Tötungs-Anstalt und Gedenk-Stätte Pirna-Sonnen-Stein

Die Gedenk-Stätte Pirna-Sonnen-Stein ist ein besonderes Museum.
Es ist in einem Kranken-Haus.
Es ist eine Anstalt.
Es ist die älteste Anstalt in Deutsch-Land.
Sie ist in einem Schloss.

In den Jahren 1940 und 1942 ist es eine Tötungs-Anstalt.
Dort werden über 13 Tausend Menschen ermordet.
Von Ärzten und Pflegern.
In der Zeit des National-Sozialismus.
Die Menschen haben eine Behinderung.
Oder sie haben eine seelische Erkrankung.

Die Menschen werden in einem Keller mit Gas ermordet.
Sie ersticken.
123 sind Patienten aus Lüne-Burg.
Sie sind Opfer des National-Sozialismus.
Keiner über-lebt.

Im Sommer 1941 hört man nicht auf mit Gas zu morden.
Jetzt ermordet man auch Menschen ohne Behinderungen.
Und ohne seelische Erkrankungen.
Man ermordet besondere Gefangene.
Sie sind besonders weil sie un-schuldig sind.
Sie haben kein Verbrechen begangen.
Trotzdem werden sie ein-gesperrt.

Sie sind Gefangene in einem Konzentrations-Lager.
Das ist ein besonderes Gefängnis.
Da sind Menschen verhaftet die die National-Sozialisten nicht mögen.
Zum Beispiel Juden.
Oder Menschen mit einer anderen Meinung als die National-Sozialisten.
Oder Schwule.
Oder Menschen mit einer anderen Sprache und Lebens-Weise.
In dem Konzentrations-Lager müssen die Gefangenen arbeiten.
Bis zur Erschöpfung.
Und sie bekommen nicht genug Essen.
Sie werden krank.
Dann entscheidet ein Arzt:
Der Gefangene muss sterben.
Weil er nicht mehr arbeiten kann.
Und krank ist.

Diese Gefangenen kommen nach Pirna-Sonnen-Stein.
Sie werden mit Gas ermordet.
Genauso wie die Menschen mit Behinderung.
Über 1 Tausend Menschen sterben auf diese Weise.

In der Tötungs-Anstalt gibt es ein spezielles Amt.
Es ist nur dafür da Urkunden zu schreiben.
Über die Ermordeten.
Die Urkunden sind gefälscht.
Darin steht ein falscher Todes-Tag.
Darin steht ein falscher Todes-Grund.
Die Familien der Ermordeten werden belogen.

Die Ärzte und Pfleger morden nicht nur in dem Kranken-Haus.
Sie gehen nach Polen.
Das ist ein Nachbar-Land von Deutsch-Land.
Dort bauen sie Konzentrations-Lager.
Dort werden fast 2 Millionen Menschen ermordet.

Im Jahr 1942 hört der Patienten-Mord in Pirna-Sonnen-Stein auf.
Alle Spuren werden verwischt.
Alles bleibt geheim.

Dann endet der Krieg.
Die Ärzte und Pfleger kommen vor ein Gericht.
2 Ärzte und 2 Pfleger bekommen die Todes-Strafe.

Im Jahr 1989 treffen sich Menschen aus Pirna.
Sie wollen die Geschichte und die Wahrheit wissen.
Im Jahr 1991 gibt es eine Aus-Stellung.
Sie wird im Keller gezeigt.
Es ist der Keller wo der Mord passiert ist.
Im Jahr 2000 gibt es eine neue Aus-Stellung.
Sie ist im Dach-Geschoss im Schloss.
Die Anstalt wird zu einem besonderen Museum.

Das reicht den Menschen in Pirna nicht.
Darum gibt es 16 Tafeln in der Stadt.
Darauf gibt es Informationen zum Patienten-Mord.
Und es gibt bunte Kreuze.
Die Tafeln und die Kreuze führen zur Gedenk-Stätte.

Das ist eine alte Post-Karte.

Sie zeigt den Fluss Elbe.

Und das Kranken-Haus.

Diese Post-Karte hat vor langer Zeit jemand ver-schickt.

Deswegen ist die Post-Karte be-schrieben.

Das ist ein Foto der Gedenk-Stätte.

Das ist ein besonderes Museum.

Das ist ein Foto von heute.

So sieht es dort aus.

Stolper-Steine

An die Opfer des Patienten-Mordes muss erinnert werden.
Das ist wichtig.
Es passiert mit einem Gedenk-Zeichen.
Das ist zum Beispiel eine Gedenk-Tafel.
Es gibt sehr kleine Gedenk-Tafeln.
Sie sind so groß wie ein Bier-Deckel.
Sie sind aus Metall.
Auf ihnen steht der Name des Opfers.
Und der Geburts-Tag.
Und der Todes-Tag.
Und wie er oder sie ermordet wurde.

Diese kleinen Gedenk-Tafeln werden auf einem Geh-Weg verlegt.
Auf dem Fuß-Boden.
Man kann über sie drüber laufen.
Das soll man aber nicht.
Man soll darüber stolpern.
Darum heißen die Gedenk-Tafeln Stolper-Steine.

In Lüne-Burg gibt es viele Stolper-Steine.
Sie erinnern an die Opfer des Patienten-Mordes.

5 Stolper-Steine liegen vor dem besonderen Museum.
Sie erinnern an diese Opfer:

An das Kind Bernhard Filusch.
An das Kind Edeltraud Wölki.
An das Kind Charlotte Regenthal.
An das Kind Dieter Lorenz.
An den Mann Heinrich Biester.

Es gibt aber auch Stolper-Steine in der Innen-Stadt in Lüne-Burg.
Sie erinnern an diese Opfer:

An die Frau Anna Friebe.
An die Frau Therese Schubert.
An den Mann Theodor Jenckel.
An das Kind Mariechen Petersen.
An das Kind Inge Roxin.
An das Kind Jürgen Endewardt.

Bernhard Filusch hat zwei Stolper-Steine.
Einen vor dem besonderen Museum.
Und einen zweiten vor seinem letzten Zuhause.

Für die Opfer des Lüne-Burger Patienten-Mordes gibt es auch wo-anders Stolper-Steine.

Stolper-Stein für Anna Friebe.

2011 gab es vor der Gedenk-Stätte Lüneburg nur drei Stolper-Steine.

2019 sind zwei neue Stolper-Steine vor der Gedenk-Stätte verlegt worden.

Therese Schubert

Therese Schubert, geb. Keck, geboren am 21. April 1887 in Lüneburg, wuchs gemeinsam mit ihren beiden älteren Schwestern Frieda und Christine in gutbürgerlichen Verhältnissen in der Friedenstraße 10 auf. Im Winter 1913/1914 ging sie für einige Monate nach Somerset (USA), um Erfahrungen als Kindergärtnerin zu sammeln. Nach ihrer Rückkehr nahm sie in Hamburg die Ausbildung zur Kindergärtnerin auf. Zur selben Zeit lernte sie ihren zukünftigen Ehemann Heinrich Schubert kennen, der in Lüneburg ein angesehener Stadtbaumeister war. Am 21. September 1920 heirateten Therese und Heinrich Schubert. Aus der Ehe gingen zwei Söhne hervor, Jürgen und Theo.

1926 verstarb Heinrich Schubert plötzlich. Er war in der Ilmenau ertrunken. Therese Schubert verkraftete den Tod ihres Ehemannes nicht und entwickelte schwere Depressionen. Nach erfolgloser Behandlung durch den Hamburger Nervenarzt Max Nonne und anschließender Unterbringung im Ginsterhof bei Hamburg, kehrte sie zu ihren Schwestern zurück, die inzwischen das Haus in der Schillerstraße 5 in Lüneburg bewohnten. Da sich Therese Schuberts Gesundheitszustand jedoch nicht besserte, wurde sie am 24. November 1932 in die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg aufgenommen. Die Diagnose des Amtsarztes lautete »Jugendliches Irresein«.

Der Kontakt zu ihren Söhnen Jürgen und Theo, die inzwischen dauerhaft bei Thereses Schwester Christine Keck lebten, brach ab. Zwar brachte Theo Kleidung und zusätzliche Lebensmittel in die Heil- und Pflegeanstalt, er gab sie jedoch beim Pförtner ab, ohne seine Mutter zu besuchen. Er fürchtete sich vor einer Begegnung mit seiner erkrankten Mutter. Am 9. April 1941 wurde Therese Schubert in die Zwischenanstalt Herborn verlegt und von dort weiter in die Tötungsanstalt nach Hadamar deportiert. Am 28. Mai 1941 wurde sie im Rahmen der »Aktion T4« ermordet.

Ihre Schwestern und die inzwischen erwachsenen Söhne erhielten die Nachricht, Therese sei an einer Lungenentzündung verstorben. Dies bezweifelten die Angehörigen. Die Familie ließ die Urne mit der angeblichen Asche von Therese Schubert nach Lüneburg überführen und setzte sie neben dem Grab ihres Ehemannes bei. Gegen eine Auflösung der Grabstätte nach abgelaufener Ruhezeit wehrte sich Theo Schubert erfolgreich. 2014 setzte die Friedhofsverwaltung die Ruhestätte von Therese und Heinrich Schubert auf die Liste historischer Gräber, sodass sie dauerhaft erhalten bleibt. 2022 wurde eine Gedenktafel ergänzt, die über ihre Geschichte informiert.

Ein Stolperstein in der Schillerstraße 5 erinnert an Therese Schubert, geboren am 21. April 1887, ermordet am 28. Mai 1941.

Therese Keck (rechts stehend) im Jahr 1914 zusammen mit Mitschülerinnen im Hamburger »Fröbel«-Seminar für angehende Erzieherinnen.

Privatbesitz Ulrike Haus.

Das Hochzeitsfoto von Heinrich und Therese Schubert, geb. Keck, vom 21.9.1920.

Privatbesitz Ulrike Haus.

Jürgen und Theo Schubert im Jahr 1932. Thereses Schwester, Christine Keck, schickte Theo nach ihrer Wiederaufnahme in
Lüneburg im Jahr 1936 häufiger in die Anstalt, um der Mutter Apfelsinen und Kuchen zu bringen. Aus Angst gab Theo die
Sachen beim Pförtner ab und sah seine Mutter deshalb nie wieder.

Privatbesitz Ulrike Haus.

Durch einen Zufall ist die Krankenakte aus der Zeit in Uelsby im sich noch heute im Familienbesitz befindenden Sanatorium »Dr. Schulze« auf einem Dachboden erhalten geblieben. In der Akte befindet sich die Abschrift des Kreisärztlichen Gutachtens, in dem Therese Schuberts Situation beschrieben wird.

Archiv der »Euthanasie«-Gedenkstätte Lüneburg.

Frieda Maack und Christine Keck ließen die Urne ihrer Schwester Therese Schubert nach Lüneburg überführen. Sie wurde im Grab ihres Ehemannes Heinrich Schubert beigesetzt.

Das Sterbedatum auf dem Grabstein ist der Tag, den die Familie offiziell mitgeteilt bekam. In Wirklichkeit starb Therese Schubert am 28. Mai 1941. Ihr Sohn Theo Schubert pflegte das Grab bis ins hohe Alter. Der Tod seiner Frau im Jahr 2012 war für ihn und Thereses Enkelkinder Anlass, gemeinsam das ungeklärte Schicksal der Mutter bzw. Großmutter zu klären.

Das Grab befindet sich auf dem Lüneburger Zentralfriedhof und bleibt durch einen Aktenvermerk im Friedhofsamt Lüneburg als anerkanntes Grab eines Opfers von Krieg und Gewaltherrschaft dauerhaft erhalten.

Heinrich Biester

Heinrich Biester wurde am 27. März 1901 in Hannover-List geboren. Er hatte fünf Geschwister. Nach dem Abitur machte er zunächst eine Ausbildung, sammelte in verschiedenen Agrar-Betrieben Berufserfahrung und fing an in Göttingen Landwirtschaft zu studieren, um später den Hof der Familie übernehmen zu können. 1924 wandte er sich davon ab. Er entschied, Musik und Gesang zu studieren, unter anderem in Wien. Dort erkrankte er psychisch und kehrte auch deshalb Weihnachten 1926 in sein Elternhaus nach Hannover-List zurück.

Da sich sein Gesundheitszustand nicht besserte, wurde er am 29. März 1927 in der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg aufgenommen. Sein Onkel, Pastor Heinrich Mund Senior, war dort seit 1906 Anstaltsseelsorger und übernahm fortan Heinrichs Fürsorge. Als zwei Tage nach der Aufnahme Heinrich Biesters Mutter Adolphine Biester verstarb, isolierte er sich noch mehr. 1938 versuchte er sogar, sich selbst zu töten. Obwohl sein Gesundheitszustand auch in den Folgejahren unverändert blieb, begleitete er die Gottesdienste seines Onkels mit Geige und Gesang.

Am 23. April 1941 wurde Heinrich Biester in die Zwischenanstalt Herborn und von dort am 21. Mai 1941 in die Tötungsanstalt Hadamar verlegt. Sein Onkel Heinrich Mund erfuhr eine Woche nach der Verlegung, dass sein Neffe zu den Deportierten gehörte. Der Ärztliche Direktor Max Bräuner beruhigte ihn jedoch mit den Worten, die Verlegung stehe im Zusammenhang mit der Ankunft von 475 Patientinnen und Patienten aus Hamburg, für die Betten in der Anstalt benötigt würden. Obwohl Pastor Mund dennoch befürchtete, dass Heinrich Biester Opfer der »Euthanasie« werden könnte, unterblieb ein Rettungsversuch.

Am 12. Juni 1941 erhielt die Familie von Heinrich Biester und somit auch Pastor Mund die Sterbemitteilung. Die offizielle Todesursache lautete »perforiertes Magengeschwür und Bauchfellentzündung«. Tatsächlich wurde Heinrich Biester im Rahmen der »Aktion T4« ermordet. Davon ging nun auch die Familie aus. Neben Empörung empfand Pastor Mund den Tod seines Schützlings zugleich als »Erlösung«.

2019 wurde Heinrich Biester vor dem ehemaligen Badehaus am Wasserturm auf dem Gelände der Psychiatrischen Klinik Lüneburg ein Stolperstein verlegt.

Foto von Heinrich Biester aus seinem am 13. April 1926 ausgestellten Reisepass.

Privatbesitz Heide Biester.

Gruppenfoto der Familie Biester, ca. 1908. Heinrich Biester ist der Dritte von rechts.

Privatbesitz Christiane Riechers.

Der Trostbrief, den die Familie Biester aus Anlass von Heinrichs Tod erhalten hat. Ausgestellt wurde der Brief am 12. Juni 1941 von der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Hadamar.

Privatbesitz Christiane Riechers.

Edeltraud Wölki

Edeltraud Wölki wurde am 4. September 1937 in Bochum geboren. Sie ist eines der wenigen Kinder, deren Ermordung durch eine Zeugenaussage bewiesen ist. Im Jahre 1963 kam es zu einer Befragung der Pflegerin Dora Vollbrecht, die damals in der »Kinderfachabteilung« in Haus 25 arbeitete. Sie gestand, Edeltraud eine tödliche Dosis Luminal verabreicht zu haben, obwohl ihr das Kind sympathisch gewesen sei: »[…] Die kleine Edeltraud Wölki war ein besonderer Liebling von mir. Sie sah wirklich niedlich aus. Es handelte sich aber um ein tiefstehendes Kind, das taubstumm war. Dieser Fall ist mir sehr ans Herz gegangen. Ich weiß noch, dass ich am ganzen Körper gezittert habe, als ich dem Kind die tödliche Dosis verabfolgen musste. […]«

Vor ihrer Ermordung hatte Edeltraud bereits eine Odyssee hinter sich. Im ersten Lebensjahr gab ihre Mutter sie in eine Heimpflege nach Hermannsburg im Landkreis Celle. Wegen Verdachts auf Taubstummheit wurde Edeltraud zwei Jahre später in die Rotenburger Anstalten der Inneren Mission eingewiesen. Am 9. und 10. Oktober 1941 wurden 138 Kinder von den Rotenburger Anstalten in die »Kinderfachabteilung« Lüneburg verlegt.

Mit über 18 Monaten dauerte Edeltrauds Aufenthalt im Verhältnis zu dem vieler anderer Kinder überdurchschnittlich lange. Sie starb am 7. Mai 1943 im Alter von fünf Jahren. Die eingetragene Todesursache lautete »linksseitige Rippenfell- und Lungenentzündung«. Weder die damaligen Ärzte noch die Pflegerin Dora Vollbrecht wurden für Edeltraud Wölkis Ermordung strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Edeltraud wurde am 11. Mai 1943 auf dem Anstaltsfriedhof der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg mit der Grabnummer 107a bestattet.

2005 wurde ihr vor dem ehemaligen Badehaus am Wasserturm ein Stolperstein verlegt. Es ist der erste Stolperstein für ein »Euthanasie«-Opfer in Lüneburg.

Dieter Lorenz

Dieter Lorenz wurde am 26. Februar 1942 in Eindhoven in den Niederlanden geboren. Er hatte zwei ältere Brüder, Rolf und Helmut. Der Vater, Erich Lorenz, wurde aufgrund seiner deutschen Staatsbürgerschaft 1944 zum Wehrdienst eingezogen. Die Mutter, Anna Lorenz, von Beruf Apothekerin, musste fortan alleine das Werkzeuggeschäft ihres Mannes weiterführen. Dieter hatte infolge einer Hirnhautentzündung eine Entwicklungsverzögerung. Da die Mutter sich aufgrund ihrer neuen Aufgaben im Geschäft zunächst nicht mehr genügend um ihn kümmern konnte, kam Dieter vorübergehend in ein Kinderheim.

Das Heim wurde ohne Mitteilung an die Eltern am 5. September 1944 evakuiert. Dieter Lorenz kam mit einem für die Flüchtlinge der Westfront eingesetzten Sonderzug über die Zwischenstationen Solingen und Hannover nach Lüneburg. Dort brachte man ihn in einem Auffanglager für unbegleitete Flüchtlingskinder in der Lüneburger »Hasenburg« unter. Eine Schwester der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), die die Kinder betreute, gab an, dass Dieter behindert sei, sodass er am 28. November 1944 in die »Kinderfachabteilung« Lüneburg eingewiesen wurde.

Die Eltern suchten Dieter, und obwohl die Gauleitung bereits am 2. Dezember 1944 wusste, dass sich der Zweieinhalbjährige inzwischen in der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg befand, wurden die Eltern darüber nicht informiert. Dieter wurde kaum zwei Wochen nach seiner Ankunft in der »Kinderfachabteilung« ermordet, weil die Stadt Lüneburg sich nicht rechtzeitig dazu entschließen konnte, den Aufenthalt des angeblich elternlosen Kindes zu bezahlen. Dieters offizielle Todesursache lautete Lungen- und Rippenfellentzündung. Erst am 22. Februar 1945 erhielt Anna Lorenz die Nachricht, dass ein Kind namens Dieter Lorenz am 14. Dezember 1944 in der Lüneburger Heil- und Pflegeanstalt gestorben sei. Diese Nachricht beendete die verzweifelte Suche der Eltern nach ihrem Kind.

Die Familie Lorenz wanderte 1952 nach Kanada aus. Beide Söhne erfuhren nichts vom Schicksal des Bruders. Da Dieter Lorenz als niederländisches Flüchtlingskind galt, setzte die Friedhofsverwaltung sein Grab Anfang der 1950er Jahre auf die Kriegsgräber-Liste. Es existiert bis heute auf dem Friedhof Nord-West.

Dieters Bruder Helmut (Hank) und ein Großcousin nahmen nach vielen Jahrzehnten die Suche nach Dieter wieder auf. Sie erfuhren erst 2014 von den Todesumständen und von der Existenz des Grabes.
2019 wurde für Dieter auf Wunsch des Bruders vor dem ehemaligen Badehaus auf dem Gelände der Psychiatrischen Klinik Lüneburg ein Stolperstein verlegt.

Rolf, Dieter und Helmut Lorenz in Eindhoven, ca. Frühjahr 1943. Die Jungs schoben ihren kleinen Bruder immer in einem Wägelchen durch die Nachbarschaft.

Privatbesitz Helmut Lorenz.

Familienfoto mit Dieter, Rolf und Helmut Lorenz (Vordergrund von links nach rechts), Aenne und Erich Lorenz dahinter und ganz hinten Heinrich Wilhelm Vennemann, Dieters Großvater, ca. Herbst 1942.

Privatbesitz Helmut Lorenz.

Charlotte Regenthal

Am 13. Dezember 1939 wurde Charlotte Regenthal in Wunstorf bei Neustadt am Rübenberge geboren. Ihre Eltern waren Lotte Regenthal, geborene Ritter, und Flugzeugklempner Walter Regenthal. Im Alter von zwei Jahren wurde bei ihr »Idiotie bei Littlescher Krankheit« diagnostiziert. Die Eltern hatten bereits kurz nach der Geburt bemerkt, dass Charlotte eine Behinderung zu haben schien. Deshalb waren sie der Meldepflicht beim Gesundheitsamt Neustadt nachgekommen, die seit dem 18. August 1939 bestand. Laut Diagnose war es Charlotte unmöglich »zu stehen, zu laufen und ein Wort zu sprechen«.

Das Gesundheitsamt Neustadt veranlasste mit Gutachten vom 16. September 1942 die Aufnahme in die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg. Um die Anstaltskosten vom »Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden« finanzieren zu lassen, wurde Charlotte am 30. Oktober 1942 auch dort gemeldet. Charlotte wurde im Alter von fast drei Jahren am 11. November 1942 von ihrer Mutter »in einer Kinderkarre liegend« in die Anstalt gebracht. Am 20. November 1942 bewilligte der »Reichsausschuss« die Kostenübernahme für eine Dauer von vier Wochen.

Der behandelnde Arzt vermerkte mehrmals in Charlottes Patientenakte, dass »keinerlei Änderung und Besserung« bei Charlotte zu erwarten sei. Einen Tag vor ihrem dritten Geburtstag, am 12. Dezember 1942 erkrankte sie plötzlich an hohem Fieber. Es bestand der Verdacht auf eine »Diphtherie«-Erkrankung, die durch einen Laborbefund vom 14. Dezember 1942 bestätigt wurde. Fünf Tage später starb Charlotte Regenthal. Die offizielle Todesursache lautete »Diphtherie«. Sie starb an dem Tag, an dem die Kostenübernahme durch den »Reichsausschuss« endete.

Durch die Initiative ihres acht Jahre jüngeren Bruders Gerhard Regenthal wurde 2009 auf dem Psychiatriegelände vor der Gedenkstätte im ehemaligen Badehaus ein Stolperstein in Erinnerung an Charlotte Regenthal verlegt. In diesem Zusammenhang wurden die Hintergründe ihres Anstaltsaufenthaltes erstmals dokumentiert. Zehn Jahre später wurde ihr Fall erneut untersucht. Durch eine Neubewertung der Akten ist aus heutiger Sicht unklar, ob Charlotte ein Opfer der »Kinder-Euthanasie« ist. Auch eine absichtsvolle Infizierung mit Diphtherie-Bazillen in der »Kinderfachabteilung« ist nicht ausgeschlossen.

Der Stolperstein erinnert an Charlotte Regenthal, geboren am 13. Dezember 1939, gestorben am 19. Dezember 1942.

Charlotte Regenthal, ca. 1942.

Privatbesitz Gerhard Regenthal.

Sterbeurkunde Charlotte Regenthal.

Privatbesitz Gerhard Regenthal.