Maria Czaja

Maria Czaja wurde am 18. Januar 1891 in Sierakowitz in Polen geboren. Wie sie nach Deutschland gekommen ist, kann nicht geklärt werden. Bereits lange vor Kriegsausbruch war sie Patientin in der Landes- Heil- und Pflegeanstalt Wunstorf. Ihre dortige Krankenakte ist die einzige erhaltene Unterlage über sie. Aus den Einträgen auf der Charakteristik ist zu erfahren, dass Maria Czaja seit einer Magenoperation im Jahr 1923 in einem Altersheim in Twistringen, heute Landkreis Diepholz, untergebracht war. Vier Jahre später wurde sie als Invalidin anerkannt.

Weil sie 1938, also nach 15 Jahren Heimaufenthalt, zunehmend Wutanfälle und »masslosen Jähzorn« zeigte, kam sie von dort vorübergehend in das Krankenhaus Twistringen. Da sie keinerlei Symptome einer schweren psychischen Krankheit, etwa einer Schizophrenie zeigte, empfahl der Amtsarzt zunächst die Unterbringung in einem anderen Heim. Maria Czaja weigerte sich. »Da sie tagtäglich in dem Krankenhaus Twistringen und dem angeschlossenen Altersheim wüste Scenen macht und den Frieden des Krankenhauses immer wieder stört« und weil die Verlegung in ein anderes Altersheim an »der abartigen Persönlichkeit der Czaja scheitern« würde, wurde sie am 19. August 1938 in die Anstalt Wunstorf eingewiesen. Weil der Amtsarzt auch diesbezüglich mit Widerstand rechnete, schlug er zugleich die Prüfung ihrer Entmündigung vor. Maria Czaja erhielt vom Amtsarzt die Diagnose »explosive, asoziale Psychopathin«. Sie leide unter einer Persönlichkeitsstörung. Ein beigefügter Vermerk bezüglich des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, das seit dem Januar 1934 die Zwangssterilisation von Menschen gesetzlich regelte, wies Maria Czaja zugleich als »nicht erbkrank« im Sinne des Erbgesundheitsgesetzes aus. In Wunstorf stellte man zudem fest, dass Maria Czaja an den Folgen einer Syphilis leide, einer »Gehirnerweichung«.

Am 30. September 1941 wurde sie von Wunstorf in die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg verlegt.
Aus ihrer Zeit dort ist keine Akte erhalten. Sie starb laut Sterberegisterauszug des Standesamtes Lüneburg am 30. März 1943 im Alter von 52 Jahren. Die offizielle Todesursache lautete »Bauchfelltuberkulose« mit damit zusammenhängender Rippenfellentzündung. Mit Tuberkulose muss sie sich während ihres Anstaltsaufenthaltes in Lüneburg infiziert haben.

Maria Pozarenko

Maria Pozarenko wurde 1919 in Russland geboren. Nähere Informationen zu ihrem genauen Geburtstag oder dem Geburtsort sind der überlieferten Krankenakte nicht zu entnehmen. Sie war in Offensen bei Celle als zivile Zwangsarbeiterin in der Landwirtschaft eingesetzt. Sie wurde in Celle in Polizeigewahrsam genommen und dort von einem Amtsarzt begutachtet. Dieser kam am 10. Oktober 1942 zu dem Ergebnis, dass Maria Pozarenko unter »Jugendirrsein« leide und deshalb sofort in die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg überführt werden müsse. Noch am gleichen Tag wurde sie von einem Polizeiwachtmeister und einer Begleiterin mit dem Zug nach Lüneburg gebracht. »Sie soll unterwegs schwierig gewesen sein, sodass es mehrfach zu Rangeleien gekommen ist«, notierte der aufnehmende Arzt. Maria Pozarenko habe unordentlich ausgesehen, an allen Stellen habe sie Ungeziefer gehabt. Sie machte also vor allem einen verwahrlosten Eindruck. Da eine sprachliche Verständigung nicht möglich war, belief sich die Eingangsuntersuchung auf eine reine Beobachtung ohne Berücksichtigung von Hintergründen ihres unruhigen und störrischen Verhaltens.

Zwei Tage später verweigerte Maria Pozarenko die Nahrungsaufnahme und behielt auch kein Getränk bei sich. Erst am 24. Oktober 1942 wurde sie mit der Sonde ernährt, hielt der Leiter der Ausländersammelstelle Dr. Redepenning in ihrer Akte fest. Ihr festgestellter Kräfteverfall ließ sich nicht aufhalten, sie starb noch am selben Tag im Alter von etwa 23 Jahren. Redepenning diagnostizierte eine »abnorme Reaktion« und gab bei der Todesursache »hochgradige Erregung und Nahrungsverweigerung« sowie »Herzmuskelentartung« an. Da keine Herzuntersuchung dokumentiert ist, ist eher davon auszugehen, dass sie unter der Aufsicht von Redepenning verhungert ist.

Maria Swachowna

Maria Swachowna wurde am 8. Mai 1914 in der Stadt Terespol in Polen geboren. Sie starb am 4. Januar 1944. Sie kam vollkommen verwahrlost in die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg. Wie es zu dieser Verwahrlosung kam – sie hatte Kopfläuse, ihre Kleidung war stark verschmutzt und musste aufgeschnitten werden –, kann man aus der Krankenakte nicht schließen. Der Hausarzt aus Scheeßel, Dr. Rotermund, notierte lediglich, Maria Swachowna sei geisteskrank. Er kam daher zu dem Schluss: »Für landwirtschaftliche Arbeiten ist sie untauglich.« Der Amtsarzt Dr. Könighaus, der die Einweisung nach Lüneburg veranlasste, erkundigte sich bei ihrem »Arbeitgeber« Hinrich Dreyer aus Ostervesede nach ihr und erfuhr, Maria Swachowna sei seit einigen Tagen unruhig und schmutze sich ein, nehme auch keine Nahrung zu sich. Nach Gründen hierfür wurde nicht weiter gefragt, jedenfalls fehlen sie in der Akte.

Bei ihrer Aufnahme wog sie bei einer Größe von 1,60 m nur 50 kg. Die Hände seien von der Arbeit aufgerissen gewesen. Obwohl sie in einem erbärmlichen Zustand in Haus 22 aufgenommen wurde, erfolgte der erste Eintrag nach der Aufnahme erst einen Tag vor ihrem Tod: »Bleibt im Bett liegen wie sie hingelegt wird. Muß ganz versorgt werden. […] Wird nach Haus 26 unten verlegt. Wirkt sehr elend. […]«. Obwohl sie Fieber hatte, notierte man keine Temperatur. Auch andere Maßnahmen, ihr Leben zu retten, sind nicht in der Akte zu finden. Am nächsten Tag wurde eingetragen: »Gestorben. Grundleiden: Geistesstörung mit Todesursache: Nahrungsverweigerung.« Sie wurde 39 Jahre alt.

Marie Pawlus

Marie Pawlus wurde am 15. Mai 1925 in Nesterow in Russland geboren. Bei ihrer Ankunft in der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg wog die Zwanzigjährige bei einer Größe von 1,60 m nur 41 kg. Sie weigerte sich ihren Namen zu sagen, und nur mit Hilfe russischer Mitpatientinnen sowie eines Dolmetschers wurden wenige Informationen zutage gefördert. Sie habe angegeben, 27 Jahre alt und seit drei Monaten in Deutschland zu sein. Ihre Eltern seien tot und sie habe bei einem Bauern gearbeitet. Sie habe zwei Brüder und drei Schwestern in der Ukraine. Sie gab bei der Befragung auch an, dass sie zur Schule gegangen sei und deshalb ein wenig lesen und schreiben könne.

Im Aufnahmeformular ist notiert, dass sie bei einem Herrn Bernhard Meyer aus Garrel (in der Nähe von Cloppenburg) als Ostarbeiterin beschäftigt war. Dort hatte das Arbeitsamt Vechta, von dem Marie Pawlus‘ Verlegung nach Lüneburg initiiert wurde, fälschlicherweise auch angegeben, sie sei 1912 geboren. Man hatte sich an den Eintragungen in Wehnen orientiert. In Wehnen war sie vom St. Elisabeth-Stift in Lastrup – wo sie sich vorübergehend befand – wegen Erregungszuständen, Desorientiertheit, Gewalttätigkeit und angeblichen Stimmenhörens am 6. Mai 1944 in die Heil- und Pflegeanstalt Oldenburg in Wehnen überwiesen worden. Dort sei sie dann »maßlos verkommen und verdreckt. Voller Ungeziefer« angekommen. Obwohl unter Hinzuziehung eines Dolmetschers auch dort schon nichts von ihr zu erfahren war, attestierte man ihr »Sinnestäuschungen und Wahnvorstellungen«. Weil sie sich nicht wusch, erregt und unruhig blieb bzw. »alle Arbeitsversuche fehlgeschlagen« waren, überwies man sie schließlich von Wehnen nach Lüneburg.

Die Lüneburger Ärzte stellten die Verdachtsdiagnose einer »katatonen Schizophrenie«. Des Weiteren stellte man fest, sie sei »ein blaßes Mädchen in schlechtem Kräftezustand.« Man brachte sie nach Haus 16. Dort erholte sie sich kaum. Ein Versuch, sie in der Schälküche zu beschäftigen, misslang. Sie sei dort nicht zu gebrauchen gewesen. Sie blieb »unbeschäftigt«. Im Oktober 1945 hieß es zudem: »Spricht nicht, interessenlos, zeitweise abwesend.« Im Dezember 1945, nach einem Jahr Aufenthalt in Lüneburg, stellten die Ärzte fest, sie sehe »auffallend schlecht aus«. Gustav Marx notierte am 14. Dezember 1945 »P. ist sehr elend, blaß, abgemagert« und ordnete deswegen eine aufbauende »Diät« an. Zwei Wochen später starb Marie Pawlus. Die offizielle Todesursache lautete Lungentuberkulose, die 16 Tage zuvor diagnostiziert worden war.

Mathilde Übergs

Mathilde Übergs wurde am 30. November 1896 in Riga in Lettland geboren. Kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs kam sie für drei Tage in das Kreiskrankenhaus Soltau. Dort wurde sie am 19. Mai 1945 von einem Amtsarzt begutachtet. Der schrieb in seinem Gutachten, Mathilde Übergs sei wie versteinert, habe eine psychomotorische Unruhe und eine »Sperrung der Willenstätigkeit«. Auch behauptete er, es sei »mit plötzlichen Gewalttätigkeiten bei Durchbrechung des Stupors [totale Bewegungsunfähigkeit trotz vollen Bewusstseins, »Versteinerung«] zu rechnen« und empfahl eine sofortige Unterbringung in der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg. Noch am gleichen Tag kam sie in Lüneburg an und wurde in Haus 22 der Anstalt untergebracht.

Sie war mit der Einweisung nicht einverstanden und trommelte nachts gegen ihre Zimmertür. Am nächsten Tag erhielt sie Elektroschockbehandlungen. Am zweiten Tag ist vermerkt, sie krieche am Boden umher und sei sehr laut. Am 9. Juni 1945 wird erstmals vermerkt, dass eine Verständigung schwierig sei, da sie Lettisch spreche. Vorher hatte man sich offenbar noch nicht bemüht, ein Gespräch mit ihr zu führen.

Nach einigen Monaten schien sich Mathilde Übergs mit dem Leben in der Anstalt arrangiert zu haben. Sie beschäftigte sich mit Flickarbeiten, schien ruhig, geordnet und »sehr fleißig«. Danach verschlechterte sich ihr Zustand. Ab Februar 1946 nahm sie kaum noch Nahrung und Flüssigkeit zu sich. Sie erhielt flüssige Nahrung und Kochsalzlösung und zur Beruhigung das Medikament Luminal. Ab Juni 1946 war sie bettlägerig. Am 14. Dezember wurde notiert, sie sei körperlich sehr zurückgegangen. Am 22. Dezember 1946 starb Mathilde Übergs mit 50 Jahren. Die offizielle Todesursache lautete »mangelnde Nahrungsauswertung«.

Nadja Selanska

Nadja Selanska war wahrscheinlich erst 18 Jahre alt, als sie mit dem PKW von Rötgesbüttel im Kreis Gifhorn, wo sie bei dem Bauern Reincke als landwirtschaftliche Gehilfin arbeitete, in die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg gebracht wurde. Davor war sie einige Tage im Krankenhaus der Stadt des KdF-Wagens (heute Wolfsburg), sodass die Einweisung in eine Anstalt auf Veranlassung des leitenden Betriebsarztes des Volkswagenwerkes Körbel, vertreten durch Dr. Laubert, erfolgte. Das war am 18. Januar 1944. Noch am selben Tag wurde sie in die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg gebracht und in Haus 22 aufgenommen. Sie machte dort einen verwirrten und unruhigen Eindruck, der sich erst nach einer Elektroschockbehandlung allmählich besserte, sodass sie befragt werden konnte.

Selten finden sich in den Krankengeschichten der ausländischen Patient*innen Angaben zur familiären Herkunft und zur Zwangsarbeit. Bei Nadja Selanska ist das anders. Der behandelnde Arzt, dessen Schrift weder Gustav Marx noch Rudolf Redepenning zugeordnet werden kann, war interessiert genug und beauftragte einen Dolmetscher, sie zu befragen. So erfuhr er – und das findet auch Eingang in die Akte – dass Selanskas Wirtin nicht gut zu ihr gewesen sei, dass sie nach Deutschland gebracht worden sei und dass sie zwei Brüder und eine Schwester habe. Diese Angaben sind vom 31. Januar 1944.

Am 2. Februar wurde notiert, sie trete in ihrem Einzelzimmer gegen das Fenster, bis sich Schrauben lockerten, am 18. Februar folgte ein Eintrag von Redepenning: »20h30‘ gestorben.« Die Todesursache lautete »Erschöpfung durch Erregungszustand bei Schizophrenie«. Es ist der einzige Eintrag von Redepenning in der Akte von Nadja Selanska.

Olga Korsch

Olga Korsch kam am 25. Februar 1944 im Alter von 33 Jahren in die Heil- und Pflegeanstalt Oldenburg in Wehnen. Sie wurde am 15. Juli 1910 entweder in einem ukrainischen Dorf oder in der Stadt Kiew geboren. Die Angaben in der Krankengeschichte und im Sterberegister weichen diesbezüglich voneinander ab. Sie war Ostarbeiterin. Bei wem sie beschäftigt war, geht aus der Krankenakte nicht hervor, nur dass die Arbeitsstätte bei oder in Delmenhorst gewesen sein muss. Der sie einweisende Delmenhorster Arzt Dr. Kuhlmann begründete ihre Aufnahme in die Anstalt mit Platzmangel im Städtischen Klinikum. In Wehnen angekommen wurde Schizophrenie diagnostiziert, vor allem, weil Olga Korsch während ihres Aufenthaltes sehr unruhig blieb.

An ihrem 34. Geburtstag notierte der behandelnde Arzt: »Weitgehend körperlicher Verfall, infolge seit Monaten bestehenden schweren Erregungszuständen.« Ihr körperlicher Verfall wird vor allem aber auch mit mangelhafter Ernährung in Verbindung zu bringen sein. Bei der Aufnahme in die »Ausländersammelstelle« in Lüneburg wog die 1,76 m große Olga Korsch nur 50 kg und war damit deutlich unterernährt. Im Unterschied zu den Kollegen in Wehnen diagnostizierte man in Lüneburg keine Schizophrenie, sondern »periodische Manie«. Auch gelang es dem behandelnden Arzt in einem Gespräch mit einem Dolmetscher, persönliche Informationen über Olga zu erhalten.

Bei ihrer Aufnahme berichtete Olga Korsch, dass sie verheiratet sei und eine fünfjährige Tochter habe, die bei der Großmutter lebe. Sie sei zwei Jahre zur Schule gegangen, könne daher lesen und schreiben und habe zu Hause in einer Fabrik gearbeitet. Am 12. Januar 1945 wurde eingetragen, dass Olga Korsch in der Schälküche arbeite und keine Schwierigkeiten mache. Auch Anfang April 1945 blieb ihr Zustand stabil, sie sei sogar »Ganz guter Stimmung.«

Weil Olga Korsch im Grunde keine Auffälligkeiten mehr zeigte und nicht mehr krank schien, wurde sie sogar bei der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) in der Schule II in Lüneburg als Helferin »in Stellung gebracht«. Sie erhielt also außerhalb der Anstalt bei der Wohlfahrtsorganisation der NSDAP Arbeit als Flüchtlingshelferin. Damit sie dieser Aufgabe nachkommen konnte, wurde sie drei Wochen von der Station »beurlaubt«.

Am 28. April 1945, inzwischen hatten britische Truppen Lüneburg eingenommen, wurde sie von einer britischen Stabshelferin mit dem Auto zurück in die Anstalt gebracht und vor Haus 17 abgesetzt. Die Rückkehr in die Anstalt habe Olga Korsch mit Sehnsucht nach der Schälküche und Appetitlosigkeit außerhalb der Anstalt begründet. Am 1. Mai 1945 nahm sie daraufhin ihre Arbeit in der Schälküche wieder auf. Danach ging es ihr gesundheitlich wieder schlechter. Fast ein ganzes Jahr lang litt sie unter einer Manie.

Erst im April 1946 stabilisierte sich ihr Zustand kurzzeitig, es folgte eine lange Phase, in der sie jeglichen Kontakt ablehnte. Ende September 1946 wurde das erste Mal ein heftiger Husten in der Krankenakte vermerkt. Am 20. Oktober 1946 bestätigte sich, dass sie sich mit Tuberkulose angesteckt hatte. Auch war sie wohl wieder stark abgemagert. In den ersten Monaten des Jahres 1947 litt sie dann unter Fieberschüben, die erst im April nachließen. Im Juli 1947 war sie wieder »stets heiterer Stimmung, immer freundlich und höflich. Sehr hilfsbereit« und beschäftigte sich mit Näharbeiten. Im Juli und September 1947 konnten auch keine Tuberkelbakterien mehr nachgewiesen werden.

Ab Dezember 1947 verschlechterte sich ihr psychischer Zustand jedoch wieder. Sie griff Mitpatientinnen an, verteilte Ohrfeigen, warf mit Gegenständen um sich. Ab Mai 1948 wurde auch ihr körperlicher Zustand schlechter. »Allg.[emeiner] Zustand in den letzten Wochen stark reduziert. P.[atient] ist recht hinfällig geworden, sieht sehr blaß aus. Temperatur fast dauernd erhöht, oft hochfiebrig«, notierte der Arzt Ende August 1948. Am 26. Dezember 1948 findet sich der Eintrag: »zunehmender Schwächezustand und Abmagerung. […] Herzinsuffizienz. Sehr kurzatmig. Geringe Nahrungsaufnahme.« Drei Tage später starb Olga Korsch im Alter von 38 Jahren. Die offizielle Todesursache lautete »doppelseitige Lungentbc.«

Pawel Iwanoff

Pawel Iwanoff kam bereits 1923 als Insasse eines russischen Heimkehrerlagers in Scheuen bei Celle als Patient in die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg. Er wurde am 12. Dezember 1894 in Petersburg in Russland geboren und war im Ersten Weltkrieg Soldat in der russischen Armee. Auf dem »Charakteristikbogen« in seiner Krankenakte ist zudem vermerkt, er sei aus Ostsibirien und »Chinese«.

Er wurde am 5. September 1923 im Alter von 29 Jahren in Lüneburg aufgenommen, weil er Wahrnehmungsstörungen hatte. Man diagnostizierte eine »Dementia praecox«, also Schizophrenie. Er blieb bis zu seinem Tod am 20. Januar 1945 in der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg Patient und wurde im Unterschied zu anderen Patient*innen mit gleichlautender Diagnose und ausländischer Herkunft nie im Rahmen der »Aktion T4« deportiert.

In seiner Krankengeschichte ist beschrieben, dass er viele Zigaretten rauchte, wenig Kontakt zu anderen aufnahm, eher ein zurückhaltender und misstrauischer Mensch war. Zunächst wurde er mit Flickarbeiten beschäftigt, bis kurz vor seiner Tuberkulose-Erkrankung arbeitete er jedoch überwiegend in der Feldkolonne. In seiner Krankengeschichte blieben einzelne Jahre ohne Einträge. Im Juli 1930 notierte der behandelnde Arzt: »ist körperlich nicht krank gewesen.« Im Januar 1939 führte Gustav Marx die Akte weiter und schloss an mit dem Eintrag: »lebt dahin, ohne besondere Schwierigkeiten zu machen. Geht regelmäßig zur Feldarbeit. Fleißiger Arbeiter.« Im August 1942 notierte Max Bräuner: »Hat auch inzwischen nichts neues geboten. regelmäßig zur Feldarbeit; autistisch und verschroben. Wegen Platzgründen von Haus 13 nach Haus 11 verlegt.«

Im Februar 1944 erkrankte Pawel Iwanoff in der Heil- und Pflegeanstalt an Tbc. Im November notierte Marx: »Fortschreitender Kräfteverfall«.Dies lag wohl auch an seinem enormen Gewichtsverlust. Wog er in den Jahren zuvor bei einer Körpergröße von 1,65 m konstant 55,5 kg, verlor er zwischen September und November 1944 über 11 kg und wog nur noch 44 kg. Am 19. Januar 1945 hielt Marx fest: »P[atient]. ist […] abgemagert und hinfällig geworden. Nimmt kaum noch Nahrung zu sich. Temperatur dauernd stabil.« Einen Tag später starb Pawel Iwanoff im Alter von 50 Jahren. Die offizielle Todesursache lautete »cavernöse Lungentuberkulose«.

Semen Semzuk

Semen Semzuk wurde am 1. Oktober 1919 in Krystowa in der Ukraine geboren. Er war Zwangsarbeiter und wurde als Aushilfsheizer und Aushilfsmaschinist eingesetzt. Am 21. April 1944 abends habe sich »der Pole« (wie es falsch im ärztlichen Gutachten heißt) plötzlich sonderbar verhalten, sei die ganze Nacht umhergeirrt und am nächsten Morgen ohne Geld und Ausweispapiere vollkommen durchnässt in seine Unterkunft zurückgekehrt. Dr. Knüll, der ihn drei Tage später begutachtete, kam zu dem Ergebnis, Semen Semzuk müsse zur Beobachtung in die Heil- und Pflegeanstalt Oldenburg in Wehnen.

Dort wurde er am 26. April 1944 aufgenommen. Es ist nur die kurze Zusammenfassung seines dortigen Aufenthaltes in der Krankengeschichte überliefert, die bei seiner Entlassung eingetragen wurde. Er habe Halluzinationen gehabt und sei unruhig und gewalttätig gegen seine Mitpatienten gewesen, darum habe er wiederholt fixiert werden müssen. Man diagnostizierte bei ihm eine Schizophrenie.

Bei seiner Aufnahme in die »Ausländersammelstelle« Lüneburg wurde er nicht weiter begutachtet. Der erste Eintrag des Leiters Dr. Redepenning erfolgte erst am 3. Januar 1945, nachdem Semen Semzuk sich bereits länger als zwei Wochen in der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg befand. Redepennings einziger Eintrag war dann: »Stupor. nicht arbeitsfähig.« Weitere zwei Wochen später trug Redepenning: »Steht herum. Spricht nicht mit anderen. Schizophrenie?« ein.

14 Tage später, am 7. Februar, folgte der Eintrag »Stumpf gehemmt. Bef.[und] bericht. Nicht arb[eits]f.[ähig]«. Dann folgten acht Wochen lang gar keine Einträge. Am 3. April 1945 dokumentierte Redepenning: »17 Uhr an Erschöpfung bei akuter Geisteskrankheit gestorben.« Mehr findet sich nicht in der Krankengeschichte. Es gibt keinen Hinweis auf Semen Semzuks Gewicht oder seinen körperlichen Zustand insgesamt. Es gibt keinen Hinweis auf therapeutische, gar lebensrettende Maßnahmen. Semen Semzuk starb im Alter von 25 Jahren.

Serafina Sieluzycka

Serafina Sieluzycka arbeitete in Halligdorf im Landkreis Uelzen als Ostarbeiterin in der Landwirtschaft. Sie war dort zusammen mit ihrem Ehemann Theodor. Obwohl er sie am 23. Juli 1943 gemeinsam mit einem Polizeibeamten persönlich in die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg brachte, hielt man das Notieren seines Namens in dem dafür vorgesehenen Feld auf dem »Charakteristikbogen« nicht für erforderlich.

Serafina wurde am 21. März 1905 geboren. In der Krankenakte ist fälschlicherweise das Geburtsjahr 1907 eingetragen. Ihr Herkunftsland ist dort nicht festgehalten. Über ihre Arbeit als Ostarbeiterin ist nur zu erfahren, dass sie als Landarbeiterin in einem landwirtschaftlichen Betrieb gearbeitet haben soll. Für mehr Details interessierte sich scheinbar niemand. Weil sie den »Eindruck einer Geisteskranken« machte und in ihre Heimat zurück wollte, ordnete der Amtsarzt aus Uelzen, Dr. Prechtl, die Aufnahme in eine geschlossene Anstalt an. Serafina Sieluzycka kam bereits sehr hager in der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg an, so notiert es der aufnehmende Anstaltsarzt. Auch dort wurde kein Zusammenhang zwischen ihrer Verfassung und ihrer Zwangsarbeit hergestellt und ihre Erlebnisse blieben ungefragt.

Am 30. Juli 1943 notierte Redepenning »seit gestern Nachmittag hochgradig erregt. Wälzt sich am Boden u. schrie! Sehr mager.« Im November verschlechterte sich ihr Zustand. Maßnahmen wie die Gabe von Kochsalzlösung etc., die ihr Leben hätten retten können, wurden jedoch nicht ergriffen, das geht jedenfalls aus der Dokumentation nicht hervor. Am 30. Dezember 1943 wurde nur noch »geht weiter zurück« in die Akte eingetragen, am 3. Januar 1944 folgte der Eintrag »gestorben«. Die offizielle Todesursache lautete »Geistesstörung mit Nahrungsverweigerung«.