe als »geheilt« entlassen und kehrte zurück in ihr Elternhaus, wo die kinderreiche Familie noch gemeinsam mit Annas Eltern wohnte.

Anfang des Jahres 1924 stellten sich bei Anna Friebe erneut eine auffällige Unruhe und Erregungszustände ein. Sie litt unter Schlaflosigkeit, Ängsten und Wahrnehmungsstörungen, auch äußerte sie Suizidgedanken. Am 15. April 1924 wurde sie daraufhin ein zweites Mal in die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg aufgenommen. Inzwischen war Anna Friebe mit ihrer Familie in die Salzbrückerstraße 5 umgezogen, nachdem sie sich mit ihrer Mutter zerstritten hatte.

Anna Friebe wurde nicht mehr entlassen und blieb Anstaltspatientin, bis sie der »Aktion T4« zum Opfer fiel. Am 9. April 1941 kam sie in die Zwischenanstalt Herborn und von dort am 12. Mai 1941 in die Tötungsanstalt Hadamar. Dort wurde sie noch am Ankunftstag in der Gaskammer im Keller der Anstalt ermordet. Zu diesem Zeitpunkt war ihr Ehemann Albert Friebe bereits verstorben. Über das weitere Leben ihrer sechs Kinder ist nichts bekannt.

Ein Stolperstein in der Rotehahnstraße 20 erinnert an Anna Friebe, geboren 1. November 1896, ermordet am 12. Mai 1941.

Stolperstein für Anna Friebe in der Rotehahnstraße 20 in Lüneburg.

Stolpersteine

Seit 2005 werden in der Hansestadt Lüneburg im öffentlichen Raum »Stolpersteine« für Opfer der Lüneburger »Euthanasie«-Maßnahmen verlegt. Hierbei handelt es sich um ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig. Er verlegt seit 1996 europaweit kleine Gedenktafeln aus Messing (»Stolpersteine«) in den Boden, um an die Opfer des Nationalsozialismus zu erinnern. In Lettern sind die Namen und Lebensdaten sowie der Verfolgungshintergrund von Hand eingeschlagen. Die 9,6 cm x 9,6 cm kleinen, quadratischen Stolpersteine werden – wo möglich – auf Gehwegen vor den letzten freiwillig gewählten Wohnorten niveaugleich in das jeweilige Pflaster eingelassen. Inzwischen wurden weit über 75.000 solcher Stolpersteine verlegt.

Die ersten Stolpersteine in Lüneburg für Opfer der hiesigen »Euthanasie«-Maßnahmen wurden für die Kinder Bernhard Filusch und Edeltraud Wölki vor der Gedenkstätte im ehemaligen Badehaus am Wasserturm (Haus 34) auf dem Gelände der Psychiatrischen Klinik Lüneburg verlegt. Beide waren im Geständnis des ehemaligen Ärztlichen Direktors Max Bräuner als zweifelsfreie Opfer der »Kinder-Euthanasie« benannt worden. Bei der Stolpersteinverlegung vor der Gedenkstätte blieb unberücksichtigt, dass es sich bei dem Aufenthalt in der Psychiatrie um einen Zwangsaufenthalt handelte.

Neben den Stolpersteinen für die beiden Kinder-Opfer wurden auch Stolpersteine für Anna Friebe und Theodor Jenckel in der Lüneburger Innenstadt verlegt. Beide Lüneburger*innen wurden als Erwachsene Opfer der sogenannten »Aktion T4«.

2009 wurde ein weiterer Stolperstein für das Kind Charlotte Regenthal vor der Gedenkstätte verlegt. Die Initiative war von ihrem Bruder ausgegangen, der für seine ermordete Schwester ein Zeichen setzen wollte.

2019 wurden weitere Stolpersteine für Lüneburger Opfer verlegt. Vor der Gedenkstätte wurden die Stolpersteine für Heinrich Biester (erwachsenes Opfer der »Aktion T4«) sowie Dieter Lorenz (Kind niederländischer Herkunft) ergänzt. Im Stadtgebiet wurden zudem Stolpersteine verlegt für die Kinder-Opfer Mariechen Petersen, Inge Roxin und Jürgen Endewardt sowie für die Erwachsene Therese Schubert (Opfer der »Aktion T4«). Bernhard Filusch erhielt im gleichen Zuge einen zweiten Stolperstein, da Forschungen seinen letzten Wohnort in Lüneburgs Innenstadt zu Tage gefördert hatten.

Seit vielen Jahren werden auch andernorts Stolpersteine verlegt für Opfer der Lüneburger »Euthanasie«-Maßnahmen.

Stolperstein für Abba Friebe in der Rotehahnstraße 20, Lüneburg.

ArEGL.

Stolpersteine 2011.

ArEGL, Henning Bendler.

Stolpersteinverlegung 2019.

ArEGL, Carola Rudnick.

Tötungsanstalt und Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein

Die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein befindet sich am historischen Ort einer ehemaligen Tötungsanstalt. Die Anstalt in der Festung Schloss Sonnenstein ist die älteste Psychiatrie in Deutschland. Die von einem reformpsychiatrischen Ansatz geprägte Anstalt nahm 1811 ihren Betrieb auf. In den 1930er Jahren setzte sich mit dem neuen Ärztlichen Direktor Paul Hermann Nitsche eine von Rassenhygiene geprägte Versorgung durch. Im Dezember 1939 endete der Anstaltsbetrieb. Das Schloss wurde – wohl auch aufgrund der Nähe zu den von deutschen Soldaten besetzten Gebieten in Polen – als Reservelazarett und Lager für sogenannte »Umsiedler« genutzt.

Im Frühjahr 1940 wurde in einem abgeschirmten Teil des Anstaltsgeländes eine Tötungsanstalt eingerichtet. Zwischen Juni 1940 und August 1941 wurden über 13.700 Menschen mit psychischen Erkrankungen bzw. Behinderungen ermordet. Die Menschen wurden in einen als Duschraum getarnten Kellerraum des Hauses C 16 geführt und durch Kohlenmonoxid erstickt. Wenige Meter entfernt befanden sich zwei Koksöfen, in denen die Leichen anschließend verbrannt wurden.

Am 7. März 1941 wurden im Rahmen der »Aktion T4« mindestens 123 männliche Patienten aus der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg in die Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein verlegt und direkt nach ihrer Ankunft ermordet. Es war die einzige Verlegung, die direkt von Lüneburg nach Pirna stattfand.

Zur Beurkundung sämtlicher Tode wurde in der Tötungsanstalt ein Sonderstandesamt betrieben, das den Angehörigen hinsichtlich Todesursache und Todesdatum gefälschte Sterbeurkunden schickte.

Zum Ende der »Aktion T4« und nach deren offizieller Einstellung ging das Morden in Pirna-Sonnenstein weiter. Über 1.000 Menschen wurden ab Sommer 1941 im Rahmen der sogenannten »Sonderbehandlung 14f13« ermordet. Hierbei handelte es sich um ehemalige, nicht mehr arbeitsfähige Häftlinge der Konzentrationslager Sachsenhausen, Buchenwald und Auschwitz, die in der Gaskammer in Schloss Sonnenstein ermordet wurden. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine Vernichtungslager mit eigenen Gaskammern.

Ein Drittel des Personals aus der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein wurde nach dem Ende der »Aktion T4« in das von Deutschen besetzte Generalgouvernement in Polen versetzt, um dort mit ihrem »Expertenwissen« die drei Vernichtungslager Sobibór, Bełżec und Treblinka aufzubauen und zu betreiben. Über 1,8 Millionen Menschen wurden in diesen Lagern während der »Aktion Reinhardt« ermordet.

Im Sommer 1942 wurde die Tötungsanstalt aufgelöst und die Spur der Verbrechen verwischt. In das Schloss Sonnenstein zogen die »Adolf-Hitler-Schule Gau Sachsen« sowie die Reichsverwaltungsschule ein, bis Kriegsende wurde das Schloss Sonnenstein außerdem als Wehrmachtslazarett genutzt.

Die Strafverfolgung der Ärzt*innen und Pfleger*innen setzte 1947 ein. Der Arzt Paul Hermann Nitsche und zwei Pfleger wurden im Dresdner Prozess zum Tode verurteilt.

Von 1945 bis 1949 diente das Schloss als Flüchtlings- und Quarantänelager für ehemalige Wehrmachtsangehörige, auch waren Teile des Landratsamtes in den Räumlichkeiten untergebracht. Bis 1954 beherbergte das Schloss eine Polizeischule. Zwischen 1954 und 1991 wurde ein Großteil des Geländes von einem Strömungsmaschinenwerk zum Bau von Flugzeugturbinen genutzt. 1989 gründete sich eine Bürgerinitiative mit dem Ziel, eine Gedenkstätte einzurichten. 1991 richtete die Arbeiterwohlfahrt Werkstätten für Menschen mit Behinderungen ein, parallel konstituierte sich ein Kuratorium zwecks Errichtung einer Gedenkstätte. 1992 bis 1994 wurden die Kellerräume rekonstruiert und als Gedenkstätte hergerichtet. Im Jahr 2000 wurde eine Dauerausstellung eingeweiht.

In Pirna wird auch im öffentlichen Raum an die Verbrechen erinnert. Es gibt 16 Wegweiser, die vom Bahnhof zur Gedenkstätte führen und über den Patient*innenmord informieren. Darüber hinaus gibt es im Stadtgebiet eine »Gedenkspur« bunter Kreuze.

Historische Postkarte der königlichen Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein.

ArEGL 99.

Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein.

ArEGL, Henning Bendler.

Tötungsanstalt und Gedenkstätte Hadamar

Die Gedenkstätte Hadamar befindet sich am historischen Ort einer ehemaligen Tötungsanstalt. In der ehemaligen Landesheilanstalt in der damaligen Provinz Hessen-Nassau wurden in den Jahren 1941 bis 1945 insgesamt rund 14.500 Menschen mit psychischen Erkrankungen bzw. Behinderungen in einer Gaskammer, durch tödliche Injektionen und Medikamente sowie durch vorsätzliche Mangelversorgung ermordet.

In nur acht Monaten fielen zwischen Januar und August 1941 über 10.000 Menschen der »Aktion T4« zum Opfer. Die Menschen wurden in einen als Duschraum getarnten Kellerraum geführt und durch Kohlenmonoxid erstickt. Wenige Meter entfernt befand sich das Krematorium, in dem die Leichen anschließend verbrannt wurden. Im April 1941 sind mindestens 352 Patient*innen aus der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg im Rahmen der »Aktion T4« über die Zwischenanstalt Herborn in die Tötungsanstalt Hadamar verlegt worden. Bislang sind nur zwei Überlebende bekannt.

Nach dem offiziellen Ende der »Aktion T4« ging das Morden in Hadamar verdeckt weiter. Weitere rund 4.500 Menschen wurden im Rahmen der sogenannten »dezentralen Euthanasie« ermordet, hierzu zählten auch jüdische Kinder sowie 1944 Patient*innen ausländischer Herkunft. Auch einzelne Patient*innen aus der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg zählten zu den Opfern dieser zweiten Phase der »Euthanasie«.

Zur Beurkundung sämtlicher Tode wurde in der Tötungsanstalt ein Sonderstandesamt betrieben, das den Angehörigen gefälschte Sterbeurkunden schickte.

Ein Teil des Personals aus der Tötungsanstalt Hadamar wurde nach dem Ende der »Aktion T4« in das deutsch besetzte Generalgouvernement in Polen versetzt, um dort mit ihrem »Expertenwissen« die drei Vernichtungslager Sobibór, Bełżec und Treblinka aufzubauen und zu betreiben. Über 1,8 Millionen Menschen, vor allem Jüdinnen und Juden sowie Sint*izze und Romn*ija, wurden in diesen Lagern der »Aktion Reinhardt« ermordet.

Nach der Befreiung der Anstalt durch amerikanische Soldaten wurden die Verbrechen filmerisch dokumentiert. Die Aufnahmen dienten der Umerziehung der deutschen Bevölkerung. Bereits im Jahr 1945 begann die Strafverfolgung der Täter*innen. Bis 1947 gab es drei Prozesse, in denen die Verbrechen in Hadamar Gegenstand waren (Wiesbadener Prozess, Nürnberger Prozess und Prozess vor dem Frankfurter Landgericht).

Im Jahr 1953 wurde im Eingangsbereich der ehemaligen Tötungsanstalt ein Wandrelief als Erinnerungszeichen angebracht. 1964 wurde der Friedhof mit den Gräbern der zwischen 1942 und 1945 Ermordeten zu einer Gedenkanlage umgestaltet. 1983 wurde in den Kellerräumen eine erste Ausstellung gezeigt. Sie war Impuls für die Gründung einer Gedenkstätte. 1991 wurde in einem Trakt der Klinik eine Dauerausstellung installiert und verstetigte sich zu einem Gedenkstättenbetrieb in Trägerschaft des Hessischen Landeswohlfahrtsamtes. Bis 2025 wird die Gedenkstätte mit Mitteln der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien der Bundesregierung neugestaltet.

Gedenkstele in der Gedenkstätte Hadamar.

ArEGL, Carola Rudnick.

Ehemalige Gaskammer in der Gedenkstätte Hadamar.

ArEGL, Carola Rudnick.

Ehemalige Busgarage in der Gedenkstätte Hadamar.

ArEGL, Carola Rudnick.

Dokumentationszentrum

Die »Euthanasie«-Gedenkstätte Lüneburg errichtet bis Sommer 2025 im ehemaligen Badehaus (Haus 34) und dem angrenzenden Wasserturm der Psychiatrischen Klinik Lüneburg ein Dokumentationszentrum mit neuer Dauerausstellung. Die Gedenkstätte hat dafür Projektmittel vom Bund und dem Land Niedersachsen in Höhe von insgesamt rund 1,3 Millionen Euro eingeworben.

Auf einer Fläche von rund 110 m² werden zukünftige Besucher*innen barrierefrei und nach modernsten Anforderungen des Ausstellungswesens über die verschiedenen Verbrechen informiert, die mit der Lüneburger Heil- und Pflegeanstalt in Verbindung stehen.

Der ehemalige Wasserturm wird baulich einbezogen und zukünftig der Eingang zur Gedenkstätte sein. Von dort gelangen die Besucher*innen in den Ausstellungsraum. Die Konzeption sieht diese Themen vor:

PrologDie heutige Relevanz des Themas »Kinder-Euthanasie« und Mord an nichtdeutschen Patient*innen
R1Was bestimmt die Norm? Wieviel Wert ist ein Wert? – Menschenbilder, Werte und Normen im Stillstand und im Wandel
R2Die Vorgeschichte der »Kinder-Euthanasie« und der »Euthanasie« an Patient*innen ausländischer Herkunft – Ideologische, gesellschaftliche und strukturelle Voraussetzungen
R3Die Ermordung von Kindern und Jugendlichen in »Kinderfachabteilungen«
R4Die Ermordung von Patient*innen in der »Ausländersammelstelle«
R5Kontinuitätslinien und Brüche nach 1945
EpilogKönnen wir aus der Vergangenheit lernen? – Eine inklusive Gesellschaft von morgen

Bis zur Eröffnung des Dokumentationszentrums 2025 wird der Ausstellungsbetrieb ab dem 27. Januar 2023 eingestellt. Die Sonderausstellungen der Gedenkstätte können dann nur noch über den virtuellen Ausstellungsraum www.geschichte-raum-geben.de besucht werden.

Jeden 3. Samstag im Monat von 11.00 bis 14.00 Uhr bietet die Gedenkstätte zudem eine Offene Führung zur Geschichte der Lüneburger Heil- und Pflegeanstalt in Form eines Rundganges über das Gelände an. Treffpunkt ist das ehemalige Badehaus am Wasserturm (Haus 34) und zukünftige Dokumentationszentrum.

Das Projekt »Errichtung eines Dokumentationszentrums mit neuer Dauerausstellung« wird gefördert von der Bundesbeauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten.

Bildungszentrum

Am 30. August 2020 wurde das Bildungszentrum der »Euthanasie«-Gedenkstätte im »Alten Gärtnerhaus« auf dem Gelände der Psychiatrischen Klinik Lüneburg eingeweiht.

Das 1832 errichtete ehemalige Gärtnerwohnhaus bietet auf rund 200 m² in zwei Seminarräumen und einem pädagogischen Archiv Platz für Workshops, ein- bis mehrtägige Seminare, Fortbildungen, Tagungen und Begegnungsprojekte.

Interessierte haben zudem die Möglichkeit, in der Sammlung der Gedenkstätte zu recherchieren.

Im Bildungszentrum führt die Gedenkstätte Bildungsveranstaltungen mit Gruppen bis zu 25 Personen durch (unter Corona-Bedingungen max. 12 bis 15 Personen). Bei Besuchen größerer Gruppen können nach Möglichkeit zusätzliche Räume der Gedenkstätte bzw. der Psychiatrischen Klinik Lüneburg genutzt werden.

Die Räume des Bildungszentrums können für externe Veranstaltungen angemietet werden, sofern die Nutzung mit den Zielen der Gedenkstätte vereinbar und die Räume nicht bereits durch die Gedenkstätte belegt sind.

Bildungszentrum der »Euthanasie«-Gedenkstätte Lüneburg im ehemaligen »Gärtnerhaus«.

ArEGL.

»Euthanasie«-Gedenkstätte Lüneburg

Die »Euthanasie«-Gedenkstätte Lüneburg befindet sich am Ort der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt
Lüneburg, von der ab 1934 Zwangssterilisationen und ab 1941 verschiedene »Euthanasie«-Maßnahmen ausgingen. Die Gedenkstätte informiert über die unheilvolle Geschichte der Lüneburger Heil- und Pflegeanstalt, insbesondere über Rassenhygiene und Eugenik, Geschichte der Pflege und Medizin, Geschichte von Menschen mit Behinderungen, Zwangssterilisation, Kinder- und Jugendlichen-»Euthanasie«, über die »Aktion T4«, »dezentrale Euthanasie« bis in die frühe Nachkriegszeit hinein, sowie über Verantwortung und Täterschaft bzw. die Aufarbeitung der Verbrechen nach 1945.

Neben diesen zeitgeschichtlichen Themen informiert die Gedenkstätte gegenwartsbezogen über Menschenrechte für Kinder, Menschenrechte für Menschen mit einer Behinderung, Leben mit einer psychischen Erkrankung und Behinderung sowie Inklusion.

Historische Orte und Gedenkorte, die mit der Gedenkstätte in Verbindung stehen, sind die Häuser 23, 24 und 25 der heutigen Psychiatrischen Klinik Lüneburg, die Gedenkanlage und die Kriegsgräberstätte auf dem Lüneburger Friedhof Nord-West, Gräber von »Euthanasie«-Opfern auf dem Zentralfriedhof Lüneburg sowie der ehemalige Sitz des Erbgesundheitsgerichtes am Amtsgericht Lüneburg.

Die Gedenkstätte wurde am 25. November 2004 eröffnet. Im September 2015 gründete sich der »Euthanasie«-Gedenkstätte Lüneburg e. V., dessen Mitglieder u. a. die Psychiatrische Klinik, die Geschichtswerkstatt, die Lebenshilfe Lüneburg-Harburg, der Ev.-lutherische Kirchenkreis und die Katholische Kirche Lüneburg sind. Seit August 2022 wird der Betrieb von der gemeinnützigen Bildungs- und Forschungsgesellschaft mbH der »Euthanasie«-Gedenkstätte Lüneburg geführt.

Seit dem 1. September 2015 bis voraussichtlich August 2025 führt die Gedenkstätte das Projekt »Neugestaltung der ›Euthanasie‹-Gedenkstätte Lüneburg« durch. Das Projekt umfasst in zwei Phasen den Ausbau der Gedenkstätte sowie die Einrichtung einer neuen Dauerausstellung. Zwischen 2019 und 2020 wurde mit Mitteln der Psychiatrischen Klinik, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, der Hermann Reemtsma-Stiftung und weiteren neun Geldgeber*innen ein Bildungszentrum errichtet. Zwischen 2022 und 2025 wird ein Dokumentationszentrum fertig gestellt. Letzteres wird von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien der Bundesregierung, der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten sowie aus Mitteln der Psychiatrischen Klinik Lüneburg gefördert.

Die »Euthanasie«-Gedenkstätte Lüneburg im ehemaligen Badehaus am Wasserturm.

ArEGL.

Erinnern und Gedenken

Bereits im Frühjahr 1945 begann die Aufarbeitung der »Euthanasie«-Verbrechen an Orten, die mit der sogenannten »Aktion T4« in Verbindung stehen. Es wurden erste Ermittlungsverfahren eingeleitet und die Strafverfolgung aufgenommen. Grundlage hierfür waren Berichte der alliierten Geheimdienste, die bereits vor Kriegsende über die Tötungen von Patient*innen informiert waren.

An Orten der ehemaligen Tötungsanstalten begann die Suche nach den Leichen, die filmische Dokumentation der Morde an Psychiatrie-Patient*innen wurde Gegenstand der sogenannten »Umerziehung«.

Das erste Erinnern und Gedenken an die Opfer von Zwangssterilisation und Mord fand in den frühen 1950er Jahren statt. In dieser Zeit wurden an Orten der ehemaligen Tötungsanstalten (Bernburg, Brandenburg, Grafeneck, Hadamar, Hartheim und Pirna-Sonnenstein) auch erste Gedenkzeichen installiert. In den 1960er und 1970er Jahren wurden Kriegsgräberstätten dort hergerichtet, wo noch Gräber von Opfern identifiziert werden konnten. Hierbei gingen die Friedhofsämter nachlässig und inkonsequent vor. Die Folge ist, dass viele Gräber von »Euthanasie«-Opfern aufgelöst wurden, entgegen des geltenden Kriegsgräbergesetzes.

Seit den 1980er Jahren wurden an Orten der Tötungsanstalten allmählich Gedenkstätten eingerichtet. Die Gedenkstätte zur Geschichte des ehemaligen Zuchthauses Brandenburg-Göhrden ist als letzte Einrichtung im Jahr 2012 eröffnet worden.

Im Jahr 2014 wurde der Gedenkort für die Opfer der NS-»Euthanasie«-Morde am historischen Ort der Planungszentrale der »Euthanasie«-Morde in der Tiergartenstraße in Berlin eingeweiht.

Seit den 2020er Jahren werden Gedenkorte an Verbrechensorten (neu) eingerichtet, in denen »Kinder-Euthanasie«, »dezentrale Euthanasie« sowie die Ermordung von Patient*innen ausländischer Herkunft praktiziert wurde. Einer dieser Orte ist die »Euthanasie«-Gedenkstätte Lüneburg.